Duisburg. In der Kinderklinik des Helios St. Johannes ist auch an Feiertagen Hochbetrieb. Was auf den Stationen los ist und warum Triage am Eingang steht.
Während und zwischen den Feiertagen herrscht in der Kinderklinik im Helios St. Johannes Krankenhaus in Duisburg-Hamborn Hochbetrieb. „Urlaub macht bei uns niemand“, sagt Chefarzt Dr. Peter Seiffert. Ein atemloser Klinik-Besuch zwischen Visite, Sprechstunde, chirurgischen Eingriffen, medizinischen Erfolgen – und traurigen Nachrichten.
So eine kam gerade per Telefon: Ein Jugendlicher, der an Covid-19 erkrankte und den er wegen des schweren Verlaufs an eine Uni-Klinik verlegen ließ, ist nach wochenlanger Behandlung an der Herz-Lungen-Maschine verstorben.
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Coronafälle, Erkrankungen mit RS-Viren, PIMS - die Pandemie in der Kinderklinik
„Das ist zum Glück sehr selten“, sagt Seiffert, kalt lässt es ihn auch nach über 20 Jahren als Chefarzt nicht. Im Schnitt kommen zwei Coronafälle pro Woche zu ihm, das gleiche gilt für Erkrankungen mit RS-Viren - oder beidem gleichzeitig, was seit August mehrfach zu beobachten war.
Hinzu kamen nach jeder Corona-Welle auch PIMS-Fälle, jene Covid-Spätfolge bei Kindern, bei der sich das Immunsystem aufgrund verschiedenster Symptome überschlägt.
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Das alles erzählt er, während wir im Stechschritt durch das Krankenhaus eilen. Vier Etagen herunter, eine wieder rauf, zweimal links, dreimal rechts, immer nimmt er die Treppen, nie den Aufzug, völlige Orientierungslosigkeit bei den Mitlaufenden. „Der Neubau ist schön“, sagt Seifert, auch da ist eine seiner vier Stationen untergebracht. Der Rest ist ein großes Provisorium. Und das bei vollem Betrieb. Zwei Jahre wird es noch dauern, bis die Kinderklinik alle Stationen an einem Ort zusammenziehen kann.„Ich laufe gerade noch mehr Kilometer als sonst“, sagt er – und eilt schon wieder vor, die Visite wartet, eine Bronchoskopie steht an, danach noch eine Videokonferenz, hier muss er noch kurz die Lunge eines Kindes abhören, da eine Abstimmung mit den Kollegen treffen.
Triage ist in der Kinder-Notfallambulanz tägliches Geschäft
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Triage steht neben dem Eingang der Kinder-Notfallambulanz. Mit dem Begriff beschäftigen sich derzeit Gerichte, in Zusammenhang mit Corona ist er Sinnbild für eine Drohkulisse, für die Überforderung des medizinischen Systems, die vor allem an Intensivstationen eintreten könnte.
Hier meint es den ganz normalen Entscheidungsalltag: Fachkräfte bestimmen, ob das soeben vorgestellte Kind ein akuter Notfall ist, ob zehn Minuten Warten möglich sind oder auch mehr. „Bei Kindern ist das nicht einfach, sie reden ja nicht. Und wenn es sich um infektiöse Krankheiten wie Windpocken handelt, muss die Familie sofort separiert werden“, nennt der Arzt Beispiele.
Belastend sei für sein Team, dass bei den Wartenden oft Unmut entsteht, wenn gerade angekommene Patienten sofort drankommen, „da gibt es viele Diskussionen“, bedauert Seiffert. Allein in diesem Jahr kamen bis vor Weihnachten bereits über 10.350 ambulant vorgestellte Kinder zusammen. Zur Wahrheit gehört auch: Nicht jeder war ein Notfall.
Bügelbilder: Schön, aber gefährlich
Weiter geht es zu einer Station, an den Fenstern kleben bunte Bilder, die Wände sind farbig, vielerorts ist es noch weihnachtlich geschmückt. Im Spielzimmer ist Elisa Marie gerade dabei, Bügelbilder zu basteln. Ein Hund ist schon fertig. Dr. Seiffert mahnt zur Achtsamkeit, dass nichts auf den Boden fällt. Schon häufiger habe er solche Perlen aus den Bronchien von Kleinkindern holen müssen. Die Diagnose sei allerdings gar nicht so einfach, „Plastik sieht man auf Röntgenbildern nicht“.
Die Siebenjährige hatte während der Feiertage einen allergischen Schock, in der ungünstigen Kombination mit Asthma ergab das eine Luftnot, die sie auf die Intensivstation brachte – inzwischen geht es ihr besser, bald darf sie heim.
Kinderpflegerin Eweline Kowol berät derweil eine Kollegin, die Spielmaterial für ein Kind im Isolierzimmer sucht. Seit 20 Jahren macht sie diesen Job mit Begeisterung, „die Kinder spielen hier unheimlich gern, sogar Jugendliche, die zuhause mehr vor der Konsole sitzen, kommen und spielen Uno oder Skip Bo.“ Auch der Redebedarf sei groß. Nur das Bücherregal sei über die Jahre immer mehr zusammengeschrumpft.
Kowol ist auch die Weihnachtsfrau, bringt Geschenke zu den Kindern und versüßt so die Zeit im Krankenhaus. Oberarzt Dr. Robert Schmitz sammelt dafür seit einigen Jahren Präsente für das Projekt „Weihnachten im Schuhkarton“.
Mutter ist seit über zwei Monaten mit ihrer Tochter im Krankenhaus
Auf der Intensivstation geht es in diesen Tagen in mehreren Fällen um Leben und Tod, eine Belastung für das ganze Team, sagt Seiffert. Die vierjährige Eda lag dort zweieinhalb Wochen, auch jetzt, auf der regulären Station, steckt in ihr noch nicht viel Energie, schlapp liegt sie im Bett. Ein seltener Gendefekt, eine chronische Darmentzündung, die Liste der Belastungen, die Mama Alev aufzählt, ist lang. Sie lebt seit über zwei Monaten mit dem Kind im Krankenhaus, die Großeltern kümmern sich um ihre beiden anderen Kinder. Entspannung findet sie nur bei kleinen Spaziergängen rund ums Gelände. Aber nach einem langen Ritt durch viele Krankenhäusern und bei vielen Experten ist sie „einfach nur froh, dass wir hier gelandet sind“.
Mehr Energie ist im Zimmer von Greta zu spüren. Die Zweijährige verbrachte nach der dritten Lungenentzündung des Jahres die Feiertage im Krankenhaus. Schon ist sie fit genug, auf Mamas Schoß herumzuturnen. Die Sauerstoffschläuche sind mit Pflaster in Herzchenform auf ihren Wangen fixiert.
Am zweiten Weihnachtstag in die Notfallambulanz
Die Besuchseinschränkungen überbrückten sie mit Videoanrufen, hielten so Kontakt zu Papa und der großen Schwester. Und Weihnachten werden sie nachfeiern, sagt Mama Claudia Turinsky, „wir waren einfach froh, hier zu sein, alle Ärzte und Schwestern sind total nett“.
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Im nächsten Zimmer zieht Nele ihren kleinen rosa Koffer durchs Zimmer. Klarer Fall, die Dreijährige möchte nach Hause. Papa Marcel Loth ist mit ihr nach tagelangem hohem Fieber am zweiten Weihnachtstag doch noch in die Notfallambulanz gefahren – und blieb direkt da. Gegen die Lungenentzündung halfen Antibiotika. Er ist froh, dass es ihr deutlich besser geht. Bald gehts heim zur Mama, die mit dem zweiten Kind schwanger ist.
Spezial-Ambulanzen für verschiedene Fachgebiete
Manche Kinder sehen die Ärzte in regelmäßigen Abständen wieder. Zur Klinik gehören Spezial-Ambulanzen für Erkrankungen an Herz oder Lunge, für Fachgebiete wie Diabetologie, Gastrologie, Nephrologie, Epileptologie – 4129 Kinder wurden in diesem Jahr bereits untersucht, sagt Seiffert. Dazu gehört auch Tiana, die in ihrem kurzen Leben schon einiges mitgemacht hat.
Die Siebenjährige erkrankte an Nierenkrebs, eine Niere wurde ihr entfernt. Die Folgen des Tumors und der Medikamente beeinflussen ihren Blutdruck und so muss sie regelmäßig zur Nachsorge. Die Zeit zwischen den Jahren hat die Familie aus Schermbeck für eine 24-Stunden-Kontrolle ihres Blutdrucks genutzt, erzählt Papa Jörg Guth.
Tiana ist „im Prinzip“ gesund, sie geht in die zweite Klasse, ist als Cheerleaderin aktiv. Dennoch sei nach jeder Kontrolle die Erleichterung groß, wenn wie jetzt auch „alles gut“ ist. Seiffert verabschiedet sich bei der Kleinen Faust auf Faust und eilt weiter. Der Tag ist noch lang, wir haben ihn kaum zwei Stunden begleitet.
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>>DIE KINDERKLINIK
- In der Kinder- und Jugendklinik arbeiten 20 Fachärztinnen und Fachärzte, einige in Teilzeit. Hinzu kommen 16 Ärzte, die sich in der Weiterbildung zum Facharzt befinden.
- Im Pflegedienst arbeiten 114 Kräfte auf 71 Vollzeitstellen, „fast alle sind examinierte Kinderkrankenschwestern“, sagt Dr. Peter Seiffert.
- Die Personaldecke sei dünn, weil etwa bei Schwangerschaften die Kolleginnen sofort wegfallen und die Stellen nicht gleich nachbesetzt werden können.