Duisburg. Häuserräumungen in Hochfeld, kein Umgang der Stadtverwaltung mit Sinti und Roma auf Augenhöhe: Politiker und Verbände erheben schwere Vorwürfe.

Werden Sinti und Roma von der Stadt Duisburg systematisch diskriminiert? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Gewalt gegen Sinti:zze und Rom:nja. Der legitimierte Rassismus“ in der Liebfrauenkirche kamen mehrheitlich zu dem Schluss: Ja – und machten dies an zahlreichen Handlungen der Stadtverwaltung und der Politiker fest, etwa von SPD und CDU, sowie an eigenen Erfahrungen, die sie mit der Stadt gesammelt haben. Die Stadtverwaltung weist die erhobenen Vorwürfe zurück.

Konzipiert und organisiert hatte die Veranstaltung der Verein „Solidarische Gesellschaft der Vielen e.V.“, der auch die letzten Häuserräumungen in Hochfeld kritisch begleitete, mit „Amaro Drom e.V.“ und dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. Übersetzer für Bulgarisch, Rumänisch und Türkisch standen zwar bereit, doch diesmal war keiner der ehemaligen Bewohner von geräumten Häusern vor Ort. Stattdessen führten sich die Besucher und Vertreter verschiedener Projekte und Vereine noch einmal vor Augen, wie die Räumung der Häuser an der Gravelottestraße im März 2021 aus ihrer Sicht abgelaufen war, nach der sich erstmals Betroffene zu einer Demo entschlossen.

Kritiker: Vorgehen der Stadt Duisburg schürt Misstrauen in der Community

Kritikpunkte gibt es bei der Diskussion viele: Melih Keser, Politiker von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Verein „Laissez-passer“, benannt nach dem französischen Passierschein, hält beispielsweise Kontakt zu einigen Bewohnern der Gravelottestraße und sagt: „Seit ,In den Peschen’ verfolgt die Stadt eine Richtung, die Menschen minderwertig zu sehen“ und führt als Beleg nicht nur das Zitat von Oberbürgermeister Sören Link an, der im Jahr 2015 sagte: „Ich hätte gerne das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte.“ Auch eine Rechnung, die die Duisburger Politik ebenfalls aufgemacht haben soll, führt Keser an. Demnach kosteten Roma die Stadt 15 Millionen Euro im Jahr, zitiert er. „Solche Sprüche und die Räumungen schüren Misstrauen in der Community.“

Der Pädagoge Burak Yilmaz hat in der Vergangenheit mit jungen Muslimen zusammen gearbeitet und mit ihnen jüdisches Leben im Marxloh erforscht. Er weiß, wie es am nächsten Tag in Schulen zugeht, wenn kurz zuvor Häuser geräumt wurden.
Der Pädagoge Burak Yilmaz hat in der Vergangenheit mit jungen Muslimen zusammen gearbeitet und mit ihnen jüdisches Leben im Marxloh erforscht. Er weiß, wie es am nächsten Tag in Schulen zugeht, wenn kurz zuvor Häuser geräumt wurden. © FUNKE Foto Services | Foto: Jörg Schimmel

Burak Yilmaz, selbstständiger Pädagoge und Initiator des Preis gekrönten Projekts „junge Muslime besuchen Auschwitz“ berichtet, wie sich zum Beispiel Einsätze der Taskforce oder sonstiger Kontakt mit Ämtern auf die Jugendlichen auswirken. „Man merkt das am nächsten Tag in der Schule. Sämtliche Lehramtsstudenten können zwar ein dreistündiges Referat über Rassismus halten, wissen aber nicht, wie sie mit rassistischen Vorfällen in der Klasse umgehen sollen.“ Doch während andere Städte wie Essen und Dortmund die Mitarbeiter der Verwaltung zunehmend für strukturellen Rassismus sensibilisierten, gebe es in Duisburg keinerlei Initiative. Stattdessen seien in einem Bewerbungsprozess sogar einmal seine Qualifikationen angezweifelt worden.

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Davon kann auch Roxanna-Lorraine Witt, Gründerin des Vereins „Save Space“ berichten. Geboren als Kind einer Sinti-Familie in Minden, studierte sie zunächst Biotechnologie, wechselte dann zum Dokumentations-und Kulturzentrum deutscher Sinti und Roma und leitete dort das Bildungsreferat. Das Jugendamt der Stadt Duisburg habe 2019 einen Referenten angefragt. Als sie sich anbot, wollte man zunächst ihre Qualifikation prüfen. Mit ihrem Verein will sie erreichen, dass die Stimme von Sinti und Roma lauter wird. „Die sozialen Probleme sind hausgemacht. Nicht die Leute sind das Problem, sondern die, die sie zum Problem machen.“ Mit Blick auf Häuserräumungen ruft sie kämpferisch: „Die Stadt Duisburg ist aktiv rassistisch. Es reicht nicht, sich einmal im Jahr hinzustellen und ,Nie wieder’ zu sagen.“

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Hassan Adzaj, Vermittler für Roma-Kultur in der Dortmunder Nordstadt, weiß, warum es in Dortmund besser läuft als in Duisburg: „Es kommen Familien und Kinder zu uns mit ihrem Papierkram und lassen sich von uns beraten, weil sie Nicht-Roma nicht vertrauen.“ Er fordert die Stadt auf: „Arbeitet mit uns, sucht den Kontakt zur Community. Wir wollen zeigen, dass wir etwas können.“ In Dortmund würde die Stadt auf ihn und seine Mitstreiter zugehen, wenn Häuser geräumt werden. Dann könnten sie rechtzeitig helfen, neue Bleiben zu suchen.

Forderung der Community: Arbeitet mit uns zusammen

In Duisburg hingegen, erklärt Linken-Politiker Mirze Edis, müssten die Menschen schnell ihre Wohnung verlassen – und wenn sie nicht bei Bekannten unterkommen, bekämen sie eine Notunterkunft angeboten, „in der die Zustände fast schlimmer sind als in den Wohnungen, die sie verlassen müssen.“ Der Dortmunder Hassan Adzaj fordert die Stadt Duisburg auf: „Arbeitet mit uns zusammen, das öffnet Türen.“

Stadt Duisburg weist Rassismus-Vorwurf entschieden zurück

Auf Nachfrage unserer Redaktion, weist Paul Bischof den Rassismus-Vorwurf entschieden zurück: „Wir sind eine vielfältige Stadt und sehr vertraut im Umgang mit vielen Herkünften und Kulturen. Wir behandeln alle Menschen in Duisburg gleich, sowohl in unterstützenden als auch in ordnungsrechtlichen Angelegenheiten. Wir verstehen uns über alle Gruppen hinweg als eine solidarische Stadt. Und so handeln wir auch.“

Von Seiten der Stadt heißt es außerdem: „Das Thema ,kulturelle Sensibilisierung’ ist präsent und wird im Rahmen der Fortbildung in mehreren Seminarformen abgedeckt. Beispiele sind ,kulturelle Kompetenzen für Führungskräfte’ oder ,Kultursensible Arbeit mit Eltern und Kindern’.“ Darüber hinaus habe die Stadt beim Kommunalen Integrationszentrum im Rahmen eines Projektes sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, die aus der Community der Roma seien. Diese vermitteln und informieren.

>> Offene Frage zum Schluss: Wie geht es weiter?

  • Eine Frage hatte jemand aus dem Publikum dann doch noch: Wie reagieren bei der nächsten Häuserräumung? Melih Keser findet es positiv, dass sich innerhalb kürzester Zeit in Hochfeld ein Netzwerk gebildet hat, das sich gegenseitig informiert und unterstützt.
  • Für Roxanne-Lorraine Witt gibt es allerdings nur ein Ziel: „Erst gar keine neue Räumung zulassen.“