Duisburg. OB Sören Link verweist auf Integrationsprojekte, sagt aber auch: Ein „Großteil“ der Bulgaren und Rumänen halte sich illegal in Duisburg auf.
Corona hat nochmals verdeutlicht: Duisburg ist eine zweigeteilte Stadt. Über diese Armut und seine Antworten spricht Sören Link (45) im zweiten Teil unseres Interviews mit dem Oberbürgermeister. Darin kritisiert Link zudem die Rassismus-Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung und erklärt seine Behauptung, „ein Großteil der etwa 9000 rumänischen und 14.000 bulgarischen Staatsangehörigen in Duisburg hält sich hier illegal auf“.
■ Zum ersten Teil des Gesprächs: Sören Link über die OB-Wahl 2025 und Baupläne für die Dünen
Armut und Wohlstandsgefälle, Bildungs-, Sprach- und Informationsdefizite nicht integrierter Menschen – Corona hat die großen sozialen Probleme Duisburgs wie unter einem Brennglas hervorgehoben. Was haben Sie als OB seit 2012 dagegen getan?
Es gibt für Duisburg und das Ruhrgebiet keine einfache Lösung der sozialen Frage, und sie wird für Duisburg auch in Düsseldorf, Berlin und Brüssel beantwortet. Wir sind in Duisburg besonders froh, dass es in NRW endlich zwei beitragsfreie Kita-Jahre und bundesweit das Starke-Familien-Gesetz für mehr Teilhabe und Bildung gibt. Solch einen Strukturwandel wie im Ruhrgebiet gab es in Europa noch nicht, und er ist uns trotz der vielen Probleme gut gelungen. Als Sozialdemokrat war es immer mein Ansatz, diese Probleme durch Arbeitsplätze zu bekämpfen. Vor Corona waren wir erfolgreich dabei, neue Jobs in Duisburg zu schaffen, und da werden wir weitermachen, beispielsweise mit dem Technologiepark im Norden von 6-Seen-Wedau. Im Bildungsbereich sind wir bei vielen Bausteinen Vorreiter gewesen, beim kostenlosen Büchereiausausweis für Kinder oder beim Sportgutschein, mit dem alle Kinder kostenlos ein Jahr Mitglied in einem Sportverein werden können. Wir wollen jetzt die Familienzentren weiterentwickeln, weil wir sehen, dass die notwendige Begleitung vieler Familien mit der Schule abbricht. In Marxloh wollen wir darum nun die Grundschulen zu Familienzentren machen.
Weiterhin problematisch ist die Situation vieler aus Rumänien und Bulgarien Zugewanderter. Was unternimmt die Stadt für deren Integration? Bei einer Podiumsdiskussion des Vereins „Solidarische Gesellschaft der Vielen“ haben jüngst Teilnehmer der Stadtverwaltung die systematische Diskriminierung von Sinti und Roma vorgeworfen, etwa bei Häuserräumungen.
Unser Handeln ist nicht rassistisch motiviert, solche Vorwürfe ärgern mich. Es gibt zahlreiche kleinere und größere Integrations- und Hilfsprojekte, wir nutzen alle möglichen Landes-, Bundes- und EU-Fördermittel. Uns und mir ist es besonders wichtig, dass gerade die Kinder nicht benachteiligt werden. Wir kümmern uns um sie. Aber all diese Projekte finden in der politischen Diskussion nicht statt, und in der Medienberichterstattung auch nicht, auch in Ihrer nicht. Stattdessen wird uns zum Vorwurf gemacht, dass wir Schrottimmobilien dicht machen – das als rassistische Diskriminierung zu werten, finde ich unsachlich, haltlos und in der dauernden Wiederholung auch unverschämt. Bei Brandschutzmängeln kann es um Leben und Tod gehen – das mussten wir in der Vergangenheit unter durchaus tragischen Umständen erleben.
Haben Sie zwei Beispiele für diese Integrationsprojekte?
Unser Kommunales Integrationszentrum setzt seit 2017 Projekte um, in denen mehrere Mitarbeitende aus der Community der Roma mitarbeiten. Seit 2020 läuft das landesgeförderte Projekt ,Nah dran – Aven majpashe‘ mit mindestens acht Straßenpaten sowie sechs Beratern und Streetworkern aus der Community. Das Bildungsbüro koordiniert mit ,Vorbilder‘ ein Projekt, bei dem auf Honorarbasis mehrere qualifizierte Roma mitarbeiten. Gelder aus dem europäischen Hilfsfonds für am stärksten von Armut betroffene Personen nutzen wir seit 2017 für ,Integration und Beratung II plus‘, das sind niederschwellige Beratungen für neuzugewanderte EU-Bürgerinnen und -Bürger.
Bis heute wird Ihnen Ihre Aussage aus dem Jahr 2015 vorgeworfen, als sie auf der Flüchtlingskonferenz der SPD gesagt haben, sie hätten gern mehr Syrer statt Osteuropäer in Duisburg. Sie wollten, wie Sie sagten, auf eine besondere Belastung durch die Zuwanderung von benachteiligten Gruppen aus Südosteuropa hinweisen und für Hilfen von Land, Bund und EU werben. Gab es seither Hilfe?
Nein, es ist abgesehen von einer kurzzeitigen finanziellen Unterstützung unter Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel fast nichts passiert. Wir fühlen uns wie Gelsenkirchen und Dortmund und andere betroffene Städte von der Landes- und Bundesregierung sowie der EU nach wie vor im Stich gelassen. Ich bleibe bei meinem Standpunkt: Ein Großteil der etwa 9000 rumänischen und 14.000 bulgarischen Staatsangehörigen in Duisburg hält sich hier illegal auf. Sie erfüllen einfach nicht die Voraussetzungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Vielen fehlen die grundlegenden Skills, Sprachkenntnisse, Schulabschluss oder eine Berufsausbildung. Es ist bekannt, dass Schlepper die Notlage vieler Menschen in den Herkunftsländern ausnutzen und die Menschen mit Scheinarbeitsverträgen ausstatten, um so Aufstockungsleistungen zu erhalten. Nur wenige können mit ihrer Arbeit ihre Familien ernähren. Das aber wäre nach EU-Recht die Voraussetzung dafür, dass sich EU-Bürger länger als drei Monate in einem anderen Mitgliedsstaat aufhalten dürfen. Wenn das unsere Stadt und Menschen in Hochfeld und Marxloh belastet und betrifft, verstehe ich es als Oberbürgermeister weiter als meine Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass Bund und EU uns hier helfen müssen. Kommunen allein können das nicht schaffen.
Hochfeld und Marxloh waren die ersten Viertel, in denen das Impfzentrum vor Ort und ohne Termin Bewohner gegen Corona geimpft hat. Werden dezentrale Impfungen wie diese weiter möglich sein?
Nach dem Erlass des Landes wird das ab Oktober leider nicht mehr möglich sein. Ende September müssen die Städte und Kreise in NRW die Impfzentren schließen und dürfen nur noch ein kleines Impfteam für ,Pop-up-Impfungen‘ behalten. Minister Laumann argumentiert mit den Kosten. Das finde ich fast schon zynisch, wenn man bedenkt, welche Summen die Pandemie kostet. Wir bezweifeln, dass man die Impfquote allein über Hausärzte und Betriebsärzte noch weiter ausreichend erhöhen kann. Eine andere ungeklärte Frage: Wie sollen die Menschen ihre Auffrischungsimpfungen erhalten?
Dabei ist die Impfbereitschaft in Duisburg nach den Statistiken der KV im Vergleich zu anderen NRW-Städten und -Kreisen anscheinend besonders niedrig.
Dass sich Menschen aus verschiedenen Gründen nicht impfen lassen wollen, ist nicht nur in Duisburg ein Problem, sondern bundesweit. Die angeblichen Impfquoten zwischen den Kommunen sind schwer zu vergleichen und aktuell wird ja über das bundesweite Zahlenchaos des RKI diskutiert. Wir haben sehr viel getan, um Sprachbarrieren und kulturelle Barrieren zu überwinden, um aufzuklären. Wir waren eine der ersten Städte, die in benachteiligten Vierteln niederschwellig geimpft hat. Aber es gibt weiterhin eine Menge Vorbehalte in der Bevölkerung. Auch deshalb und mit Blick auf die steigenden Inzidenzen halte ich es für einen Fehler, die Impfzentren mit den mobilen Teams jetzt zu schließen.
Einen erneuten Teil-Lockdown im Bundestagswahlkampf wird es wohl nicht geben, das Land hat jüngst viele Corona-Regeln abgeschafft. Was hat die Stadt Duisburg den Sommer über getan, um der 4. Welle entgegen zu wirken?
Wir haben den ganzen Sommer über weiter getestet, geimpft und aufgeklärt, zum Beispiel in den Stadtteilen, mit Multiplikatoren aus den Communitys. Wir haben Anforderungen von Bund und Land durchgesetzt. Hier sind auch nach fast anderthalb Jahren richtig viele Mitarbeiter im Einsatz, viele im Dauereinsatz. Ich bin überzeugt, dass wir einen sehr guten Job gemacht haben. Das macht mich stolz und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebührt mein aufrichtiger Dank!
Was ist mit Luftfiltern für weitere Klassenräume? 100 Zimmer sind seit Februar ausgestattet. Andere Städte haben Filter auf eigene Kosten angeschafft, um nicht auf Fördergelder warten zu müssen.
Wir stellen Luftfilter da auf, wo es notwendig ist, weil die Lüftungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Das IMD hat alle Räume überprüfen lassen: Nach den Förderkriterien des Landes können wir 100 weitere Geräte für Schulen bestellen. Die Luftfilter-Debatte lenkt aber von wirkungsvolleren Schutzmaßnahmen wie Maske, Testen, Impfen ab. Neueste Studien zeigen: Die Wirkung mobiler Luftfilter in Klassenräumen ist sehr begrenzt.
In der Corona-Krise haben Sie die Bürgerinnen und Bürger im Vergleich zu anderen Oberbürgermeistern und Landräten vergleichsweise seltener direkt informiert, zum Beispiel live online. Wäre das nicht wichtig gewesen?
Diesen Vorwurf kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Ich habe mich seit Februar 2020 als Person und Vertreter der Stadt öffentlich positioniert, habe appelliert, auch im Rahmen unserer Aufklärungskampagnen, auch in sozialen Medien. Ich glaube, besonders wichtig war meine Entscheidung, von Anfang an einen Krisenstab einzusetzen, der alle Maßnahmen koordiniert, auch die Kommunikation. Darum hat bei uns sehr viel sehr gut geklappt, und darum klappt beim Land weiterhin sehr viel sehr schlecht: Ministerpräsident Laschet hat bis heute keinen Landes-Krisenstab eingesetzt.
Den ersten Teil des Interviews mit Sören Link lesen Sie hier.