Duisburg. Der „Pokémon-Mord“ schockierte Duisburg: 2001 wollte Oliver S. wissen, wie es ist, ein Kind zu töten. Die Chronik eines grauenvollen Verbrechens.

Es ist ein Verbrechen, das am 9. Januar 2001 ganz Duisburg schockierte: Mitten in Homberg wird ein neun Jahre alter Junge auf bestialische Weise ermordet. Getötet von Oliver S. – weil er einmal wissen wollte, wie es ist, wenn er ein Kind tötet. Die grausame Tat sollte später als „Pokémon-Mord“ in die deutsche Kriminalgeschichte eingehen. In dem kostenlosen Podcast „Der Gerichtsreporter“ tauchen die Hörer in die Ermittlungen ein.

Auch interessant

Stefan Wette ist Gerichtsreporter dieser Zeitung. Seit 35 Jahren sitzt er als Beobachter in Strafprozessen und schreibt Reportagen aus Gerichtssälen. In dem Podcast „Der Gerichtsreporter“ geht er wahren Kriminalfällen aus dem Ruhrgebiet nach. In der neuesten Folge, die am Montag, 10. August, erschienen ist, werden die Akten zum „Pokémon-Mord“ aus Duisburg geöffnet.

„Pokémon-Mord“ in Duisburg: Alles beginnt mit einer unheilvollen Beziehung

Opfer von Oliver S. ist Sedat, neun Jahre alt. Ein Junge aus der Nachbarschaft, der von seinem Mörder mit dem Versprechen, Pokémon-Karten geschenkt zu bekommen, in die Wohnung gelockt wurde. Es ist ein Fall, der die Beamten und das Gericht an die Grenze des Erträglichen brachte. So sagte der damalige Leiter der Mordkommission: „Eine Tat, die so völlig aus dem Rahmen fällt, die vergisst man sein ganzes Leben nicht.“

[In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Duisburg. Den Duisburg-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]

Alles beginnt mit einer unheilvollen Allianz: Im Jahr 2000 verlieben sich der damals 22 Jahre alte Oliver S. und die fünf Jahre jüngere Jessica. „Ein seltsames Paar“, urteilt der Gerichtsreporter. Er, den Freunde als Sonderling bezeichnen mit einer Fehlstellung der Brustwirbelsäule, für jeden sichtbar als Buckel. Sie, die bei Adoptiveltern groß wird, weil ihre Mutter als Drogensüchtige auf der Straße lebte. Gemeinsam entwickelten sie den mörderischen Plan: Sie wollten einmal zusehen, wie ein Kind sein Leben verliert.

Täter Oliver S.: Mordfantasien und ein „Ja, mach mal“

Schon sieben Jahre vor dem Mord an Sedat habe es Hinweise gegeben, dass Oliver S. einmal ein Mörder werden könnte. Mit 15 Jahren, so erzählte er es dem Gerichtsgutachter Martin Albrecht, habe er erstmals überlegt, einen Menschen umzubringen. Ein Tagebuch, das er seit dem 16. Lebensjahr schrieb, und einen halb geschriebenen Roman aus der Ich-Perspektive fand die Polizei nach seiner Festnahme bei ihm. Mit Worten schildert er detailliert Tötungen. Sogar Fotos seiner ausgewählten Opfer klebte er zu den Texten.

Er vertraut seine Mordfantasien auch seiner Freundin an und konkretisiert seinen Wunsch: Er möchte gerne einen Jungen töten und die Leiche dann beseitigen. Jessica soll ihrem Freund daraufhin gesagt haben: „Ja, mach mal.“ Es bedeutet das Todesurteil für Sedat.

Von dem Spielplatz an der Charlottenstraße in die Wohnung gelockt

„Was dann am 9. Januar 2001 passiert, ist kaum nachzuerzählen“, sucht selbst der erfahrene Gerichtsreporter nach den richtigen Worten. „In Thrillern ist so etwas zu lesen und bereitet oft schlaflose Nächte, zumindest gruselige Minuten. Es geht an keinem spurlos vorüber.“

Bilder- Erinnerungen an den Pokémon-Mord in Duisburg

Ganz Duisburg trug im Januar 2001 Trauer. Am 9. Januar 2001 wurde Sedat in Hochheide erwürgt, zerstückelt und noch im Tode missbraucht. Mit Pokemon-Karten hatte der Mörder sein neun Jahre altes Opfer gelockt. Repro: Stephan Eickershoff
Ganz Duisburg trug im Januar 2001 Trauer. Am 9. Januar 2001 wurde Sedat in Hochheide erwürgt, zerstückelt und noch im Tode missbraucht. Mit Pokemon-Karten hatte der Mörder sein neun Jahre altes Opfer gelockt. Repro: Stephan Eickershoff
Die Polizei fand die Leiche des Jungen an einem Container an der Glückauf-Halle. Sein Kopf wie Abfall entsorgt, daneben der kleine Körper im Koffer abgestellt, weil der nicht in den Container passte. Der kleine Sedat musste sterben, weil es der widerwärtige Traum seines Mörders war, ein Kind zu töten. Er und seine Komplizin werden schnell gefasst. Foto: Stephan Eickershoff
Die Polizei fand die Leiche des Jungen an einem Container an der Glückauf-Halle. Sein Kopf wie Abfall entsorgt, daneben der kleine Körper im Koffer abgestellt, weil der nicht in den Container passte. Der kleine Sedat musste sterben, weil es der widerwärtige Traum seines Mörders war, ein Kind zu töten. Er und seine Komplizin werden schnell gefasst. Foto: Stephan Eickershoff
Mit einer bewegenden Gedenkstunde in der Glückauf-Halle nahmen seine Mitschüler der Marktschule Abschied. An der Fundstelle, nur wenige Meter entfernt, lagen Unmengen an Stofftieren, Blumen, Briefen und unzählige Kerzen. Foto: Stephan Eickershoff
Mit einer bewegenden Gedenkstunde in der Glückauf-Halle nahmen seine Mitschüler der Marktschule Abschied. An der Fundstelle, nur wenige Meter entfernt, lagen Unmengen an Stofftieren, Blumen, Briefen und unzählige Kerzen. Foto: Stephan Eickershoff
Eine tausendköpfige Menge hatte den kleinen Kinder-Sarg zum Friedhof geleitet. Foto: Stephan Eickershoff
Eine tausendköpfige Menge hatte den kleinen Kinder-Sarg zum Friedhof geleitet. Foto: Stephan Eickershoff
„Verliert man ein Kind durch eine solche Grausamkeit, dann kann man damit kaum weiter leben”, sagte Sedats Vater vor rund zwei Jahren. Der Verlust seines Sohnes hat ihn krank gemacht, er konnte nicht mehr arbeiten. Foto. Stephan Eickershoff
„Verliert man ein Kind durch eine solche Grausamkeit, dann kann man damit kaum weiter leben”, sagte Sedats Vater vor rund zwei Jahren. Der Verlust seines Sohnes hat ihn krank gemacht, er konnte nicht mehr arbeiten. Foto. Stephan Eickershoff
Mit einer bewegenden Trauerfeier auf dem Rheinhauser Markt nahmen die Menschen Abschied. Foto. Stephan Eickershoff
Mit einer bewegenden Trauerfeier auf dem Rheinhauser Markt nahmen die Menschen Abschied. Foto. Stephan Eickershoff
Anfang Mai 2001 begann der Prozess vor dem Duisburger Landgericht. Foto: Stephan Eickershoff
Anfang Mai 2001 begann der Prozess vor dem Duisburger Landgericht. Foto: Stephan Eickershoff
mussten sich Oliver S. und seine Freundin Jessica vor dem Duisburger Landgericht für dieses grausame Verbrechen verantworten. Foto. Stephan Eickershoff
mussten sich Oliver S. und seine Freundin Jessica vor dem Duisburger Landgericht für dieses grausame Verbrechen verantworten. Foto. Stephan Eickershoff
In der Verhandlung wurde Oliver S. vom Gutachter eine schwere Persönlichkeitsstörung bescheinigt. Foto: Stephan Eickershoff
In der Verhandlung wurde Oliver S. vom Gutachter eine schwere Persönlichkeitsstörung bescheinigt. Foto: Stephan Eickershoff
Irgendwann kommt seine Freundin Jessica dazu. Er hatte sie später in mehreren widersprüchlichen Versionen entlastet und belastet, sie beteuerte in der Verhandlung ihre Unschuld. Eine direkte Tötungsbeteiligung konnte ihr das Gericht nicht nachweisen. Foto: Stephan Eickershoff
Irgendwann kommt seine Freundin Jessica dazu. Er hatte sie später in mehreren widersprüchlichen Versionen entlastet und belastet, sie beteuerte in der Verhandlung ihre Unschuld. Eine direkte Tötungsbeteiligung konnte ihr das Gericht nicht nachweisen. Foto: Stephan Eickershoff
Die Richter sahen es aber als gesichert an, dass die damals 18-Jährige von den Tötungsfantasien ihres Freundes wusste, ihn darin bestärkt hatte und bei der Schändung und Beseitigung der Leiche beteiligt war. Das Urteil für sie: sechseinhalb Jahre Jugendstrafe. Foto: Stephan Eickershoff
Die Richter sahen es aber als gesichert an, dass die damals 18-Jährige von den Tötungsfantasien ihres Freundes wusste, ihn darin bestärkt hatte und bei der Schändung und Beseitigung der Leiche beteiligt war. Das Urteil für sie: sechseinhalb Jahre Jugendstrafe. Foto: Stephan Eickershoff
Bei Jessica, die nach der Geburt von ihrer 15-jährigen Mutter ausgesetzt wurde und bei Pflegeeltern aufwuchs, sahen die Gutachter (Foto) auch erhebliche Entwicklungsdefizite. Foto: Stephan Eickershoff
Bei Jessica, die nach der Geburt von ihrer 15-jährigen Mutter ausgesetzt wurde und bei Pflegeeltern aufwuchs, sahen die Gutachter (Foto) auch erhebliche Entwicklungsdefizite. Foto: Stephan Eickershoff
Freundinnen von Sedats Schwester während einer Verhandlungspause. Foto: Stephan Eickershoff
Freundinnen von Sedats Schwester während einer Verhandlungspause. Foto: Stephan Eickershoff
Eine Gerichtszeichnerin Foto: Stephan Eickershoff
Eine Gerichtszeichnerin Foto: Stephan Eickershoff
Die Eltern Sedats verfolgten den Prozess im Gerichtssaal und blickten auf die Angeklagten. Foto: Stephan Eickershoff
Die Eltern Sedats verfolgten den Prozess im Gerichtssaal und blickten auf die Angeklagten. Foto: Stephan Eickershoff
Als Pokemon-Mord sorgte der Fall bundesweit für Schlagzeilen. Foto: Stephan Eickershoff
Als Pokemon-Mord sorgte der Fall bundesweit für Schlagzeilen. Foto: Stephan Eickershoff
Den Haupttäter Oliver S. hatte das Landgericht  zu 14 Jahren verurteilt. Foto: Stephan Eickershoff
Den Haupttäter Oliver S. hatte das Landgericht zu 14 Jahren verurteilt. Foto: Stephan Eickershoff
Er ist heute 33, sitzt nach wie vor in der forensischen Psychiatrie in Düren. Der Angeklagte mit seinen Anwälten. Foto: Stephan Eickershoff
Er ist heute 33, sitzt nach wie vor in der forensischen Psychiatrie in Düren. Der Angeklagte mit seinen Anwälten. Foto: Stephan Eickershoff
Durch diese Tat wurden drei Familien zerstört. Eine auf der Opfer-, zwei auf der Täterseite. Die Art und Weise, wie ihr Kind sein Leben ließ, darüber werden die Eltern nie hinweg kommen. Foto: Stephan Eickershoff
Durch diese Tat wurden drei Familien zerstört. Eine auf der Opfer-, zwei auf der Täterseite. Die Art und Weise, wie ihr Kind sein Leben ließ, darüber werden die Eltern nie hinweg kommen. Foto: Stephan Eickershoff
Sedats Mutter nach der Urteilsverkündung am 22. Juni 2001. Foto: Stephan Eickershoff
Sedats Mutter nach der Urteilsverkündung am 22. Juni 2001. Foto: Stephan Eickershoff
Oberstaatsanwalt Hein gibt nach der Urteilsverkündung ein Statement für die Medien ab. Foto: Stephan Eickershoff
Oberstaatsanwalt Hein gibt nach der Urteilsverkündung ein Statement für die Medien ab. Foto: Stephan Eickershoff
Nachdem das Urteil feststeht, kommt es vor dem Duisburger Landgericht zu Tumulten. Eine ältere Frau entreisst dem Anwalt von Oliver S. die Robe. Foto: Stephan Eickershoff
Nachdem das Urteil feststeht, kommt es vor dem Duisburger Landgericht zu Tumulten. Eine ältere Frau entreisst dem Anwalt von Oliver S. die Robe. Foto: Stephan Eickershoff
1/22

Der damals 23-Jährige lockt den kleinen Sedat mit Pokémon-Karten vom Spielplatz an der Charlottenstraße. Der Junge kommt mit, zögert aber, die Wohnung zu betreten. Oliver S. zieht ihn hinein. Dann erdrosselt er ihn.

Leiche wird im Altkleidercontainer entsorgt

Später soll Jessica dazugekommen sein. Sie wolle auch mal einen Toten sehen, habe sie gesagt. Anschließend hatten sie laut eigenen Angaben Sex neben der Leiche. „Jessica sagte auch mal, sie habe dabei den Leichnam berührt“, sagt Wette. Gemeinsam vergingen sie sich an dem toten Jungen. Oliver S. verstümmelten dessen Körper, trennte ihm den Kopf ab.

Sie legten den Rumpf in einen Koffer, den Kopf verpackte er separat. Einen Tag später brachte Oliver S. die Leiche und die Tüte mit dem Kopf aus der Wohnung zu einem Altkleidercontainer an der Luisenstraße, nur 200 Meter entfernt von seiner Wohnung. Dort wurde die Leiche am nächsten Morgen gefunden.

Die Ermittlungen der Polizei: Wem gehört der Koffer?

Schnell gerieten Oliver S. und seine Freundin Jessica ins Visier der Fahnder: Ein veröffentlichtes Foto der Polizei brachte ausgerechnet den Vater von Oliver S. dazu, sich am 12. Januar bei der Polizei zu melden. „Der Koffer sieht dem meines Sohnes ähnlich“, soll er gesagt haben.

Die Ermittler reagierten schnell und fuhren zur Wohnung des Angeklagten in der Friedrich-Ebert-Straße. In Vernehmungen verstrickte er sich in Widersprüche und gestand später die Tat. Er ließ die Ermittler auch wissen, dass Jessica an der Planung des Mordes beteiligt gewesen sein soll und bei der Schändung des Leichnams mitgemacht habe.

Die Kaltblütigkeit von Oliver S., der weder Reue noch Mitleid zeigte, entsetzte in den Vernehmungen die Ermittler. Vernehmungsbeamte nannten die Aussage von Oliver S. später eine „Ansammlung von Ungeheuerlichkeiten“, die Bilder eines Horrorfilms sein könnten, aber der traurigen Realität entsprachen.

Das Urteil im „Pokémon-Mord“ – 14 Jahre Haft für Oliver S.

Am 22. Juni 2001 verkündete die Duisburger Jugendstrafkammer nach 13 Verhandlungstagen ihr Urteil: Oliver S. stufte das Gericht als vermindert schuldfähig ein und sah von einer wegen Mordes eigentlich fälligen lebenslangen Freiheitsstrafe ab. Er bekam 14 Jahre Haft und wurde gleichzeitig in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. „Diese Einrichtung hat er bis heute nicht verlassen“, sagt Wette.

Jessica konnte eine direkte Tötungsbeteiligung vor Gericht nicht nachgewiesen werden. Die Richter sahen es aber als gesichert an, dass die damals 18-Jährige von den Tötungsfantasien ihres Freundes wusste, ihn darin bestärkt hatte und bei der Schändung und Beseitigung der Leiche beteiligt war. Sie bekam sechseinhalb Jahre Haft und ist inzwischen wieder auf freiem Fuß.

>>> Der Podcast „Der Gerichtsreporter“

■ In dem Podcast „der Gerichtsreporter“ geht es um echte Kriminalfälle aus der Vergangenheit, die im Gespräch zwischen der Moderatorin Brinja Bormann und dem Gerichtsreporter Stefan Wette lebendig werden.

■ Jederzeit können die Hör-Beiträge von 20 bis 30 Minuten Länge über das Internet abgerufen werden. Zum Beispiel bei Spotify, bei Apple Podcasts und bei Deezer oder auch kostenlos auf der Homepage von "Der Gerichtsreporter".

■ Auf der Videoplattform Youtube können Hörer Gerichtsreporter und Moderatorin auf dem Channel „Der Gerichtsreporter“ gleichzeitig sehen, sowie auf Instagram @der_gerichtsreporter. Alle zwei Wochen gibt es montags eine neue Folge. Die Ermittlungen um den „Pokémon-Mord“ werden in einer Doppelfolge am 10. sowie am 24. August veröffentlicht.