Duisburg-Duissern. Historiker Jonas Krüning klärt über die politische Instrumentalisierung der 99 Jahre alten Siegfried-Statue auf dem Duisserner Ehrenfriedhof auf.
Nebel wabert wandelnd über den Kaiserberg. Nur am Ehrenfriedhof in Duissern, dort wo die Siegfried-Statue steht, scheint der Dunst auszuweichen. Klar ist die Sicht. Die Sicht auf moosbedeckte Gemäuer, rissige Grabsteine und die rötlich schimmernde Bronzefigur, die das Schwert zurück in die Scheide steckt – oder zückt der „Drachentöter“ Siegfried doch seine Klinge? Der Stadtteil-Historiker Jonas Krüning (28) enträtselt beim Gang über die Kriegsgräberstätte die verschiedenen Interpretationen und die politische Instrumentalisierung, die das Denkmal seit 99 Jahren begleiten.
2015 wurde Krüning, damals noch Geschichtsstudent, hellhörig: Unbekannte hatten die Siegfried-Figur pink angestrichen, die Parole „Nie wieder Krieg“ stand auf dem Sockel. „Ich habe mich gefragt, warum das geschehen ist. Warum sollte jemand etwas gegen den Siegfried haben?“ Fünf Jahre und eine Masterarbeit später hat der gebürtige Duisburger Antworten und noch mehr Wissenswertes herausgefunden. Für ein Projekt der Bürgerstiftung Duisburg sowie der GLS Treuhand hat Jonas Krüning jetzt noch einmal recherchiert und ist am Montagvormittag zum Siegfried hinaufgegangen.
Nationalsozialisten versammeln sich vor der Siegfried-Figur
1914 wurde der Ehrenfriedhof errichtet, 823 im Duisburger Lazarett verstorbene Soldaten des Ersten Weltkrieges sind dort beerdigt. Die Stadt unter Oberbürgermeister Karl Jarres schreibt ein Jahr später einen Wettbewerb für ein Kriegerdenkmal aus. Hubert Netzer, damals Kunstprofessor in Düsseldorf, setzt sich mit „seinem Siegfried“ durch; 1921 ist die Statue fertig erbaut. Zu sehen ist laut Netzer „ein deutscher, jugendlicher Held“. Durch die Namensnennung und Beschreibung, vermutet Krüning, beginnt die nationalistische Bedeutung dieses Denkmals: „Siegfried, bekannt aus dem Nibelungen-Lied, steht für Heldenmut und Opferbereitschaft für das Land.“
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Jonas Krüning hat die Bedeutung des Siegfried-Denkmals anhand der Besucher an Volkstrauertagen – die zu Ehren der gefallenen Soldaten im Ersten Weltkrieg gehalten wurden – analysiert. 1926 versammeln sich vor der Statue etwa Vertreter der Deutschen Volkspartei und des Stahlhelms – zwei Gruppierungen, die rechtskonservative bis rechtsextreme Ansichten vertraten und bei der Gedenkfeier von „Nacheiferung“ sprechen. Auch die Nationalsozialisten missbrauchten 1934 die Siegfried-Figur, um ihr rassistisches Regime mit Mythen und Sagen vom angeblichen Heldentum der Deutschen zu propagieren. „500 Leute waren hier. Es fielen Schlagworte wie ‚Opferbereitschaft‘ oder ‚Pflichterfüllung‘“, weiß Krüning.
Friedensinitiative wollte die Statue abreißen lassen
Der Mitbegründer der bürgerschaftlichen Initiative Mercators Nachbarn hat ebenfalls herausgefunden, dass die Stadt in den 1970er bis 1980er Jahren die Statue von einem Ehren- zu einem Mahnmal umdeuten wollte. Brisant: Zu den Volkstrauertagen in diesen Jahrzehnten kamen Mitglieder vom Verband deutscher Soldaten – eine mit Wehrmachtsoffizieren besetzte Gruppe, die etwa die Waffen-SS verharmloste oder die Erinnerungspolitik kritisierte – und wieder Stahlhelm-Vertreter, die sogar 1983 vom damaligen Oberbürgermeister Josef Krings eingeladen wurden.
Die Duisburger Friedensinitiative protestierte daraufhin regelmäßig gegen die rechtsextremen Bewegungen und forderte schließlich, die Siegfried-Statue endgültig abzureißen; CDU und FDP verhinderten dies, indem sie den Ehrenfriedhof samt Siegfried-Denkmal provisorisch unter Denkmalschutz stellten. Seit 2014 ist er es offiziell. Doch noch heute polarisiert die Statue: „Es gibt Bilder von Rechtsextremen, die sich auf dem Friedhof und vor der Figur inszenieren“, sagt Jonas Krüning. Vermutlich deshalb gibt es hin und wieder Menschen, die mit Farbe oder Parolen auf Bronze-Büsten ein Zeichen gegen Faschismus und Nationalismus setzen wollen – zur Not auch mit pinkem Protest.