Duisburg. Tagelöhnerbörsen wie die in Duisburg-Hochfeld haben Schwarzarbeit-Fahnder bislang nicht interessiert – ein neues Gesetz soll das nun ändern.
Zwei Männer in Malerkleidung betreten gegen 6 Uhr am Morgen ein Café in Duisburg-Hochfeld und lassen sich deutlich mehr Zeit mit ihrem Kaffee, als ein Arbeiterfrühstück üblicherweise dauert. Die Ecke gilt im Stadtteil als „Arbeiterstrich“, als Schwarzmarkt für Tagelöhner, die hier auf Auftraggeber warten, die sie mit ihren Kleintransportern einsammeln. Tatsächlich hält bald einer, ein Mann in Montur kommt aus einem Wohnhaus und steigt zu. Daraus lässt sich natürlich nicht auf illegale Beschäftigung schließen. Dazu müsste schon ein Zollfahnder ermitteln, was bislang nicht der Fall war. Also haben die Nachbarn gefragt.
„Tagelöhnerei gibt es in einem nicht unerheblichen Umfang“, sagt Michael Willhardt, Doktor der Soziologe, Betreiber einer Kommunikationsagentur in Hochfeld und Initiator des Vereins „Zukunftsstadtteil“. „Wer morgens nicht abgeholt wird, trinkt vergnügt weiter Kaffee.“ Analphabetismus sei weit verbreitet, erklärt Willhardt. „Im Grunde hat niemand einen Schul- oder Berufsabschluss. Wir haben eklatante Kommunikationsprobleme. Auch mit Leuten, die länger als zehn Jahre hier sind.“ Einige seien regulär beschäftigt, bei Reinigungsdiensten oder bei Amazon. „Fast alle, die Sprachkompetenz haben, sind dort untergekommen. Alle anderen können Sie nur als Tagelöhner beschäftigen.“
Die Nachbarn als Feldforscher
Willhardt hat eine Gruppe von elf Anwohnern um sich gescharrt, die Zuwanderern das Gespräch anbieten, die Wirtschaftsbetriebe fördern seine „Feldforschung“ im Quartier hinter der Pauluskirche, das sie mittlerweile Klein-Schumen nennen. Denn etwa die Hälfte der 5000 Bulgaren und Rumänen im Stadtteil soll aus nur einem Ort stammen, der 90.000-Einwohner-Stadt Schumen in Ostbulgarien. „Sie haben ihre Nachbarschaft von dort nach hier verpflanzt“, sagt Willhardt. „In Schumen wird überwiegend türkisch gesprochen.“ Das machte es Zuwanderern in Hochfeld leichter, aber es habe anfangs auch eine Akquise durch türkische Immobilienbesitzer aus Duisburg gegeben. Willhardt sagt auch: „Viel von dieser Armutszuwanderung hängt mit diesem gnadenlosen Bordell an der Vulkanstraße zusammen.“
Früher standen die Arbeiter sehr offensichtlich an der Ecke Heerstraße, Wanheimer Straße, wissen die Anwohner. Doch der „Arbeiterstrich“ hat sich verlagert zum Pauluskirchplatz und in die etwas verstecktere Brückenstraße. „Aber das extrem Offensichtliche von früher gibt es nicht mehr“, sagt Willhardt. „Heute kennt und verabredet man sich viel mehr über WhatsApp … Wir haben auch gedacht, wir entdecken irgendwelche Rädelsführer, aber es ist nicht so. Es gibt eine Struktur, aber keinen, der eine Struktur plant. Es gibt keine Clans.“
Tatsächlich haben einige Bulgaren den Nachbarn auch von ihren Arbeitsverhältnissen erzählt. „Etliche sind bei Türken auf dem Bau, das wird morgens verhandelt“, sagt einer der Nachbarn. „Ein üblicher Preis ist fünf Euro.“ Öfter schon hat er gehört, dass die türkischen Arbeitgeber unzuverlässiger seien als deutsche Chefs. „Einer ist mir 7000 Euro schuldig“, zitiert er einen Befragten, „aber was soll ich machen, ich kann ja nicht zur Polizei gehen.“ Ein anderer hob den Vorteil heraus, auf einer deutsch geführten Baustelle, seine Sprachkenntnisse verbessern zu können.
Einer „Trendinfo“ der Stadt Duisburg zufolge gingen im Jahr 2016 in Deutschland 58,2% der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer einer formellen Arbeit nach. In Duisburg waren es nur 32,3%. Ähnlich sieht es in Gelsenkirchen und Dortmund aus. Zusammen bilden sie die Schlusslichter im bundesdeutschen Städtevergleich.
Der Arbeiterstrich war bislang ein blinder Fleck
Die Polizei interessiert sich in aller Regel nicht für Schwarzarbeit, denn ihre Bekämpfung ist Aufgabe des Zolls, genauer der dort angesiedelten Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Doch an „Tagelöhnerbörsen“ waren die Fahnder bislang nicht interessiert. Sie wollen die schwarzen Schafe in flagranti erwischen und kontrollieren darum vor allem auf Baustellen. Was die wartenden Männer in Arbeitskleidung in Hochfeld oder an der Dortmunder Mallinckrodtstraße beabsichtigen, mag dem Bürger eindeutig erscheinen, doch wie will man die Absicht nachweisen, bevor der Verstoß stattfindet?
Die so genannten Arbeiterstriche waren also bislang ein blinder Fleck. „Derzeit keine Erkenntnisse“ habe das Hauptzollamt Duisburg zur Situation in Hochfeld, erklärt Sprecherin Anja Turloff-Galetzki und verweist darauf, dass die Fahnder die Zahl der Arbeitgeberprüfungen in den vergangenen drei Jahren um ein gutes Viertel gesteigert haben auf 1720. Eine Statistik nach Staatsbürgerschaften der Arbeitnehmer wird dabei nicht erhoben, jedoch gebe es „Schwarzarbeit quer durch alle Nationalitäten“.
Doch bald wird Hochfeld den Zoll wohl durchaus beschäftigen. Die Politik will es so, genauer Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Aus seinem Haus stammt das „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“. Es zielt auf den systematischen Betrug beim Kindergeld und vorgetäuschte Arbeitsverhältnisse ebenso wie auf eine Stärkung der Schwarzarbeit-Kontrolleure – und scheint darum wie zugeschnitten auf die Zustände im Ruhrgebiet.
Bald rückt die „Anbahnung“ in den Fokus
Nun soll der Zoll schon bei der vermuteten „Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses im öffentlichen Raum“ prüfen – selbst wenn der Arbeitsort nicht bekannt ist. Dies ist der gesetzliche Auftrag. Doch wie man eine Anbahnung in der Praxis prüfen kann, dazu kann die Zollsprecherin keine Aussage treffen, obwohl das Gesetz schon seit dem 18. Juli in Kraft ist.
Wird der Zoll künftig auf Hinweise wie die der Hochfelder Bürger reagieren? Wird er an der Brückenstraße Personalien aufnehmen - und wie könnte er selbst dann die Anbahnung von Schwarzarbeit rechtssicher nachweisen, wenn jemand in einen Transporter steigt? Wie soll er Beweise finden, wenn WhatsApp und ähnliche verschlüsselte Kommunikationsdienste genutzt werden, an denen sich selbst Landeskriminalämter regelmäßig die Zähne ausbeißen?
Die Fahnder können an Arbeiterstrichen Platzverweise aussprechen, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium. Zudem wurden die Bußgelder erhöht, „um letztlich auch langfristig eine Auflösung der Tagelöhnerbörsen zu erreichen“, so ein Ministeriumssprecher. Wer seine Arbeit als Tagelöhner schwarz anbietet, dem drohen 5000 Euro Strafe. Für den Arbeitgeber werden bis zu 30.000 Euro fällig. Auch werden Online-Plattformen verpflichtet, die Daten von Auftraggebern einschlägiger Annoncen mitzuteilen. Doch viele Fragen bleiben ungeklärt.
„Es ist schwierig, einen Ausblick zu geben“, sagt Anja Turloff-Galetzki. Die Instrumente, glaubt sie, müssen sich in der Praxis entwickeln. „Wir haben nun die Befugnisse. Es bleibt sinnvoll, dort zu prüfen, wo gearbeitet wird. Das ist wichtig.“
>> Info: Das bringt das neue Gesetz
Nach dem „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“ soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit nun auch vorgetäuschte Arbeitsverhältnisse prüfen (was Selbstständigkeit beinhaltet). Außerdem soll sie Anhaltspunkte für unberechtigten Kindergeldbezug sofort an die zuständigen Familienkassen übermitteln, die ebenfalls in ihren Prüfungskompetenzen und personell verstärkt werden sollen. Der Datenaustausch zwischen allen Behörden soll leichter werden, was auch Jobcenter, Finanzämter, Polizei und Staatsanwaltschaften einschließt.
Der Anspruch auf Kindergeld wird zudem eingeschränkt. Wer aus dem EU-Ausland zuzieht und keine Arbeit hat, bekommt nun in den ersten drei Monaten keine Leistungen. „Denn“, so das Bundesfinanzministerium zum Entwurf des Gesetzes, „es kann nicht ausgeschlossen werden, dass vom Kindergeld eine nicht beabsichtigte Anreizwirkung für einen Zuzug aus anderen Mitgliedstaaten ausgeht.“ Die Familienkasse kann nun laufende Kindergeldzahlungen bei begründeten Zweifeln vorläufig einstellen – was in der Arbeitsförderung längst möglich ist.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsbefugnisse auch an die FKS abtreten, was Gerichtsverfahren effizienter machen soll. Die FKS bekommt auch ein Mitwirkungsrecht in Hauptverhandlungen.