Duisburg/Mülheim. Der Nahost-Konflikt hinterlässt Spuren in der Jüdischen Gemeinde Duisburg. Schüler verstecken ihre Religionszugehörigkeit, der Rabbi seine Kippa.
Wegen des Nahost-Konflikts hat die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen ihre Sicherheitsmaßnahmen erhöht. Demonstrationen in Duisburg und deutschlandweit machen Rabbiner und Geschäftsführer „wütend“.
Für Rabbiner David Geballe von der Jüdischen Gemeinde ist es seit fast vier Jahren Alltag: Wenn er in Duisburg oder sonstwo in Deutschland unterwegs ist, versteckt er seine Kippa unter einer Schirmmütze oder einem Hut. Auch die Kette mit dem Davidstern ist gut verborgen unter dem Hemd.
Konflikte in Israel landen ohne Zeitverzögerung auch an Rhein und Ruhr
In Duisburg werde die Auseinandersetzung bislang vorwiegend in den Sozialen Netzwerken ausgetragen, aber die Gefahr, dass der Funke ins echte Leben überspringt, sei real, ergänzt Geschäftsführer Alexander Drehmann. „Jedes Mal, wenn die Situation in Israel hochkocht, entlädt sich der Konflikt ohne Zeitverzögerung auch hier“, sagt Geballe.
Für die Juden ihrer Gemeinde habe sich die Gefahrenlage seit Aufflammen des Konflikts im Gazastreifen verschärft. Hass-Mails bekommen sie, Freunde von ihnen werden gar mit dem Tode bedroht. Früher habe er antisemitische Nachrichten einfach gelöscht, sagt Drehmann. Inzwischen habe er gegen die schlimmsten Fälle Anzeige gestellt.
Noch macht er das eher für sich, denn die Anzeigen laufen ins Leere, weil sie mangels Öffentlichkeit nicht als Volksverhetzung gelten. Ein neues Gesetzespaket schafft den Straftatbestand der „verhetzenden Beleidigung“ mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe.
Schüler verheimlichen ihre Religionszugehörigkeit
Die Bedrohung trifft auch die jüngeren Gemeindemitglieder, sagt Rabbiner Geballe. Viele versuchen, ihre Religionszugehörigkeit vor den Mitschülern zu verstecken, „vor allem an Schulen mit einem hohen Anteil muslimischer Schüler“. Von den rund 25 Schülern aus Duisburg und Mülheim, die aktuell am jüdischen Religionsunterricht teilnehmen, würden nur zehn eine offizielle Note auf dem Zeugnis eintragen lassen. Zu groß sei bei vielen die Angst, womöglich benachteiligt zu werden.
Geballe betont, dass er niemanden unter Generalverdacht stellen wolle, „aber es reicht ja ein Verrückter“. Und die Botschaften aus der Türkei zur Eroberung Jerusalems würden da nicht eben beruhigend wirken.
Deshalb meide er mit seinem Nachwuchs aktuell auch öffentliche Spielplätze, „das schränkt uns schon ein“, bekennt Geballe, aber er will lieber auf Nummer Sicher gehen. Nach Angaben der Polizei Duisburg, die die Sicherheitsmaßnahmen rund um jüdische Einrichtungen erhöht hat, gab es in den vergangenen vier Wochen „glücklicherweise“ keine besonderen Vorkommnisse.
Jüdische Gemeinde vermisst Gegendemo bei „Pro-Palästina“-Kundgebung
Heroes Duisburg- Alltags-Rassismus fängt mit der Sprache an Die Unterstützung in Duisburg sei groß, es gebe tolle Projekte wie die vom Verein Heroes zum Thema Antisemitismus, aber „das ist ein Tropfen auf den heißen Stein“. Denn: Eine Gegendemo habe es nicht gegeben, als sich am Sonntag rund 700 Menschen vor dem Hauptbahnhof versammelt hatten, bedauert Drehmann.
„Alle Besucher der Pro-Palästina-Demonstration halte ich für dumm oder unanständig“, sagt der Geschäftsführer der Gemeinde. Statt Millionen in Raketen zu stecken, wären sie besser in Corona-Impfstoffe investiert, kritisiert er in Richtung Hamas.
Eskalation in Israel- Polizei reagiert auch in Duisburg Man könne geteilter Meinung über die Ereignisse im Nahen Osten sein, keine rechtfertige jedoch den Aufzug eines wütenden Mobs in Gelsenkirchen, der „purer Antisemitismus“ gewesen sei. Ein Statement der großen muslimischen Gemeinden vermisst er dazu.
Alle „vernünftigen Parteien“ äußerten sich
In Duisburg hätten sich immerhin die alevitischen Gemeinden gemeldet, auch Lamya Kaddor als Vertreterin eines liberalen Islams habe sich geäußert. Von der Polizei und den großen Kirchen fühle sich die Jüdische Gemeinde unterstützt, alle „vernünftigen Parteien“ außer den Linken und der AfD hätten ihn kontaktiert. „Das wissen wir zu schätzen“, betont Drehmann. Normalerweise beende er jedes Gespräch mit einer positiven Note, das falle ihm aktuell aber schwer. Es wird eher eine Mahnung:
Juden seien die Kanarienvögel der Gesellschaft. Im Bergbau kippten die Vögel um, wenn der Sauerstoff knapp wurde. „Wenn es den Juden nicht gut geht, stimmt etwas mit der Gesellschaft nicht.“