Duisburg. Psychisch Kranke sind verunsichert, weil die Caritas das Betreute Wohnen aufgeben will. Die Diakonie sieht jedoch einen wachsenden Markt.

Die Caritas Duisburg reduziert ihren Bereich Betreutes Wohnen drastisch. Grund ist eine Veränderung des Teilhabegesetzes, die im Januar 2022 greifen wird und das bisherige System zu teuer macht.

Beim Betreuten Wohnen (BeWo) werden die Klienten, vorwiegend Sucht- und Psychisch Kranke, im Alltag ambulant unterstützt. Je nach Bedarf bekommen sie Hilfe bei sozialen Themen, dem Umgang mit Geld, der Jobsuche und werden bei der Gestaltung des Alltags an die Hand genommen. Das neue Gesetz sieht vor, dass im Betreuten Wohnen schwerpunktmäßig Erzieherinnen und Erzieher beschäftigt werden. Die Caritas beschäftigt in diesem Bereich aber vorrangig Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiter, die teurer sind und zudem übertariflich bezahlt werden.

In einem Prozess, der schon länger laufe und vom Innovations-Management begleitet werde, sollen Mitarbeiter in anderen Bereichen neue Stellen finden und Klienten bei anderen Anbietern untergebracht werden. „Wir wollen sie in gute Hände abgeben“, betont Pressesprecherin Larissa Braunöhler. Derzeit kümmern sich 33 Mitarbeiter auf 25 Vollzeitstellen um rund 220 Klienten. „Absehbar ist jedoch schon, dass wir einen größeren Teil werden aufgeben müssen.“

Wechsel in der Betreuung ist für Klienten der Caritas eine Belastung

Eine von ihnen ist Claudia M., die seit dem Tod ihrer Mutter 2013 von der Caritas betreut wird. „Mir hat die Ankündigung des Wechsels den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt die 60-Jährige. „Das BeWo ist für mich eine große Stütze, eine wichtige Bezugsperson.“ Da sie keine Familie, keinen Partner hat, sei das ihr „Lebensanker“. Das Verhältnis zu ihrer Betreuerin mache einen großen Teil ihres Lebens aus, sei aber rein geschäftlich, nicht freundschaftlich. 2,5 Stunden pro Woche wurden ihr zugebilligt, die sie individuell nach Bedarf einteilt. In akuten Krisen braucht sie mehr Unterstützung als an guten Tagen.

Weil sie in der Kindheit sexualisierte Gewalt erleben musste, hat Claudia eine Posttraumatische Belastungsstörung. Bei Arzt- oder Behördenbesuchen braucht sie Begleitung. Fachlich kann die ehemalige Buchhalterin das sehr wohl, nicht aber emotional. Daher sei auch die Einstellung auf eine neue Betreuerin - ein Mann wäre in dieser Rolle für sie nicht vorstellbar - eine Herausforderung.

BeWo-Angebot nicht länger refinanzierbar

Die Caritas weiß, dass es „für manche dramatisch ist. Wir hätten uns gewünscht, dass es bleiben kann, wie es ist“, sagt Larissa Braunöhler. Aber nach der Gesetzesänderung sei das Angebot nicht mehr refinanzierbar.

Die Betroffenen seien ohnehin belastet, Frust und Verletzungen seien da nicht ausgeschlossen. Einige Klienten hätten die Gesprächsangebote ausgeschlagen, würden auf weitere Begleitung verzichten. „Sie entscheiden selbst, ob sie neu vermittelt werden wollen“, betont die Sprecherin. Aber auch für jene, die sich in der ersten Überforderung gegen eine Weitervermittlung entschieden hätten, stehe die Tür weiter offen.

Diakonie sieht im Betreuten Wohnen einen „sich vergrößernden Markt“

Das Diakoniewerk Duisburg, das ebenfalls Betreutes Wohnen anbietet, gehört zu jenen, die Kontingente der Caritas übernimmt. Aktuell laufen Orientierungsgespräche mit fünf Klienten, sagt Geschäftsführer Udo Horwat. Grundsätzlich will die Diakonie das BeWo ausweiten, „daher passt das ganz gut“. Dafür werden allerdings auch Mitarbeiter gesucht.

In Folge des neuen Teilhabegesetz würden mehr Menschen die Chance aufs BeWo erhalten, weil stationäre Plätze abgebaut werden sollen und dadurch mehr Menschen im privaten Umfeld betreut werden: „Ich sehe einen Markt, der sich vergrößert“, sagt Horwat. Es brauche aber nicht für jede Tätigkeit hoch qualifiziertes Personal. Die Diakonie setze daher auf einen Mix aus Professionen, wodurch die Kosten insgesamt geringer werden: Eingesetzt werden sollen zu 70 Prozent Sozialarbeiter und zu 30 Prozent Erzieher, Krankenschwestern sowie „Sozialbetreuer“, also Betroffene, die geschult wurden, um andere zu unterstützen.

Klienten sollen beim Wechsel der Betreuung gut begleitet werden

Wechsel in der Betreuung kommen auch ohne Gesetzesänderung vor, einfach weil jemand in Rente geht oder umzieht, „für Menschen mit Depressionen, Verlustängsten oder anderen Angststörungen muss das aber gut vorbereitet werden“, sagt Horwat. Die Betreuer seien fast wie Familie. Soziale Kontakte würden zwar initiiert, aber nicht immer gelinge das. „Wir werden genau gucken, wie stabil der Klient ist.“ Psychische Krisen oder etwa ein Alkohol-Rückfall sollen möglichst vermieden werden. Eine Herausforderung aber bleibt es, denn dass ein BeWo quasi zugemacht wird, hat Horwat auch noch nicht erlebt.

>>>DAS BUNDESTEILHABEGESETZ

  • Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist ein umfassendes Gesetzespaket, das in vier zeitversetzten Reformstufen bis 2023 in Kraft tritt.
  • Eine grundlegende Veränderung ist, dass Menschen mit Behinderung, die früher im „Heim“ gewohnt haben, künftig in einer „Besonderen Wohnform“ leben. Bislang wurde wie bei Menschen im Altenheim über einen Tagessatz alles finanziert, künftig wird getrennt zwischen den Kosten für die Unterbringung und jenen für die Betreuung.
  • Mit dem BTHG wurden mehr Möglichkeiten der Teilhabe und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen geschaffen. Menschen mit Behinderungen, die Eingliederungshilfe beziehen, können mehr von ihrem Einkommen und Vermögen behalten.
  • Gleichzeitig werden laut Ministerium die Kommunen und Länder entlastet, da Grundsicherungs- und Eingliederungshilfeleistungen getrennt sowie teilweise vom Bund übernommen werden.
  • Weitere Infos: https://www.bmas.de/DE/Soziales/Teilhabe-und-Inklusion/Rehabilitation-und-Teilhabe/bundesteilhabegesetz.html