Berlin. Das Triage-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist richtig. Es darf aber nicht zu einem Zwangskorsett für Ärztinnen und Ärzte führen.
Es ist die schlimmste Entscheidung, die Mediziner treffen müssen: bestimmen, welche Patientinnen oder Patienten aufgrund eines Mangels an Intensivbetten behandelt werden und welche nicht. „Triage“ heißt dieses Notfallszenario im Fachjargon. Ein Schritt, der Leben oder Tod bedeutet. Ärztliches Personal schreckt dieser Moment ebenso wie die Kranken, die Angehörigen oder die Freunde der Betroffenen.
Die Verschärfung der Corona-Pandemie hat in etlichen Krankenhäusern bereits zu bedrohlichen Engpässen geführt. In Einzelfällen mussten Ärzte eine Auswahl vornehmen, wer ein Intensivbett oder ein Beatmungsgerät bekommt und wer in ein anderes Hospital ausgeflogen wird.
Die hoch ansteckende Omikron-Variante wird diese Notlage noch verschlimmern. Denn mit der erwartet starken Zunahme an Neuinfektionen wächst automatisch die Zahl der Menschen, die wegen Covid-19 in die Kliniken eingewiesen werden.
Verfassungsgericht: Behinderte Menschen dürfen nicht benachteiligt werden
Das Triage-Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommt deshalb zur rechten Zeit. Die Richter haben bei diesem extrem schwierigen Thema Leitplanken für ein Gesetz formuliert. Wichtig ist der Grundsatz, dass „Leben nicht gegen Leben abgewogen werden darf“. Das heißt, jedes Leben ist per se schutzwürdig.
Ein weiteres bedeutendes Kriterium: Die Auswahl muss nach „der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ vorgenommen werden. Dahinter steckt die Mahnung, Behinderte und chronisch kranke Menschen nicht zu benachteiligen. Den Schutz dieser Gruppe hat das Gericht dem Gesetzgeber ausdrücklich ans Herz gelegt. Auch das Mehraugenprinzip bei der heiklen Entscheidung der Mediziner ist ein wertvoller Hinweis.
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Corona: Ärzte dürfen keine Zeit wegen dem Gesetzgeber verlieren
Trotz der Anregungen in dieser ethisch vielschichtigen Gemengelage hat Karlsruhe auch festgelegt: Das ärztliche Personal trägt im jeweiligen Einzelfall die letzte Verantwortung. Der Staat kann nicht die Instanz sein, die beschließt, wer in einer Notsituation ein Intensivbett erhält. Medizinerinnen und Mediziner dürfen nicht kostbare Zeit durch die Auslegung von Gesetzestexten verlieren. Und wenn jede Minute zählt, sollten Krankenhäuser handlungsfähig sein, ohne durch Rechtsabteilungen blockiert zu werden.
Der Bundestag muss nun zügig ans Werk gehen, um ein Triage-Gesetz zu konzipieren und zu verabschieden. Ein zu konkret formuliertes Zwangskorsett für die Ärztinnen und Ärzte gilt es aber zu verhindern. Der Fingerzeig der Karlsruher Richter: Dem Gesetzgeber komme „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum“ zu. Den sollte er beherzigen.
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Eine Triage muss verhindert werden – dafür sind wir alle gefordert
Trotz des begrüßenswerten Urteils: Die oberste Maxime muss es sein, alles zu tun, um eine Triage zu verhindern. Das Coronavirus ist erschreckend anpassungsfähig und gefährlich. Selbst eine Dreifachimpfung, die vor Kurzem noch als Königsweg der Prävention gegen Covid-19 gefeiert wurde, bietet keine vollständige Sicherheit – obwohl sie deutlich mehr schützt als ein Doppel-Piks.
Spanien hatte sich auf einer hohen Quote an vollständig Geimpften ausgeruht. In vielen Restaurants und Bars herrschen weder 2G- noch 3G-Regeln. Nun schießt die Zahl der Neuinfektionen wieder steil nach oben.
Gegen Covid-19 gibt es noch kein Allheilmittel. Nichts bietet derzeit einen Freifahrtschein in die alte Normalität vor Corona. Aber es existiert ein breites Bündel an Sicherheitsmaßnahmen, um das Risiko zu minimieren.
Möglichst viele Booster-Impfungen gehören ebenso dazu wie Masken-Disziplin, Sicherheitsabstand, 2G-plus-Regeln in geschlossenen Räumen und das Meiden großer Menschenansammlungen. Um den Horror der Triage zu umgehen, ist die Gesellschaft als Ganzes gefordert. Jeder Einzelne.