Duisburg. Kripo-Rentner untersuchen, ob sie drei weitere ungeklärte Tötungsdelikte neu aufrollen. Die Tatorte: Rheinhausen, Kamp-Lintfort und Schermbeck.

Eine heiße Spur gibt es bei den drei Duisburger „Cold Cases“ zwar noch nicht (wir berichteten). Nun aber werden drei weitere alte, unaufgeklärte Kapitalverbrechen von ehemaligen Ermittlern neu geprüft. Es geht darum herauszufinden, ob es sich lohnt, erneut eine intensive Untersuchung zu starten, um bisher unbehelligte Täter doch noch dingfest zu machen. Beim Start der Aktion, die NRW-Innenminister Herbert Reul Ende 2021 ins Leben gerufen hat, waren es drei Fälle von Tötungsdelikten in Duisburg, mittlerweile sind es also sechs.

Manche Jahrzehnte alte Kapitalverbrechen werden wieder weggelegt, wenn sich kein neuer Ansatzpunkt finden lässt. Es ist immer alles im Fluss. Wenn Fälle aus den 1970er-Jahren wieder aufgegriffen werden, muss man sicher sein können, dass es sich tatsächlich um Mord handelte. „Denn nur Mord verjährt nicht. Totschlag aber schon“, erklärt Arno Eich, Leiter des zuständigen Kriminalkommissariats für Tötungsdelikte (KK 11).

Toter Säugling in Obermeiderich gefunden: Lebte das Baby bei der Geburt noch?

In der Prüfung sei zum Beispiel noch der Fall eines Neugeborenen, das am 28. September 1998 tot am Rhein-Herne-Kanal in Obermeiderich aufgefunden wurde. Da wird zurzeit untersucht, ob man nachweisen kann, dass das Baby bei der Geburt noch gelebt hat. „Denn, wenn es möglich ist, dass das Baby schon tot war, als es geboren wurde, ist es Unsinn, einen solchen Fall wieder aufzurollen. Dann geht es nicht um Mord“, erklärt die Kripo. „Das sind so Fälle, bei denen eine Beurteilung nach so vielen Jahrzehnten schwierig ist.“

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Mit der Detektivarbeit der „Cold Cases“ sind pensionierte Polizisten befasst, die sich freiwillig melden konnten, um ein Jahr lang ihre aktiven Kollegen in der Aufklärungsarbeit schwerer Fälle zu unterstützen (wir berichteten). In der Hoffnung, noch Licht ins Dunkel zu bringen. Sie bekommen Fälle zugewiesen, mit denen sie früher nie etwas zu tun hatten.

„Vielleicht finden sie einen neuen Ansatzpunkt, den die Kollegen übersehen haben“, hofft Arno Eich. Oder sie haben eine Idee, welche Spur man noch in eine andere Richtung verfolgen kann. Selten, aber dennoch immer wieder, führen solche Ermittlungen und neue Untersuchungsmethoden auch nach Jahrzehnten zum Täter.

Tödliche Messerstiche in Rheinhausen 1986

In drei weiteren Fällen soll sich der Cold-Case-Kripobeamte jetzt einarbeiten und eventuell neue Ansätze zur Aufklärung finden:

• Es geht um ein Delikt in Rheinhausen vom 24. Januar 1986. „Da wurde ein 55-jähriger Mann in seiner Wohnung überfallen und durch Messerstiche tödlich verletzt.“ Auch in dem Fall ist die Kripo bisher nicht wirklich weitergekommen und lässt prüfen, ob sich eine erneute intensive Untersuchung lohnen könnte.

• Die Kripo Duisburg, zu deren Zuständigkeitsbereich auch der Kreis Wesel gehört, möchte auch im Fall einer 21-Jährigen endlich weiterkommen, die am 15. September 1977 erschossen und zerstückelt aufgefunden wurde. Der Fundort war Schermbeck. Auch in diesem Fall sind alle Ermittlungen bisher ins Leere gelaufen. Der Täter konnte nie gefasst werden.

• Und um diesen dritten Fall geht es: Am 26. Februar 1981 wurde ein 46 Jahre alter Autohändler aus Kamp-Lintfort erschossen in seiner Wohnung gefunden. „In dem Fall gehen wir von Raubmord aus“, sagt Arno Eich. Auch da kamen die Ermittlungen nicht weiter.

Zeugen von damals oft verstorben, krank oder dement

Routinemäßig greift die Kripo immer wieder alte Fälle auf. „Es geht um die Angehörigen, aber es lässt einem ja selbst keine Ruhe, wenn wir bei solchen Kapitalverbrechen keinen Täter finden. Mit alten Fällen gehen wir von Zeit zu Zeit über ,Aktenzeichen XY … ungelöst’ und die Zeitungen an die Öffentlichkeit“, erklärt der Leiter des KK 11.

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Aber die Unterstützung der pensionierten, erfahrenen Kollegen sei eine große Hilfe. Denn zu viel passiert immer aktuell, um sich in Ruhe alten Fällen widmen zu können. Ermittlungen in den Cold Cases gestalten sich oft schwierig, weil häufig Zeugen aus der damaligen Zeit bereits verstorben sind. „Oder sie sind mittlerweile dement oder alkoholkrank und zu Aussagen gar nicht mehr fähig“, kennt Eich die Schwierigkeiten.

Arno Eich leitet das KK 11 in Duisburg.
Arno Eich leitet das KK 11 in Duisburg. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Man dürfe sich Ermittlungen nicht so vorstellen, wie man es in einem Fernsehkrimi vorgesetzt bekommt. Da wird ein Mordfall mal eben ganz schnell gelöst. Mit der Realität habe das gar nichts zu tun. Es ist akribische Detektivarbeit, die oft über Monate und Jahre geleistet wird. „Es wird zum Beispiel geprüft, ob die Stichverletzung eines Opfers zur Klinge einer Waffe passt, die am Tatort gefunden wurde. Dabei geht es sowohl um die Belastung eines Täters, als auch um die Entlastung“, erklärt Arno Eich. Es kann sich ja auch herausstellen, dass einer von zwei Beschuldigten definitiv keine Waffe in der Hand hatte. „Denken müssen wir in alle Richtungen.“

Die Voruntersuchungen in zwei weiteren Fällen, über die unsere Zeitung berichtete, laufen noch. Es geht um den Mülheimer, der am 21. April 2003 „Am Ruhrdeich“ in Duisburg in der Nähe der Metro tot in einem Auto gefunden wurde, und um den Mordfall des Mannes, der am 5. Juni 2009 in Neumühl in der kleinen Straße „Runde Hecken“ entdeckt wurde.

>> ASSERVATE: AUCH BEWEISMITTEL UND FOLIEN MIT SPUREN VOM TATORT

Asservate von Verbrechen stellen sich viele Menschen anders vor, als es der Realität entspricht, sagt die Kripo. Natürlich gibt es auch Sägen, Knüppel, Pistolen, Messer und Gewehre, die sichergestellt werden – aber es kann auch eine Gardinenstange sein, an der Blut klebt oder ein Kleidungsstück. „Denn Asservate sind nicht nur Tatmittel, sondern Beweismittel, die oft Aufschluss über den Tathergang geben“, erklärt Arno Eich, Leiter KK 11 der Duisburger Kripo.

• Da man vor 30 Jahren noch nicht das Mittel der DNA-Analyse zur Verfügung hatte, gibt es aus der Zeit oft Folien, mit denen die Ermittler am Tatort Spuren abgeklebt haben: zum Beispiel Fasern von Kleidung, Stoffen oder Einrichtungsgegenständen. Es können natürlich auch Haare sein, die man am Tatort sichergestellt hat. Die gesamten Untersuchungsmethoden von früher sind aber mit den heutigen nicht mehr zu vergleichen.

• „Oberstes Gebot bei den Untersuchungen am Tatort war und ist die akribische Ermittlungsarbeit. Denn Spuren dürfen sich nicht vermischen. Spurenschutz gab es schon immer, aber heute weiß man, wie man die Asservate lagern muss“, betont Arno Eich, Leiter der Duisburger Kripo, Kriminalkommissariat 11.

• Im Landeskriminalamt (LKA) werden die Beweisstücke nicht gelagert, sondern lediglich untersucht. Dann werden die Asservate wieder dahin gebracht, wo auch die Akten liegen – meistens zur Staatsanwaltschaft wegen der Beweisaufnahme. Akten, oft auch Beweismittel, spielen bei den Gerichtsverhandlung eine zentral Rolle im Prozess.

Die Asservatenkammer des Landeskriminalamtes NRW in Düsseldorf. Im LKA werden die Asservate nur untersucht, nicht aufbewahrt.
Die Asservatenkammer des Landeskriminalamtes NRW in Düsseldorf. Im LKA werden die Asservate nur untersucht, nicht aufbewahrt. © Jochen Tack | IM NRW