Hochfeld. Der Leuchtturm Roter Sand gilt als erstes Offshore-Bauwerk weltweit. Gebaut wurde er bis 1885 in Duisburg. Ein Wirtschaftskrimi war das obendrein.

Das erste Leuchtturm-Projekt in Duisburg-Hochfeld datiert auf die Jahre 1880 bis 1885. Die Brückenbauanstalt Johann Caspar Harkort fertigte in Duisburg die Teile für den Leuchtturm Roter Sand, der heute noch nordöstlich vor der Insel Wangerooge steht und die Zufahrt in die Weser markiert. Der denkmalgeschützte Turm gilt als erstes Offshore-Bauwerk weltweit und wurde 2010 in die Riege der „Historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“ aufgenommen.

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Die Arbeit der Ingenieure und Konstrukteure war abenteuerlich und ein Wirtschaftskrimi spielte sich rund um den Leuchtturm obendrein ab. Nachzulesen ist die Geschichte in einem Schriftstück, das das Deutsche Museum aus München nun dem Duisburger Stadtarchiv zur Verfügung stellte. In der gut erhaltenen Werbebroschüre der Firma Harkort wird in englischer Sprache haarklein beschrieben, was sich damals zutrug.

Duisburger Stadtarchiv dokumentiert auch die Wirtschaftsgeschichte der Stadt

Dr. Andreas Pilger, Leiter des Duisburger Stadtarchivs und sein Stellvertreter Michael Kanther sind begeistert von dem hübsch illustrierten Schriftstück – die deutsche Fassung der Werbebroschüre hatten sie allerdings schon im Bestand.
Dr. Andreas Pilger, Leiter des Duisburger Stadtarchivs und sein Stellvertreter Michael Kanther sind begeistert von dem hübsch illustrierten Schriftstück – die deutsche Fassung der Werbebroschüre hatten sie allerdings schon im Bestand. © FUNKE Foto Services | Foto: Oliver Müller

„Es passiert immer mal wieder, dass wir von Museen, Archiven oder Privatpersonen Unterlagen angeboten bekommen. Diese Schrift ist nicht nur optisch ein Highlight, sondern beleuchtet einen Aspekt der Duisburger Maschinenbaugeschichte, der vielen unbekannt sein dürfte“, erklärt Dr. Andreas Pilger, Leiter des Stadtarchivs. Deshalb sagte er zu, als ihm das Heft angeboten wurde. Später stellten er und sein Stellvertreter, der Archivar und Stadthistoriker Michael Kanther, fest, dass sie bereits die deutsche Fassung über diese ingenieurgeschichtliche Pioniertat im Bestand hatten. Interessant sind nicht nur die Konstruktionszeichnungen, sondern auch die Schilderungen, wie die Duisburger an diesen Auftrag kamen.

„Wir befinden uns etwa in den Jahren des Take-Offs der Duisburger Industriegeschichte“, blickt Pilger zurück. Der Betrieb war von Johann Caspar Harkort senior gegründet und später in zweiter Generation vom gleichnamigen Junior übernommen worden. Beide waren Kaufleute mit technischem Sachverstand. „Es gab in den Jahren viele Aufträge der Bahn, Brücken zu bauen“, erklärt Kanther. In Duisburg entstanden in den Harkortschen Werken etwa die zweite Hochfelder Rhein-Brücke sowie die Aakerfährbrücke.

Harkort war auf Baustellen weltweit im Einsatz

Der Kupferstich aus dem Jahr 1931 zeigt die Firma aus Duisburg-Hochfeld.
Der Kupferstich aus dem Jahr 1931 zeigt die Firma aus Duisburg-Hochfeld. © FUNKE Foto Services | repro: Oliver Müller

„Man vergisst immer, dass es in Duisburg einen hohen technischen Sachverstand gab. Hier war nicht nur Stahlerzeugung angesiedelt, sondern auch Stahlbau“, so Kanther. Harkort war nicht nur deutschlandweit, sondern auch auf Baustellen in Ägypten oder Südafrika unterwegs. Doch auf Brückenbauwerke hatten die Duisburger kein Monopol. Auch die Gutehoffnungshütte in Sterkrade und der Dortmunder Brückenbau C.H. Jucho waren in diesem Bereich aktiv. Als sich in den 1880er Jahren eine Konjunktur-Flaute abzeichnete, kam es dem Duisburger Betrieb also zupass, dass die Stadt Bremen sich an sie wandte. Sie wollte sich Rat holen, wie man einen Leuchtturm sechs Seemeilen vor der Nordseeinsel Wangerooge im Meer errichten konnte. Die Fachleute der Stadt dachten ursprünglich an Pfähle, doch eine solche Gründung hätten den tosenden Wellen nicht stand gehalten.

Die Experten aus Hochfeld entwickelte einen so genannten Caisson, einen Senkkasten, der im Meeresboden befestigt wurde. Der Leuchtturm besitzt eine Gesamthöhe von 52,5 Metern, die auch das Fundament unter Wasser mit einschließt. Bei Niedrigwasser beträgt seine Höhe über dem Meeresspiegel etwa 30,7 Meter. Dann ist auch das Fundament zu sehen.

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Akkurat ist der Entwurf in der Publikation aufgezeichnet. Womit Johann Caspar Harkort allerdings wohl nicht rechnete: Als 1880 der Auftrag ausgeschrieben werden sollte, verließ ein Mitarbeiter, der an den Vorbereitungen beteiligt war, den Betrieb und machte ein Angebot auf eigene Rechnung. Harkort unterlag – und kam später dennoch zum Zug. Der Konkurrent rief einen Preis von 455.000 Reichsmark auf. 853.000 kostete das Bauwerk anschließend. „Das ist wie bei der neuen A1-Brücke in Leverkusen. Erst wurde Stahl aus China eingekauft und dann hat man gemerkt, dass der sich nicht eignet und nahm Material aus Deutschland“, bemerkt Kanther trocken.

Leuchtturm wurde im zweiten Anlauf auf hoher See installiert

Was war passiert? „Zwar hat man es geschafft, den Caisson auf hohe See zu bringen, aber beim Absenken stand das Fundament auf einmal schief. Vielleicht war nicht genügend Beton in dem Kasten“, fasst Pilger die Malaise zusammen. So konnte es nicht bleiben – also war Harkort wieder im Rennen. „Für die war das Missgeschick ein Glück, weil sie viel gelernt haben.“ In einem zweiten Anlauf wurde der Turm von den Harkort-Leuten mit Luftkissen auf die Wasseroberfläche gehievt. Diese ließen das Monstrum sachte sinken. „Man muss sich allein den Transport vorstellen: Wenn das Schiff mit dem Turm in einen Sturm gekommen wär, wären alle über Bord gegangen“, so Kanther.

Hinzu kam das unberechenbare Wetter. Spätestens im Herbst gab es im Norden oft schwere Stürme. „Im Baujahr 1884 begann der regelrechte Betrieb schon im Februar und dauerte bis zum November unter fortgesetzten Unterbrechungen durch Wind und Wetter“, heißt es in der Schrift. Um die Baustelle auf hoher See zu überwachen, wurde ein Mann abgestellt, der alles im Blick behalten sollte. „Mit dem hätte ich nicht tauschen wollen, es gab ja weder Telefon noch Skype“, gibt Kanther zu.

Besagter Schlosser Hörenbaum, von seinen Chefs auch als „unerschrockener Wächter“ tituliert, überlebte den ungemütlichen Einsatz und dichtete unterdessen: „O, altes Jahr, fahr’ wohl mit deinen Stürmen! Du hast manch’ sorgenvolle Stunde uns gebracht. Doch furchtlos sah’n wir dir entgegen. Am elften, in der wüsten Nacht, ja ohn’ Erbarmen peitschtest du die Wellen hoch über unsern stolzen Bau hinweg. Du machtest ihn wie Wiege schwanken, doch er behauptet sein Recht (...) So soll es dennoch unsere Losung sein: Wir stehen heute so auch morgen grad wie die treue Wacht am Rhein.“ Ein weiteres Abenteuer überlebte Hörenbaum allerdings nicht. Seine Kollegen vermerken, dass er ein Jahr später bei der Montage an der Westküste vor Afrika einen Hitzschlag erlitt. Und auch die Firma des abtrünnigen Harkort-Mitarbeiters war nach diesem Desaster erledigt.

„Roter Sand“ wurde zum Sinnbild eines Leuchtturms

Der Leuchtturm Roter Sand gilt als erstes Offshore-Bauwerk der Welt und muss jetzt saniert werden.
Der Leuchtturm Roter Sand gilt als erstes Offshore-Bauwerk der Welt und muss jetzt saniert werden. © picture alliance/dpa/Deutsche Stiftung Denkmalschutz | Foto: Matthias Wagner

Harkort ging 1934 in der Deutschen Maschinenbau-Actiengesellschaft, Demag, auf. Das Wahrzeichen in der Deutschen Bucht hat seitdem zahlreiche Stürme überstanden, ist mittlerweile aber ziemlich marode. Von 1885 bis 1964 war der Turm bewohnt, bis 1986 brannte das Leuchtfeuer. Der „Rote Sand” mit seinen drei Erkern wurde zum Sinnbild eines Leuchtturms. Der Name bezieht sich übrigens auf seinen Standort in der Außenweser, einer Sandbank mit rotem Muschelkalk.

„Das älteste Offshore-Denkmal ist zwar eine geniale Ingenieurleistung des 19. Jahrhunderts, doch für die heutigen, seinerzeit nicht vorhersehbaren Belastungen, ist der Turm nicht präpariert,“ erläutert Diplom-Ingenieur Matthias Wagner, Projektarchitekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Seit 1987 hat die Stiftung mit dem Förderverein „Leuchtturm Roter Sand e.V.“ die regelmäßige Wartung übernommen. Seit der Übernahme belief sich der Sanierungsbedarf auf über eine Million Euro. Regelmäßig müssen Salzkristalle entfernt werden. „Die nicht vermeidbaren Korrosionsschäden betreffen längst auch die konstruktiven Bauteile. Die Untersuchungsergebnisse hinterfragen daher die dauerhafte Haltbarkeit des vor 130 Jahren entwickelten statischen Systems im Hinblick auf die nächsten Jahrzehnte“, heißt es von Seiten der Stiftung.

Bauwerk muss dringend saniert werden

Historische Darstellung der Baukonstruktion des Leuchtturms Roter Sand.
Historische Darstellung der Baukonstruktion des Leuchtturms Roter Sand. © FUNKE Foto Services | Repro: Oliver Müller

Akute Gefahr bestehe allerdings nicht: Das Bauwerk steht stabil. Materialproben der Außenbeschichtungen, klärt die Stiftung auf, hätten aber erhebliche PCB- und Bleiwerte ergeben. „Dringend notwendige Arbeiten an der Außenhaut sowie ein neuer Korrosionsschutz sind so in Anbetracht der Giftstoffbelastung nur unter strikten Arbeitsschutzmaßnahmen und mit hohem Aufwand möglich.“ Nicht nur die Nähe des Welterbes Wattenmeer erfordere eine Einhausung, die in Anbetracht von Sturm und Tide vor Ort technisch kaum möglich ist.

Der Bund und die Stiftung wollen nun ein Konzept für den Erhalt des maritimen Denkmals erarbeiten. Dabei spielt auch die Zugänglichkeit für Besucher eine wichtige Rolle. Bis 2012 konnten Ausflügler dort sogar übernachten. Die Reise dorthin kann man sich ähnlich abenteuerlich vorstellen wie früher: Vom Schiff kraxelte man per Leiter hinauf – drumherum toste das Wasser.

Die Technik, den Turm mit einem Senkkasten zu verbinden, hat sich übrigens bewährt. Nach gleicher Bauart werden auch heute noch Bohrinseln und Offshore-Windparks errichtet.