Duisburg-Hochfeld. 55 Personen haben beim Einsatz der Taskforce in Hochfeld ihre Wohnung verloren. Politiker machen der Stadt schwere Vorwürfe. Die wehrt sich.
Gut eineinhalb Wochen, nachdem die Taskforce der Stadt Duisburg das Haus an der Gravelottestraße 39 geräumt hat (wir berichteten), suchen die meisten Familien noch immer eine neue Wohnung. 55 Bewohner waren betroffen, darunter viele Kinder. Bündnis 90/Die Grünen, die Partei „Die Linke“ sowie der Verein „Solidarität der Vielen“ kritisieren die Stadt, dass sie die ehemaligen Bewohner im Anschluss an eine Räumung nicht besser betreut, sondern dies den Ehrenamtlichen überlasse.
In einer ehemaligen Gaststätte unweit des Hochfelder Markts sitzen sie deshalb zusammen und beraten, wie es nun weiter geht.
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Die Debatte flammte bereits nach vielen Häuserräumungen neu auf. Eine Annäherung scheint nicht in Sicht – nachdem die Linken das Thema im der jüngsten Ratssitzung wieder auf die politische Tagesordnung bringen wollten, wurde eine Diskussion von den anderen Parteien abgelehnt.
Mittendrin befindet sich eine Familie. Die Mutter, ihr Mann und die sechs Kindern haben in einer der Wohnungen in Haus Nummer 39 gewohnt. An dem Mittwoch, als die Taskforce vor der Tür stand, mussten sie ihre Habseligkeiten in ein paar Müllsäcke stopfen und das Haus verlassen. Fürs erste sind sie bei Bekannten untergekommen. Eine feste Bleibe suchen sie weiterhin. Eine Freundin der Familie, Casandra Raicu, hilft ihnen und übersetzt.
Betroffene Zugewanderte werden nach 14 Tagen von ihren Duisburger Adressen abgemeldet
Lena Wiese und ihre Mitstreiter vom Verein „Solidarität der Vielen“ haben an der St.-Johann-Straße in Hochfeld eine neue Anlaufstelle geschaffen. Das Vereinsheim fungiert für die Betroffenen zugleich als Meldeadresse. Nach einer Räumung werden die Betroffenen ansonsten abgemeldet. „Für die Menschen ist das eine Katastrophe. Sie bekommen weder Post noch Bescheide vom Amt und die Zahlung von Kindergeld und anderen Leistungen wird eingestellt“, schildert Lena Wiese. Nachdem sich der Verein eingeschaltet habe, sei die Aufhebung der Leistungszahlung zurückgenommen worden.
Grüne und Linke kritisieren die Stadt und fordern: Familien müssten von der Stadt begleitet werden
Stella Rauscher, Mitglied für Bündnis 90/Die Grünen, berichtet, wie sie für die Familien herumtelefoniert hat. „Es ist leider so, dass die Reaktionen andere sind, wenn man mit einem deutschen Namen anruft.“ An die Stadt gerichtet fordert sie, dass die Verwaltung transparenter machen müsse, nach welchen Kriterien die Einsätze durchgeführt werden und warum es keine Sozialarbeiter gebe, die die Familien auffangen. Zudem stelle sich die Frage, wie die Stadt gegen die Vermieter vorgehe, die ihre Häuser so verkommen lassen. So werde das Problem weiter auf dem Rücken der Bewohner ausgetragen.
Barbara Laakmann von den Linken weiß: „Gerade die Kinder befinden sich in einer seelischen Ausnahmesituation.“ Keine Familie sei in die Notunterkunft, die die Stadt angeboten habe, gegangen. Diese liege an der Voßbuschstraße in Baerl – wollten die Kinder von dort wieder nach Hochfeld, um etwa die Schule zu besuchen, seien sie mit umsteigen länger als eine Stunde unterwegs. Lena Wiese kann über das Vorgehen der Stadt nur mit dem Kopf schütteln: „Die Betreuung der Familien wird komplett an Ehrenamtliche ausgelagert.“
Die Stadt widerspricht auf Nachfrage unserer Zeitung, dass sie sich nicht kümmere: Die Regionalen Support Center, von denen es auch eines in Hochfeld gibt, sollen das Kommunale Integrationsmanagement umsetzen und mit den verschiedenen Ämtern und Bereichen im Sinne einer „integrierten Steuerung der örtlichen Integrationsprozesse“ zusammenarbeiten. Ein unmittelbarerer Berührungspunkt zur Tätigkeit der Taskforce bestehe hingegen nicht.
Stattdessen gebe es seit 2020 das landesgeförderte Projekt „Nah dran – Aven majpashe“ im Kommunalen Integrationszentrum. Zum Projektteam gehören etwa sechs muttersprachliche Streetworker, die die Sprachen Bulgarisch, Rumänisch, Mazedonisch und Romanes beherrschen. Ein Baustein sei die Konfliktprävention in enger Absprache mit dem Bürger- und Ordnungsamt.
Würden dem Ordnungsamt von Anwohnern Verstöße von Seiten neu zugewanderter Menschen gemeldet, so die Stadt, gingen die Streetworker in die betreffenden Straßen und suchen die Bewohner auf, um mit ihnen „auf Augenhöhe und in der Muttersprache über die Verstöße zu sprechen.“ In manchen Fällen würden zudem Flyer verteilt. „In den meisten Fällen hat das in der Vergangenheit zum Erfolg geführt und das Ordnungsamt musste nicht einschreiten“, erklärt Stadtsprecher Sebastian Hiedels. Allerdings sollen die Streetworker Vermittler und Vertrauensperson sein und entsprechend vorbeugend handeln. Bei Einsätzen des Ordnungsamtes sind sie indes nicht anwesend.
Stadt Duisburg widerspricht: Eigentümer von Schrottimmobilien mehrfach auf Mängel hingewiesen
Ein weiteres Projekt, das die Zugewanderten unterstütze, sei das Projekt „Integration und Beratung II plus“, finanziert aus dem „Europäischen Fonds für die am stärksten benachteiligten Personen.“ Hier erfolge sowohl eine allgemeine muttersprachliche Beratung zu den Hilfesystemen als auch eine gezielte Beratung für Wohnungslose. Auch diese Berater sind nicht dabei, wenn die Taskforce aktiv wird.
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Zu dem Vorwurf, dass das Vorgehen der Taskforce nicht transparent sei, betont die Stadt, dass einer Zwangsräumung stets Kontakte mit dem Hausbesitzer voraus gehen. Nachbarn, aber auch Bewohner selbst könnten bei der Stadt Mängel anzeigen. Daraufhin rücken Mitarbeiter der Stadt aus, machen sich vor Ort ein Bild und stellen dem Vermieter „eine Instandsetzungsanordnung und somit die schriftliche Aufforderung, die Mängel zu beseitigen, zu. Komme dieser seinen Pflichten nicht nach, würden zur Durchsetzung ein Zwangs- und gegebenenfalls ein Bußgeldbescheid erlassen. „Vorrangig ist die Mängelbeseitigung“, so Hiedels. „Eine reine Sanktionierung, die auf die negativen Folgen der betroffenen Mieter abzielt, sieht das Wohnraumstärkungsgesetz nicht vor.“
Den Familien hilft die aktuelle Debatte um die Taskforce-Einsätze nicht. Einige von ihnen lassen sich derzeit von einem Anwalt vertreten. Aber noch dringender brauchen sie eine Wohnung. Die Ehrenamtler wollen noch einige Telefonate führen, damit sich etwas tut.
>> Verein gegründet, um Aufklärungsarbeit zu leisten
- Der „Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ hat sich im vergangenen Jahr in Hochfeld gegründet. „Wir haben uns überlegt, etwas zu unternehmen, und dass es so einen Verein braucht. Uns hat unsere Wut und der Frust über die lebensfeindlichen Zustände und die strukturelle Entrechtung von marginalisierten Menschen in Duisburg angetrieben. Wir wollen langfristig Aufklärungsarbeit leisten“, erklärt die Vorsitzende Lena Wiese.
- Der Verein bietet in Kooperation mit dem Verein der Sinti in Duisburg i.G., Save Space e.V., Čirikli e.V., Goosebumps i.G., dem Lokal Harmonie, Djäzz, Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung – ebenso von Hassan Adzaj von Romano Than e.V. sowie Burak Yilmaz und Melih Keser am Sonntag, 27. Februar, ab 18 Uhr eine Online-Veranstaltung an, an der man über die Webseite www.sgdv.org und via Facebook teilnehmen kann. Der Titel lautet „Aktualitäten der Ausgrenzung und Kämpfe für Anerkennung“.
- Die Veranstalter erklären: „Junge Sinte:zze sind in der Duisburger Stadtgesellschaft mit widersprüchlichen Erwartungen und Zuschreibungen konfrontiert. In öffentlichen Diskussionen werden sie als homogene Gruppe wahrgenommen und oftmals ethnisiert. Während solche Debatten problemorientiert und stigmatisierend sind, werden Bedürfnisse und politische Forderungen junger Sinte:zze unsichtbar gemacht. Gleichzeitig gibt es kaum Räume, in denen sie ihre Erfahrungen und Perspektiven schildern können und ernst genommen werden.“ Diese Diskussion soll einen Perspektivwechsel herbeiführen.