Duisburg. Duisburger Seniorinnen erklären, warum sich seit der Impfung viel im Altenheim verändert hat. Geschichte von Verzicht, Tränen und Zusammenhalt.
Mehr als 844.000 Corona-Impfungen hat es bislang in Summe laut der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein in Duisburg gegeben. Eine der ersten Spritzen in der Stadt an Rhein und Ruhr haben genau vor einem Jahr Liane Albrecht und Christine Meyer erhalten. „Wir wussten, dass es notwendig war und haben nicht gezögert“, sagen die Bewohnerinnen des Peter-Kuhn-Hauses in Obermeiderich. Was hat sich ein Jahr später im Altenheim verändert?
Der Tag der Impfung, für die Seniorinnen der 29. Dezember 2020, war mit vielen Hoffnungen verbunden. Statt der Berg- und Talfahrt sollte es endlich mit Vollgas in Richtung Normalität gehen. Liane Albrecht, 88 Jahre, und Christine Meyer, 60 Jahre, hatten tags zuvor ein Plakat gebastelt: „Ich möchte Danke sagen für die Impfung“, steht in bunten Buchstaben auf gelbem Papier. Ein Piks sollte alles verändern. Besuchsverbote, keine gemeinsamen Essen im Speisesaal, kaum Aktivitäten und das Gefühl, eingesperrt zu sein… die Liste der Entbehrungen ist lang.
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Die ersten Impfungen in Duisburg: Eine Karawane der Hoffnung in Rollstühlen
Das Impfzentrum im Theater am Marientor war zu jener Zeit noch geschlossen, stattdessen wurde in kürzester Zeit im Evangelischen Christophoruswerk die nötige Infrastruktur geschaffen. 12 Kabinen wurden aufgebaut, etwa 50 Mitarbeiter waren im Einsatz. Wer sonst etwa am Empfang die Angehörigen begrüßt, holte nun die Bewohner ab, die aufgereiht in einer Karawane der Hoffnung mit ihren Papieren um den Hals in Rollstühlen warteten. „Ab in die Kabine, Ärmel hochgekrempelt, piksen – raus“, beschreibt Christine Meyer den Ablauf, der einigen Menschen schwerfällt.
Niemals hätten die beiden Frauen gedacht, dass das Virus ein Jahr später immer noch den Alltag bestimmt. Egal ob Delta oder jetzt das Schreckgespenst Omikron – „Corona ist scheiße“, sagt die 60-Jährige ungeschönt. Noch immer gibt es Einschränkungen, noch immer können sich die Bewohner nicht völlig selbstbestimmt bewegen, was Christine Meyer gar nicht anders kennt, weil sie erst in Zeiten von Corona ihr Zimmer auf der Station im Erdgeschoss bezogen hat.
Warum die Impfungen in Altenheimen viel verändert haben
Und trotzdem hat die Immunisierung viel im Altenheim-Alltag verändert: Gibt es einen Corona-Ausbruch, sind die Verläufe der Erkrankten deutlich milder. Ohne Notarzteinsatz und bislang ohne den letzten Abschied. Das sei in der ersten Welle noch ganz anders gewesen und mehrere Erinnerungskerzen säumten die Trauerweide im Garten.
Erst vor wenigen Wochen gab es noch einen Corona-Ausbruch auf Station. Eine der Betroffenen: Liane Albrecht. Wo und wie sie sich angesteckt hat, darüber kann die dreifach geimpfte 88-Jährige nur mutmaßen. „Ich hatte starken Husten“. Mit Honig von den Bienenstöcken im Garten versuchte sie das Kratzen im Hals zu lindern, die Pflegerinnen sieht sie in der Quarantäne nur von Kopf bis Fuß vermummt.
Corona-Ausbruch auf der Station: Pfleger singen vor der Tür
Ihre Erinnerung lebt aber auch von den bewegenden Momenten, etwa als das Pfleger-Team singend vor ihrer Tür steht. Briefe, die sie von anderen Bewohnern in der Quarantäne bekommen hat. „Ich durfte ja mit niemanden sprechen“, sagt Liane Albrecht, die früher gerne mit ihrem Mann Motorrad gefahren ist oder neben ihm im Segelflieger Platz genommen hat. „Als mir dann gesagt wurde: ‘Frau Albrecht, sie sind gesund’ – habe ich als Erstes meinen Bruder angerufen“, und noch immer lösen die Gedanken in der ehemaligen Finanzbuchhalterin Freudentränen aus.
Corona-Krise in Duisburger Altenheimen – ein Pfleger erzähltDie Corona-Krise hat der 88-Jährigen ganz neue Einblicke in das Leben ermöglicht. „Das mit dem Toilettenpapier…. Ja, sind die denn alle verrückt?“, erinnert sie sich an die Hamsterkäufe zurück und endet letztlich bei Lebensmittelkarten, die im Krieg verteilt wurden. „Wir haben damals wegen Brot angestanden“ – und am Ende der langen Schlange habe es oft gar nichts mehr gegeben und man habe sich trotzdem zu helfen gewusst. Es sei auch der Umgang mit Krisen und Herausforderungen, den junge Menschen in Zeiten von Corona von der älteren Generation lernen könnten.
Corona: Manche Senioren sind müde
Und es gibt auch die Senioren im Altenheim, die müde geworden sind und kein Ende in der Krise sehen. Die wenig Hoffnung haben und das Wort Corona nicht mehr hören können, erzählen die Seniorinnen, die den Optimismus in dieser Situation eint. „Ich wünsche vor allem den Kindern, dass es bald aufhört“, sagt Christine Meyer selbstlos. Damit solche Fragen ihres kleinen Enkels enden: „Warum können wir nicht kuscheln? Warum kann ich dich nicht küssen?“
>> PFLEGER IN ZEITEN VON CORONA
- Auch das Personal im Peter-Kuhn-Haus hatte mit den Impfungen große Hoffnungen verbunden. Bei der zweiten Impfung zogen die Pflegerinnen und Pfleger T-Shirts mit der Aufschrift: „Coronabesieger“ an.
- Aufgrund der teils harten gemeinsamen Erfahrungen sei das Verhältnis zwischen Bewohnern und Pflegekräfte noch einmal enger geworden, berichten Anna Najdrowski und Dagmar Frey. „Wir haben immer die Sorge, Mitmenschen zu gefährden.“