Duisburg. Weitere Logports, Terminals - der Duisburger Hafen expandiert. Wie immens die Folgen für die Anwohner sind, erklärt Verkehrsgeograph Juchelka.
Die Verkehrsbelastung in Duisburg wird eine andere sein, wenn Duisport auf der Kohleninsel sein Gateway Terminal in Betrieb genommen hat und das DB-Terminal gleich nebenan am Bahnhof Ruhrort-Hafen aus seinem Dornröschenschlaf erwacht ist. Welche Folgen das hat und was die Stadt Duisburg für ihre Bürger tun könnte, erklärt Prof. Dr. Rudolf Juchelka, Wirtschafts- und Verkehrsgeograph an der Uni Duisburg-Essen.
Wie stehen Sie grundsätzlich zu den beiden Projekten?
Das sind riesige Push-Projekte für Duisburg. Der Wirtschaftsgeograph in mir sagt, dass diese Terminals für den Wirtschafts-Standort Duisburg echte neue Impulse sind, gerade für die Zielgruppe der durch den Strukturwandel verloren gegangenen Arbeitsplatzbereiche. Das ist die lachende Seite.
Der Verkehrsgeograph in mir sagt, dass die Verkehrsbelastung in Ruhrort und darüber hinaus zwangsläufig zunehmen wird. Die Bahn will mit Lärmschutzwänden agieren, sie hat das Problem also erkannt. Das größte Problem wird aber der ortsunkundige Lkw-Fahrer sein, der mit Navigationssystemen unterwegs ist, die entweder alt oder für Pkw zugelassen sind. Sie sollen an den neuen Terminals die Container aus China abholen und weitertransportieren. Ohne Ortskenntnis entsteht ganz schnell das Chaos, das die Wohnbevölkerung in Ruhrort und in den benachbarten Stadtteilen nicht haben will. Der Schienenverkehr ist klasse, aber er muss halt irgendwo enden. Ein altes Gelände zu bebauen ist besser als eine neue Landschaft zu versiegeln. Aber was nützt es, wenn der Straßenverkehr die Nachhaltigkeit kaputt macht?
Wie kann man das Problem lösen?
Die stärkere verkehrliche Abstimmung zwischen den Akteuren ist immens wichtig - also zwischen Bahn und Stadt. Die Bahn ist aber ein geschlossenes System, höchst kompetent auf ihrem Gelände, die Zusammenarbeit jenseits des Bahngeländes ist manchmal schwer. Beim Gateway Terminal kommt duisport hinzu. Der Hafen ist eine Herzkammer von Duisburg, das weiß der Hafen und so agiert er oftmals mit hohem Selbstbewusstsein. Wichtig erscheint, dass der Hafen nicht bestimmen darf, wie nachgeordnete Verkehre in Duisburg zu organisieren sind. Und wenn die Anwohner bei diesen Überlegungen drittrangig sind, dann tut das der Stimmung nicht gut. Frühzeitig hätten Stadt, Bahn und Hafen zusammenkommen müssen, um zu überlegen, wie man Anwohnerbelastungen minimieren kann. Dafür ist es jetzt eigentlich schon zu spät.
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Welche Möglichkeiten gibt es denn für Logistik-Verkehr in Duisburg?
Das Ruhrgebiet hat Lkw-Vorrangrouten, also geschützte Bereiche, wo die Lkw-Fahrer unabhängig von störenden Anwohnern oder Ampeln möglichst schnell voran kommen. Das Konzept stammt von den Niederländischen Häfen, wo es hervorragend klappt. Die Idee ist toll. Leider klappt es in Rheinhausen nicht, wie man an der Verkehrsproblematik rund um Logport 1 sieht, es klappt im ganzen Ruhrgebiet nicht, und es wird auch in Ruhrort nicht klappen.
Diskrepanz zwischen Planungsidee und verkehrlicher Realität
Warum nicht?
Ich habe Zweifel, weil das Vorrangrouten-Konzept in Deutschland sehr akademisch und technokratisch gehandelt wird und dem rumänischen Lkw-Fahrer, lapidar formuliert, ziemlich egal ist. Wir haben eine Diskrepanz zwischen Planungsidee und verkehrlicher Realität. Die Holländer würden es vermutlich hinkriegen.
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Helfen da auch keine Verkehrsanalysen?
Das Planfeststellungsverfahren beinhaltet eine Verkehrsanalyse der Umfeldeffekte. Aber das sind Prognosen - und der reale Verkehr sucht sich seine Wege selbst, mit allen negativen Effekten für die Anwohner, etwa was Lärmentwicklung und Bodenschwingungen angeht. Wir haben einen Konflikt zwischen der wünschenswerten Eisenbahn- und Wasserstraßenstärkung und der gleichzeitigen Belastung von nachgelagertem Verkehr - also eigentlich ein Klassiker.
Fuß- und Radwege sind in der gesamten Gegend katastrophal
Wie seriös sind Verkehrsprognosen, die auf Verkehrszählungen aus 2014 basieren?
Verkehrsmodellierungen sind schwierig, vor allem mit acht Jahre alten Basiszahlen. Wir sind in einem Umfeld, das stark gewerblich und von Hafenaktivitäten geprägt ist. Außerdem sind dort seither neue Einzelhandelszentren entstanden. Für mich ist es ein Unding, mit so alten Zahlen zu modellieren. Die Ausgangsstatistik ist sicher nur mit massiven Einschränkungen auf heute anzuwenden, da genügen eigene Beobachtungen. Es wäre ein Leichtes, neue Zahlen zu bekommen. So ist das methodisch unsauber. Das Fass mit den mangelhaften Fußgänger- und Radwegen möchte ich gar nicht aufmachen, das ist am Ruhrorter Kreisel und in der gesamten Gegend katastrophal. Die Straße ist dort jetzt schon hochbelastet. Das heißt nicht, dass dort 24 Stunden am Tag Stau ist. Sondern dass zu bestimmten Zeiten am Tag nichts geht. Die Belastung potenziert sich dann noch.
In der Spitze sollen es 188 Lkws pro Stunde mehr sein.
Die Zahl halte ich für realistisch. Die Dimension ist gewaltig, Kreisverkehre haben nur einen bestimmten Durchlass. Auch der Pkw-Verkehr hat zugenommen - auch ohne den Corona-Effekt, wo noch mehr Menschen vom ÖPNV auf das Auto umgeschwenkt sind. Das führt zwangsläufig zu einer massiven Mehrbelastung, die von der vorhandenen Infrastruktur aufgefangen werden soll. Ich weiß nicht, wie das gehen soll.
Ein Zubringer müsste von den Terminals auf die Autobahn führen
Müsste man also umbauen?
An einem Umbau, bzw. an einer Tangente Richtung Autobahn geht kein Weg vorbei. Das wird Naturschützer nicht freuen, aber der Raum ist naturschutzmäßig vielleicht nicht ganz so relevant. Das vorhandene Straßennetz darf meines Erachtens nicht weiter belastet werden. Aber es wird belastet.
Was für eine Tangente meinen Sie?
Ich bin kein Verkehrswegeplaner, aber ich würde eine Art Fly-over machen, einen langen Zubringer, der aus den Arealen der beiden Terminals auf die Autobahn führt. Das wäre architektonisch sicher nicht hübsch, das müssten Architekten lösen. Aber: Bei dieser Größenordnung muss man neu nachdenken. Natürlich hätte so eine visionäre Vorstellung auch Nachteile. Aber ich sehe die Nachteile bei der vorhandenen Struktur als kaum lösbar an. Wie will man den Kreisverkehr da noch vergrößern? Das geht nicht, also wird dort das System kollabieren. Ich stehe beiden Projekten positiv gegenüber, aber das ist noch nicht zu Ende gedacht.
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Sie gehen von einem Gewinn für den Arbeitsmarkt aus, ist der im Bereich Logistik so groß?
Die Beschäftigtenzahlen einer Zeche oder eines Stahlwerks kann man nicht 1 zu 1 auf die Logistik abbilden. Man sieht immer nur den einzelnen Arbeiter im Kran. Aber Sie glauben nicht, wie viel Mitarbeiter-Gewusel unten auf dem Boden los ist. Es sind viel weniger Arbeitsplätze, aber es sind wichtige Arbeitsplätze, gerade für die Duisburger Beschäftigtenkonstellation. Wir können nicht nur Start-ups ansiedeln für Menschen, die mit dem Kopf arbeiten. Wir brauchen das Thema Maloche. Die Frage ist ja auch, was aus Flächen wie der Kohleninsel werden soll. Wir können ja nicht den x.ten Innenhafen oder Landschaftspark bauen.
Welche Schritte müssen jetzt also gegangen werden?
1. Stadt, Hafen und Bahn müssen sich zusammensetzen und das Thema ableitende Verkehre auf der Straße gemeinsam diskutieren.
2. Das Vorrangroutenkonzept muss dringend angepasst werden auf die neuen Standorte.
3. Die Modellberechnungen müssen mit neuen Basiszahlen erstellt werden und
4. sollte es visionäre Überlegungen geben, ob man neue Spangen, Tangenten oder sonstige Lösungen bauen muss.
Verkehr muss man neu denken
Ist die Lage an der Aackerfährbrücke auch so ernst?
Das Problem ist dort ein bisschen geringer. Aber die Brücken sind die Flaschenhälse in Duisburg. Wenn ich Logistikstandorte im städtischen Raum haben will auf vorhandenen Flächen, dann ist das eine sinnvolle Nutzung, um nicht Natur zu versiegeln. Aber dann muss man den Verkehr neu denken. Die Brücken sind teilweise vor 100 Jahren entstanden, als Bahnen noch eine ganz andere Bedeutung hatten und Verkehr ganz andere Dimensionen. Ich bin kein Freund von Betonbauten, aber man muss die Konsequenzen im Blick halten.
Würde es helfen, die Kohleninsel kleiner zu bebauen? Nicht mit einem XXL-Terminal?
Das macht aus operativer Sicht oft wenig Sinn, Güterzüge haben einfach eine gewisse Länge und ein Standort, der sich lohnen soll, braucht eine kritische Masse. Der Weg ist wenig zielführend.
Braucht es denn weitere Logports in Duisburg?
Will die Stadt Duisburg am Ende ein Flickenteppich von Logports werden? Ist das die Vision der Stadtpolitik oder die Vision des Hafens? Das ist eine Prinzipfrage, auf die ich in Duisburg keine Antwort sehe.
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In Kürze werden wir mit den Logports zweistellig. Aus Sicht von Duisport wurde damit ein Erfolgsmodell etabliert, das den Standort stärkt und für den Strukturwandel eine große Leistung erbracht hat. Es gibt einen Wandel hin zu mehr Regionalisierung, aber nicht beim Thema Industrieprodukte. Alle Kühlschränke kommen aus Asien, und das ändert sich so schnell nicht. Die Regionalisierung würde zu höheren Preisen führen und manche Familie könnte sich den Kühlschrank made in Germany nicht leisten. Wenn Waren mehr per Zug kommen als mit klimabelastenden Dieselschiffen, wär das schon gut. Wir alle kaufen die Produkte, die in den Containern sind.
Will Duisburg den Stadtnamen in Duisport ändern?
Welche Auswirkung haben mehr Güterzüge auf den Personenverkehr?
Das Bahnnetz im Ruhrgebiet ist jetzt schon überlastet. Und wenn ein Lkw-Fahrer gegen eine Brücke kracht, bricht alles zusammen. Der Knackpunkt ist die Netzbelastung bei paralleler Nutzung von Güter und Personal. Mehr Züge tragen nicht zu einer Entlastung bei, das ist logisch. Die Stadt Duisburg muss sich überlegen, ob sie den Stadtnamen in Duisport ändert. Das ist die Frage! Wie viel Duisport bestimmt Duisburg selbst und wie weit will man gehen.
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Herr Staake findet sein Konzept toll, er kriegt die Flächen vermarktet. Wäre ich Unternehmer, würde ich sagen: Es läuft und die Logistik rollt! Wo wollen wir also hin? Der Oberbürgermeister müsste den gemeinsamen Planungsbedarf in Gesprächen mit dem Hafen anmelden. In Rotterdam gibt es übrigens einen eigenen Hafenbürgermeister, der dem Magistrat der Stadt angehört und bei allen Hafenbelangen verantwortlich ist.
Ist ein harmonisches Miteinander von Industrie und Bürgerschaft in Duisburg überhaupt möglich?
Für die Beantwortung dieser Frage hat Sir Norman Foster vor vielen Jahren viel Geld bekommen. Warum gibt die Stadt diese Frage nicht an die Uni Duisburg-Essen weiter? Wir haben viele Kollegen, die das aus stadtplanerischer Sicht, aus wirtschaftlich-ökonomischer und aus verkehrlicher Sicht beleuchten könnten. Außerdem haben wir 40.000 junge Leute, die man in Workshops frei nachdenken lassen könnte. Ich würde mit meinen Studenten sofort ein Projekt anleiern.