Duisburg. Im November 2011 wurde die Großskulptur „Tiger & Turtle“ von Heike Mutter und Ulrich Genth eröffnet. Ihre Strahlkraft für Duisburg hat gelitten.

Selten hat zeitgenössische Kunst eine solche Erfolgsgeschichte geschrieben wie die begehbare Großskulptur „Tiger & Turtle – Magic Mountain“ von Heike Mutter und Ulrich Genth. Am 7. November 2011 eingeweiht, wurde sie mit leuchtenden Augen und einem Feuerwerk in Duisburg begrüßt.

Die Feierfreude zum zehnten Geburtstag von „Tiger & Turtle“ ist getrübt. Der rasante Aufstieg der „Achterbahn“ zum Touristenziel und gefragtesten Fotomotiv der Stadt, ihre Beliebtheit bei den Duisburgern, die weltweite Strahlkraft der Landmarke – das alles hat sie nicht geschützt vor dem eisern gehaltenen Expansionskurs von Duisport. Seit gut einem Jahr beeinträchtigt eine Logistikhalle den Blick auf die Großskulptur.

Ende eines schmutzigen Kapitels Duisburger Industriegeschichte

Dabei war „Tiger & Turtle“ eigentlich die Krönung über das Ende eines schmutzigen Kapitels Industriegeschichte. Hatte doch die 2007 gesprengte Zinkhütte in Wanheim-Angerhausen eine Giftdeponie und hunderte mit Schwermetallen verseuchter Kleingärten in Wanheim-Angerhausen hinterlassen. Die Reste der Hütte wurden zu einer Halde aufgetürmt und verschlossen, der nach dem Heimatforscher Heinrich Hildebrand benannte Hügel als Teil des Angerparks sollte mit einem Kunstwerk veredelt werden.

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2009 wurde mit Blick aufs Kulturhauptstadtjahrein Künstlerwettbewerb ausgeschrieben, kurz nachdem der Bebauungsplan beschlossen worden war, der Duisport den Weg frei machte für die Bebauung des Areals. Doch der geriet vorerst in Vergessenheit. Die Skulptur wurde gebaut, unterstützt von einem Netzwerk heimischer Unternehmen. Mit dem verzinkten Stahl als Material ihres Werkes nahmen die beiden Künstler die Vorgeschichte des Standortes auf.

Örtliche Unternehmen haben sich beteiligt

„Tiger & Turtle“ auf der Heinrich-Hildebrand-Höhe in Wanheim-Angerhausen ist auch aus der Vogelperspektive ein spannendes Motiv.
„Tiger & Turtle“ auf der Heinrich-Hildebrand-Höhe in Wanheim-Angerhausen ist auch aus der Vogelperspektive ein spannendes Motiv. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Von der Höhe blickt man auf die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann, wo die bis zu 13 Meter langen und 32 Zentimeter breiten Rohre auf ihren Einbau vorbereitet, vermessen, vorgeschweißt und begradigt wurden. Für den früheren HKM-Personalchef Peter Gasse, der von seinem Sitz aus auf die Kunst-Achterbahn schauen konnte, waren sie ein Symbol für die Bedeutung der heimischen Stahlproduktion, denn „das hier ist ein real existierendes Hüttenwerk, keine Folklore“.

Zum Kulturhauptstadtjahr 2010 konnte die Skulptur zwar nicht fertig werden, aber vom Etat für das Kunstwerk, das zwei Millionen Euro gekostet hat, profitierte Duisburg als „Hafen der Kulturhauptstadt“. Außerdem gab es weitere Landesmittel, und neben HKM beteiligten sich Vallourec & Mannesmann Tubes, die Sparkasse und die Stadtwerke Duisburg.

In zwei Monaten aufgebaut

Gruppenbild mit auf „Tiger & Turtle“: Hier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Helios St. Anna Krankenhaus in Huckingen, die im Juni fürs Brustzentrum gelaufen sind, mit OB Sören Link.
Gruppenbild mit auf „Tiger & Turtle“: Hier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Helios St. Anna Krankenhaus in Huckingen, die im Juni fürs Brustzentrum gelaufen sind, mit OB Sören Link. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Die Fundamente wurden im August 2010 gelegt, der Aufbau der der 90 Tonnen schweren Konstruktion mit einer Gesamtstrecke von 220 Metern wurde im Juli 2011 begonnen, und schon am 13. September wurde letzte Hand angelegt mit dem millimetergenauen Einsetzen des Loopings. Die Krönung des 35 Meter hohen Hügels, den man seither über die Treppen 220 Stufen der Skulptur bis auf 47 Meter besteigen kann. Bei guter Sicht blicken Besucher von der im Wind leicht schwankenden Konstruktion über die Industrielandschaft, den Verlauf des Rheins und bis in die Duisburger Innenstadt und nach Düsseldorf.

Die Künstler beschrieben ihr Werk so: „Tiger and Turtle nimmt über die in ihm angelegte Dialektik von Geschwindigkeit und Stillstand Bezug auf die Umbruchsituation in der Region und deren Wandel durch Rückbau und Umstrukturierung. Indem die Skulptur die dem Bild der Achterbahn anhaftenden Erwartungen ad absurdum führt, reflektiert sie ihre eigene Rolle als potenzielles überregionales Wahrzeichen, welches zwangsläufig als Bild vereinnahmt wird. Sie stellt der Logik des ewigen Wachstums eine absurd‐widersprüchliche Struktur entgegen, die sich einer eindeutigen Interpretation widersetzt.“

Lieblingsmotiv der Fotografen

Eine eindeutige Interpretation mag es nicht geben, aber die Strahlkraft der Skulptur ist eindeutig hoch. Der Schwung und die Leichtigkeit haben eine eine magische Anziehungskraft. Der 100.000 Besucher wurde schon im Juni 2012 begrüßt, der erste Geburtstag am 7. November gefeiert. Es gab keine Proteste, vielmehr verlangten Bürger und Bezirksvertretung energisch nach einer Öffnung auch nachts. Allenfalls fehlende Parkplätze wurden bemängelt.

Zur „blauen Stunde“, nachts beleuchtet oder tags silbrig glänzend im Sonnenschein, wurde die Skulptur fortan zu einem Lieblingsmotiv für Fotografen aus aller Welt, für Werbe- und Modeshootings. Sie ziert die Titelseiten von Magazinen oder Startbildschirme auf Windows-Computern. Auf Tripadvisor bekommt sie vier von fünf Punkten, und die Empfehlung „Immer einen Ausflug wert“, in Reiseführern wird sie nicht nur als Geheimtipp empfohlen, ihr Motiv ziert den städtischen Internetauftritt unter www.duisburg.de.

Die brutalen Folgen der Logistikindustrie

Die monströse Lagerhalle verdeckt seit gut einem Jahr die Sicht auf „Tiger & Turtle“.
Die monströse Lagerhalle verdeckt seit gut einem Jahr die Sicht auf „Tiger & Turtle“. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

„Neben der nach wie vor aktiven Stahlindustrie in unmittelbarer Nachbarschaft ist der Angerpark ein Beleg für den produktiven Umgang der Stadt Duisburg mit ihrer industriellen Vergangenheit“, heißt es auf der Informationstafel am Zugang zu „Tiger & Turtle“. Bedauerlicherweise wurde sie 2020 auch zum Beleg für die brutalen Folgen der Logistikindustrie.

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Konnte doch der Hafen nicht daran gehindert werden, auf dem im 2008 verabschiedeten Bebauungsplan festgelegten Gelände für die Entwicklung von Logport II eine zehn Meter hohe Halle so nah an den Fuß der Skulptur zu bauen, dass seither der Blick von der Ehinger Straße auf die Skulptur verhunzt ist. Als die Proteste der Bezirksvertretung und wütender Anwohner einsetzten, hatte den Bebauungsplan niemand mehr auf dem Schirm. Duisport durfte bauen und tat es rücksichtslos: 15.000 Quadratmeter, zwölf Meter hoch.

Die Künstler waren fassungslos und enttäuscht von der Stadt, viele Duisburger sahen sich daran bestätigt, dass der Hafen alles darf. Der damalige Hafenchef Erich Staake konterte die Proteste hochmütig: „Tiger & Turtle“ sei schließlich kein Weltkulturerbe. Die Lagerhalle war noch im Mai 2021 nicht vollständig vermietet. Und es geht weiter: Auf der Mercatorinsel will Duisport eine 300 Meter lange, 85 Meter breite und zwölf Meter hohe Halle bauen – vor der Skulptur „Rheinorange“.

>>Sonderführungen „10 Jahre Tiger and Turtle“

  • Duisburg Kontor hat zum zehnjährigen Bestehen von „Tiger & Turtle“ ein Führungsprogramm mit einstündigen Touren organisiert, bei dem die Teilnehmer Wissenswertes über das Kunstwerk erfahren. Es gibt auch Termine in der Abenddämmerung, wenn die Skulptur leuchtet.
  • Die Führungen starten am Samstag, 13. November, und Sonntag,14. November, jeweils um 15 und 18 Uhr. Eine Taschenlampe und festes Schuhwerk sind erforderlich. Tickets (Erwachsene 10, Kinder von acht bis 13 Jahren 5 Euro) gibt es bis Freitag, 12. November, in der Tourist Information an der Königstraße 86 und unter www.duisburg-tourismus.de. Es gilt die 2G-Regel ab dem 13. Lebensjahr.