Duisburg. Sieben Duisburger Stadtteilhistoriker gehören zu den 18 auserwählten, die mit einem Budget von insgesamt 30.000 Euro Geschichte schreiben können.
Mit fachlicher Unterstützung Stadtteilgeschichte erforschen und schreiben können – diese Möglichkeit erhalten jetzt sieben Laien-Historiker aus Duisburg. Ihre Projekte wurden von einer Jury, bestehend aus Vertretern verschiedener Ruhrgebiets-Institutionen ausgewählt. Die GLS Treuhand und mehrere lokale Kooperationspartner von Stiftungen bis Museen begleiten die Stadtteil-Historiker bei ihren Recherchen und unterstützen jedes Projekt mit 1500 Euro. Die ausgewählten Stipendien-Themen in der Übersicht:
Leben in Ruhrort 1875-1915
In der Zeit von 1875 bis 1914 war Ruhrort als Heimat des weltgrößten Binnenhafens in kurzer Zeit sehr großer Veränderung unterworfen. Die Bevölkerung wuchs rasant, der Handel und die Warenwirtschaft waren im Aufschwung. Die Kindersterblichkeitsrate in dieser Zeit war in Ruhrort sehr hoch. In den Ruhrorter Sterberegistern dieser Zeit kommen auf einen verstorbenen Erwachsenen vier Sterbeeinträge für Kinder unter 18 Jahren. Die schwierigen Lebensumstände, die hygienischen und wirtschaftlichen Verhältnisse für Familien sollen in diesem Projekt aufgezeigt werden.
Erinnerungen der ersten Migrantinnen in Marxloh
Fünf junge Frauen begeben sich in Marxloh auf Spurensuche. Die Nachkommen ehemaliger Arbeitsmigrantinnen interviewen ältere Frauen, zeigen die unterschiedlichen Facetten des Begriffs Heimat, suchen alte Bilder, Gedichte und Zeichnungen. Der Hintergrund, dass in migrantischen Familien die jüngeren Generationen mit diffusen Gefühlen über die Heimat aufwachsen, es eine diffuse Sehnsucht bei vielen nach den Orten der Kindheit, der Wunsch der Rückkehr aber auch nach Freuden der „neuen“ Heimat gibt, soll aufgezeigt werden.
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Siegfried-Figur auf dem Ehrenfriedhof Kaiserberg
Die Siegfried-Figur auf dem Ehrenfriedhof Kaiserberg hat im November 2015 zum ersten Mal das Interesse beim jungen Geschichtsstudenten geweckt, als die Figur zum Volkstrauertag mit pinker Farbe übergossen wurde. Seine Recherchen haben ergeben, dass die Figur in der Vergangenheit schon mehrfach beschädigt wurde. Bis heute ist die Siegfried-Figur Teil eines Interpretationsstreits, der von radikalen linken und rechten Gruppierungen in Duisburg instrumentalisiert wird.
So wurde Siegfried zum Beispiel im Dezember 2017 mit deutlichen antifaschistischen Symbolen bemalt. Mit seiner Arbeit möchte der Student die Siegfried-Figur als Beispiel eines identitätsstiftenden Erinnerungsortes für die Stadt Duisburg zu Trauer und Gedenken der Weltkriegstoten untersuchen und die Wandelbarkeit ihrer Instrumentalisierung und Interpretation herauszuarbeiten.
Das Dorf Meiderich
Meiderich und seine – für viele Bewohner – „dörfliche Struktur“ wird in dem Projekt über den Stadtteil herausgearbeitet. In dem Projekt sollen interessante Informationen zu den Höfen in der Zeit bis zum Beginn der Industrialisierung zusammengestellt und zu einer imaginären Wanderung „Von Hof zu Hof“ durch das Meiderich um 1800 eingeladen werden. Auf dieser „Lese-Wanderung“ kann man über die Höfe und ihre Geschichte, aber auch ihre Besonderheiten, ebenso erfahren, wie über Leben und Arbeiten in dieser Zeit. Sogenannte „Spinnradgeschichten“, die man sich nach getaner Arbeit abends auf den Höfen erzählte, machen das Erzählen über die Höfe noch lebendiger.
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Der Waldfriedhof als Spiegel der Duisburger Gesellschaft
Prunkvolle und üppig dekorierte Gräber von Sinti-Familien, ein weiß-getünchtes Gräberareal orthodoxer Griechen, ein Friedhof für jüdische Mitbürger und auch ein Gräberfeld für Muslime – das ist der Waldfriedhof in Duisburg. Das Projekt beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Waldfriedhof im Laufe der Duisburger Geschichte verwandelt hat. Wie hat sich der Friedhof von einer typisch christlichen Reihengräberstätte zu einem Ort entwickelt, der der gesellschaftlichen Individualisierung und Liberalisierung Rechnung trägt.
Erinnerungsort Papageienhaus, Obermeiderich
Das „Papageienhaus“ ist ein ehemaliges Heim für Gastarbeiter, Kriegsflüchtlinge und Aussiedler. Hier beginnt auch die Lebensgeschichte des Projektstarters in Duisburg. In diesem nicht mehr existierenden Ort verbrachte er mit seinen Eltern und dem Bruder zwischen 1994 und 1995 das erste Jahr in Duisburg, in Deutschland. Durch die Erstellung eines Fragebogens, nach Möglichkeit auch durch Interviews, Videodokumentation, sollen so ehemaligen Bewohner einen Einblick in das Leben dort verschaffen. Aus allen Jahrzehnten, von Baubeginn 1950 bis zum Abriss 2015, sollen ehemalige Bewohner ausfindig gemacht werde, um so eine Nachvollziehbare Entwicklung innerhalb des Ortes darzustellen. Wer waren diese Menschen? Wo kommen sie her? Was machen sie heute? Die Ergebnisse sollen in einem Erinnerungsort wieder sichtbar gemacht werden.
18 Monate Recherchezeit
Die Durchführung der Stadtteil-Historiker im Ruhrgebiet ist eine Kooperation von Gerda Henkel Stiftung, Bürgerstiftung Duisburg, Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets, Ruhr Museum und GLS Treuhand. Das Projekt Stadtteil-Historiker wurde von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main entwickelt.
Nach einer 18-monatigen Recherchezeit werden die Ergebnisse der Stadtteil-Historiker an öffentlichen Orten individuell präsentiert werden.