Duisburg-Hochfeld. Lena Wiese ist die Vorsitzende vom „Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ in Duisburg-Hochfeld. Der Anlass zur Gründung war „Wut“.

In Duisburg-Hochfeld gibt es einen neuen Verein. Der „Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ ist seit ein paar Monaten in dem Stadtteil aktiv und veranstaltet am Samstag, 28. August, ab 15 Uhr im Rheinpark das sogenannte „Fest der Vielen“. Vor ein paar Wochen haben die Mitglieder eine Veranstaltung in der Liebfrauen-Kirche mitorganisiert, die sich mit dem Selbstverständnis und Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma auseinandergesetzt hat. Im Gespräch erklärt die Vorsitzende Lena Wiese, was sie und ihre Mitstreiter erreichen wollen.

„Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ ist ein ganz schön sperriger Name. Gab es einen konkreten Anlass für die Gründung?

Wir haben uns Ende letzten Jahres überlegt, etwas zu unternehmen, und dass es so einen Verein braucht. Uns hat unsere Wut und der Frust über die lebensfeindlichen Zustände und die strukturelle Entrechtung von marginalisierten Menschen in Duisburg angetrieben. Wir wollen langfristig Aufklärungsarbeit leisten.

Duisburger Mitglieder gründeten den Verein aus „Wut“

Sie beziehen sich auf die verschiedenen Häuserräumungen in Hochfeld, richtig?

Ja, das stimmt. Das sind schlimme Erfahrungen, die die Betroffenen machen. Wir erleben hier eine andauernde Menschenrechts-Krise, die von den Verantwortlichen schöngeredet wird. So, wie es derzeit ist, kann es nicht bleiben. Als Verein sind wir bundesweit vernetzt, wirken aber direkt im Stadtteil.

Mit wem arbeiten Sie auf Bundesebene oder in Duisburg zusammen?

In Duisburg ist es zum Beispiel das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. Überregional werden wir bald Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband und sind Mitglied beim VIA – Verband für Interkulturelle Arbeit. Bundesweit sind wir mit zivilgesellschaftlichen Bündnissen vernetzt. So zum Beispiel mit Initiativen, die mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt zusammenarbeiten.

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Was ist das wichtigste Anliegen des Vereins?

Zentral ist für uns, Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen für diejenigen, die von vornherein ausgeschlossen sind, aber Teil dieser Stadt sind. Dafür ist die konsequente Benennung von institutionellem Rassismus und sozialer Diskriminierung absolut notwendig. Es ist wichtig, dagegen anzugehen. Wir setzen unsere Energie daran, alternative Wege für den Aufbau einer vielsprachigen und diversen Stadtgesellschaft zu schaffen und marginalisierte Perspektiven und Stimmen sichtbar zu machen.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Stadt Duisburg Rassismus vorgeworfen wird. Erst jüngst hatte sich Dezernent Paul Bischof entschieden dagegen gewehrt und betont: „Wir behandeln alle Menschen in Duisburg gleich, sowohl in unterstützenden als auch in ordnungsrechtlichen Angelegenheiten. Wir verstehen uns über alle Gruppen hinweg als eine solidarische Stadt. Und so handeln wir auch.“ Gleichwohl ist nach den Häuserräumungen der Task Force „Schrottimmobilien“ an der Gravelottestraße und der Brückenstraße wieder Kritik am Vorgehen der Stadt laut geworden.

Andere soziale Träger berichten, dass es schwer ist, Kontakte zur Community der Zugewanderten zu bekommen. Haben Sie einen Draht zu den Menschen?

Wir sind im Stadtteil verwurzelt und kennen viele Leute aus unserem alltäglichen Leben. Auch dadurch haben wir Einblicke in die diversen Lebensrealitäten und wissen um das Misstrauen gegenüber städtischen Institutionen. Es geht hierbei auch nicht vordergründig um Vorwürfe gegen einzelne Mitarbeiter, sondern darum, ein Bewusstsein für strukturelle Probleme der Institutionen zu schaffen.

Mitglieder wollen unabhängig, aber parteiisch für die Betroffenen beraten

An der Brückenstraße 91 wurde das Haus versiegelt. Der Verein möchte die Betroffenen mehr in den Blick nehmen.
An der Brückenstraße 91 wurde das Haus versiegelt. Der Verein möchte die Betroffenen mehr in den Blick nehmen. © FUNKE Foto Services | Foto: Tanja Pickartz

Wie viele Mitstreiter hat die solidarische Gesellschaft der Vielen?

Die Zahl der eingetragenen Mitglieder ist überschaubar, aber es gibt definitiv ein größeres unterstützendes Umfeld.

Wie sieht die Arbeit konkret aus?

Neben der Vernetzungsarbeit haben wir mit bildungspolitischen Veranstaltungen begonnen. Am 23. September nehmen wir zum Beispiel an der Kulturkonferenz Ruhr in Herne teil. Bald werden wir in unseren Büroräumen eine unabhängige und für die Menschen parteiische Sozialberatung anbieten. Davon gibt es im Verhältnis zum Bedarf in Hochfeld definitiv zu wenig Angebote. Und nach wie vor sind wir auf der Suche nach Räumen, in denen wir neben offenen Treffpunkten für die Nachbarschaft auch wieder politische Bildungs- und Kulturarbeit, Konzerte, Kneipenabende und Vernetzungsarbeit umsetzen können. Eigentlich hatten wir uns dafür den Bunker an der Alten Feuerwache ausgeguckt, doch der wurde von der Gebag gekauft. Seitdem hat sich die Gebag nicht mehr geäußert.

Was mögen Sie an Hochfeld, oder umgekehrt: Was nervt richtig an dem Stadtteil?

Spannende Frage! Es gibt für mich keinen anderen Stadtteil in Duisburg, in dem ich mir meinen Lebensmittelpunkt vorstellen kann. Ich erlebe hier eine heterogene und bereichernde Nachbarschaft. Was mich nervt, ist die massive Präsenz von Ordnungsamt und Polizei sowie die Stigmatisierung von Migration und Armut. Armut ist nicht schön zu reden. Wenn man aber ernsthaft nach den Gründen von strukturell verursachter Armut fragen und an der Beseitigung der Ursachen arbeiten würde, wäre schon einiges gewonnen.

Es gibt ja auch Leute, die setzen Hoffnung auf die Internationale Gartenschau und darauf, dass Hochfeld ein bisschen gentrifiziert wird.

Das Gerede von den Vorteilen einer stärkeren „sozialen Mischung“ halte ich für schlichtweg falsch und habe zu diesen Fragestellungen zuletzt im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität Duisburg-Essen geforscht.

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Erinnerung und Podiumsdiskussion zum Brandanschlag 1984

Am Samstag gibt es im Rheinpark erstmals das Fest der Vielen. Der Anlass dafür ist eigentlich kein schöner.

Das stimmt natürlich. Anlass für das Fest ist der rassistische Brandanschlag auf ein Wohnhaus von „Gastarbeitern“ in Wanheimerort im Jahr 1984. Am Jahrestag des Anschlags, am 26. August, werden wir mit den Angehörigen und der Initiative Duisburg 1984 an dem Ort des Anschlags den Ermordeten still gedenken. Am 28. August kommen wir auf dem Fest ebenfalls zusammen, um die Geschichten der Opfer in das kollektive Gedächtnis unserer Stadt zu bringen. Ich freue mich vor allem auf das Podiumsgespräch, auf dem ab 15 Uhr Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt aus Duisburg, Hanau, Halle, Köln und Kleve ins Gespräch kommen werden. Es soll etwa um selbstorganisierte Initiativen, Solidarität, die vielstimmige Erinnerung und Betroffenen-orientierte Gedenkkulturen gehen. Wir wollen aber auch für die Zukunft unseres Zusammenlebens ein starkes Zeichen zu setzen und uns gegen den alten und neuen Rassismus solidarisieren.

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Was erwartet die Besucher noch?

An diesem Tag gehört der Rheinpark ganz der Nachbarschaft. Unter dem Motto der Solidarität gibt’s Kinderbetreuung, Poetry-Slam, Live-Musik und internationale Genüsse. Daneben gibt es die Möglichkeit, auf dem Gelände mit Duisburger Initiativen an ihren Infoständen ins Gespräch zu kommen. Unser Fest ist nicht kommerziell, wir sind auf Spenden angewiesen.

>> Verein teilt sich in Duisburg-Hochfeld Räume mit der Partei „Die Partei“

  • Derzeit ist der „Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ an der Eigenstraße 48 in Duisburg-Hochfeld ansässig und teilt sich dort Räume mit der Partei „Die Partei“.
  • Nähere Infos zum Verein und seiner Arbeit gibt es im Netz: www.sgdv.org