Duisburg. Vor 100 Jahren, am 1. Juli 1914, trat Karl Jarres sein Amt als Oberbürgermeister an. 19 Jahre stand er an der Spitze der Kommune, führte sie durch die Wirren eines Weltkriegs, einer Revolution, durch die Ruhrbesetzung, und Wirtschafts- und Finanzkrisen.

Karl Jarres zählt zu den bedeutenden Oberbürgermeistern Duisburgs. 19 Jahre lenkte er die Geschicke der Kommune. Normalität gab es in dieser Zeit nicht: Wochen nach seinem Amtsantritt brach 1914 der 1. Weltkrieg aus, die Nazis jagten ihn 1933 aus dem Amt. Dazwischen lagen ein Weltkrieg, Revolutionen und Putsche, die französische Besetzung des Rheinlandes, Wirtschafts- und Finanzkrisen.

Der Amtsantritt von Karl Jarres, heute vor 100 Jahren, war unspektakulär. Amtsvorgänger Karl Lehr - unter ihm war Duisburg zur industriell geprägten Großstadt geworden, waren 1908 Ruhrort und Meiderich eingemeindet worden, wurden zuletzt 30 Millionen Tonnen pro Jahr im Hafen umgeschlagen - hatte die Spitzen der Stadtverwaltung im Großen Saal des wenige Jahre zuvor fertig gestellten Rathauses am Burgplatz zusammengerufen und übergab die Amtsgeschäfte. Der neue OB ließ seinen Vorgänger Hoch leben und bat darum, das in Lehr gesetzte Vertrauen auch ihm zukommen zu lassen.

Erfolgreiche Verwaltungskarriere

Der 1874 in Remscheid geborene Jarres blickte, trotz seines für einen damaligen Oberbürgermeister geradezu jugendlichen Alters von nicht einmal 40 Jahren, auf jede Menge Verwaltungserfahrung zurück: Seine steile Karriere begann 1901 mit seiner Anstellung zum Assessor bei der Stadt Düren. 1903 wurde er Beigeordneter. 1906 wechselte er nach Köln, kehrte 1910 als hauptamtlicher Bürgermeister nach Remscheid zurück. 1914 ließ er sich zum Duisburger Stadtoberhaupt wählen.

Gefeiert wurde der Amtsantritt von Karl Jarres am 3. Juli in einem Rahmen, der heute kaum vorstellbar ist: In der städtischen Tonhalle wurde ein Festmahl ausgerichtet. Auf der Speisekarte stand ein Fünf-Gang-Menü mit Suppe, Heilbutt, Ochsenrippe, Hähnchen und Käse. Ehrengäste waren die Spitzen der Verwaltung, der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens. Doch auch jeder Bürger konnte sich einen Platz reservieren, so er denn willens und in der Lage war, drei Mark (heute etwa 60 Euro) für ein „trockenes Gedeck“ zu bezahlen. Wein kostete extra; ein passables Tröpfchen war ab zwei Mark pro Flasche zu haben. Im Preis enthalten war die Musik: Die Philharmoniker spielten Grieg, Liszt, Wagner und Strauß. All das dokumentiert ein erhalten gebliebener Verwaltungsakt im Stadtarchiv.

Amtsübernahme kurz vor Kriegsausbruch

Viel Zeit zum Feiern blieb Karl Jarres nicht: In den Zeitungen vom 4. Juli, in denen über seine Amtseinführung berichtet wird, nimmt die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo breiten Raum ein. Einen Monat später brach der 1. Weltkrieg aus.

Hunger und Not breiter Bevölkerungsschichten prägten ab 1917 die Situation in der Stadt. Der durch humanistische Erziehung geprägte Jarres, der als gemäßigter Konservativer zunächst den Nationalliberalen, ab 1918 der Deutschen Volkspartei angehörte, tat, was er konnte, um das Elend zu lindern. Auch die Revolution vom November 1918 bremste ihn nicht. Als Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates ins Rathaus kamen, reagierte er ungerührt: „Meine Herren, ich werde gerne mit ihnen Skat spielen. Aber regieren lassen sie mich alleine, das habe ich gelernt.“

Zielstrebig und mutig

Unbeugsam blieb Jarres auch, als die Franzosen 1923 das Rheinland besetzten. Einen Ausweisungsbefehl ignorierte er: Er könne keiner Macht der Erde zugestehen, ihn gegen seinen Willen zu entfernen. Die Franzosen versuchten es, ließen ihn nach Dorsten abschieben. Einen Tag später war Jarres wieder da. Am Ende brachte ihm seine Sturheit viel Anerkennung, aber auch zwei Monate Gefängnis ein.

Jarres behielt in der Krise einen klaren Kurs bei. Rheinischen Separationsbestrebungen, wie sie vom späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer vertreten wurden, erteilte er eine Absage. All das brachte ihm im November 1923 eine Berufung zum Reichsinnenminister ein Seine Amtszeit endete nach nur 15 Monaten. Nach dem plötzlichen Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert kandidierte Jarres 1925 für das Amt des Reichspräsidenten. Im ersten Wahlgang schaffte er zwar die relative, nicht aber die verlangte absolute Mehrheit. Am Ende wurde Hindenburg Staatsoberhaupt.

Ausflug in die Reichspolitik

Der mit seinem Ausflug in die Reichspolitik verbundene Vertrauensverlust, den Jarres in den eigenen Partei-Reihen verspürte, schmerzte ihn. Er verwand diese Episode nie. An seinem Einsatz für Duisburg änderte das nichts. Und die Bürger dankten es ihm: Mit klarer Mehrheit wurde der Krisen-Manager, der lange Jahre auch Präsident des Rheinischen Provinziallandtages war, 1930 ein weiteres Mal wiedergewählt.

Kurz zuvor hatte Jarres durch die kommunale Neuordnung Duisburg noch größer gemacht: 1929 kam Hamborn zu Duisburg. Doch die Weltwirtschaftskrise und der Zusammenbruch der Kohle- und Stahlindustrie trafen die Stadt hart: Massenarbeitslosigkeit und Verarmung bahnten letztlich den Weg für die Nationalsozialisten.

Nazis jagten ihn 1933 davon

Im Mai 1933 wurde Karl Jarres nahe gelegt, seine Beurlaubung zu beantragen. Jarres sah Widerstand als zwecklos an. Nach außen stellten die Nazis dies als freiwilligen Rücktritt dar. Jarres verbrachte die nächsten Jahre in der Eifel, musste 1945 mit dem Tod seiner Frau Freya fertig werden, die sich von den Folgen eines 11933 erlittenen Autounfalles nie erholt hatte.

Auf eine Rückkehr in die Kommunalpolitik verzichtete Jarres bewusst. Er war aber Ratgeber seines früheren Beigeordneten Heinrich Weitz, der 1945 Duisburger Oberbürgermeister wurde. Karl Jarres starb am 20. November 1951.

Erinnerungen an Jarres

An ihn erinnert heute im Stadtbild die Hochfeld durchquerende Karl-Jarres-Straße. Und ein Konferenzschiff der Duisburg-Ruhrorter Hafen AG trägt seinen Namen.