Duisburg. Mit dem Still-Leben erlebte Duisburg auf sechs Kilometern A 40 eine Riesen-Party. Doch zwischen Höhenflug und Absturz lag keine Woche.
Zwischen Höhenflug und Absturz lag keine Woche. Am 18. Juli 2010 hat das Ruhrgebiet mit dem Still-Leben A 40 seine größte, schönste und aufsehenerregendste Party gefeiert. Es war der Höhepunkt im Kulturhauptstadtjahr, das auch Duisburg schon bis zur Halbzeit ein Füllhorn aufregender Veranstaltungen beschert hatte. Sechs Tage später erlebte der „Hafen der Kulturhauptstadt“ mit der Loveparade seine Katastrophe.
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An diesem Sonntag des Still-Lebens aber war alles Sonnenschein. Tatsächlich fingen sich viele in der Hitze des Tages einen Sonnenbrand ein. Ich auch. Aber das spielte nach den sechs Kilometern Fußmarsch von der Anschlussstelle Häfen bis zum Kreuz Kaiserberg auch keine Rolle mehr. Sechs Kilometer Programm, Tausende von fröhlich feiernden Menschen an den 2000 Biertischen auf der gesperrten Autobahn im Stadtgebiet – das bleibt ein einmaliges Erlebnis.
Die 33. Duisburger Akzente stellten Ruhrort in den Mittelpunkt
Dabei war das Jahr schon ereignisreich gewesen. Mit den 33. Duisburger Akzenten im Hafenstadtteil Ruhrort zum Beispiel. 60.000 Besucher waren zur Eröffnung mit dem gigantischen Theaterspektakel der katalanischen Gruppe „La Fura dels Baus“ geströmt, das Hauptsponsor Haniel möglich gemacht hatte. Die Local-Heroes-Woche wurde zum Auftakt für eine Neuentdeckung Ruhrorts mit bewegenden Theaterproduktionen an besonderen, vergessenen Orten. Gelbe Ballone waren aufgestiegen auch über 18 ehemalige Schachtanlagen in Duisburg.
Auf unscheinbare Orte hat der Künstler Jochen Gerz mit seinem Projekt „2-3 Straßen“ die Aufmerksamkeit gelenkt – in Duisburg auf Hochfeld. Die große Ausstellung „Die Schönheit der großen Straße“ machte die A 40 zum Kunstort. Horst Wackerbarth fotografierte Menschen und die Löwen im Zoo, die sein rotes Sofa prompt zerfetzten.
2000 Tische auf sechs Kilometern Autobahn in Duisburg
Zum spektakulärsten Erlebnis wurde dann aber das Still-Leben. Schon das Vorhaben, mit der A 40 die zentrale Verkehrsader des Ruhrgebiets für 31 Stunden für Autos zu sperren, erschien verrückt. Am Vorabend des 18. Juli passierte es tatsächlich. Das THW baute über Nacht Tische und Bänke auf, und der Still-Leben-Sonntag begann mit Stillstand. So groß war der Andrang, dass die Radler anfangs auf der Mobilitätsspur in Richtung Moers erstmal schieben mussten.
Das angekündigte „Fest der Alltagskultur“ enthüllte, was nicht nur Ruhrgebietsmenschen am liebsten machen: Mit Familie und Freunden feiern. Mit Bollerwagen und Hackenporsche waren Kuchen, Nudelsalat und die vorgeschriebenen Plastikflaschen angerollt, an den meisten der privat gebuchten Tische waren Geburtstagsrunden an der längsten Tafel der Welt versammelt.
Staunend über den heißen Asphalt gelaufen
Außerdem gab es ein erhöhtes Aufkommen von: Karnevalsvereinen, Kegelclubs, Karten- und Brettspielern, Tanz-, Mal- und Musikbegeisterten. Auf drei Bühnen gab es Programm. Friedlich feiernde Menschen aller Generationen blieben ebenso in Erinnerung wie – als eines der tausend unvergesslichen Bilder – die „100 Bräute aus Marxloh“. Und stets begleitete ein ungläubiges Staunen den Weg über den heißen Asphalt: Wo sonst ununterbrochen Autos und Lkw rollen, wo es laut ist und nach Abgasen stinkt, genießen es Menschen, beisammen zu sein. Oder im Autobahnkreuz Fußball zu spielen.
Die Euphorie hielt noch wenige Tage. Sie verschwand am nächsten Wochenende unter dem Entsetzen der Loveparade-Katastrophe, der Trauer um die Opfer und der Scham über eine Stadtspitze, die jede Verantwortung von sich wies. Das Kulturhauptstadtjahr ging mit großen Ereignissen weiter wie Gustav Mahlers „Sinfonie der Tausend“ in der Kraftzentrale des Landschaftsparks mit 1300 Mitwirkenden unter Lorin Maazel oder mit der Lichtkunst-Ausstellung „Twilight-Zone“ im Innenhafen.
Die Unbeschwertheit des Still-Lebens A 40 kehrte 2010 nicht zurück. Aber sie bleibt auch nach zehn Jahren in lebendiger Erinnerung.