Duisburg. Rund 11.000 Zuwanderer aus Südosteuropa leben in Duisburg. Nur wenige sind krankenversichert. Ein neues Projekt soll helfen, das Problem zu lösen.

Die provisorische Arztpraxis im alten Pfarrhaus am Petershof in Duisburg-Marxloh ist eine Anlaufstelle für Menschen, die in Duisburg leben, aber nicht krankenversichert sind. Der Leiter des Petershofes, Pater Oliver Potschien, hat hier einmal pro Woche eine kostenlose Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung eingerichtet. Und die ist immer völlig überlaufen. Zwischen 30 und 40 Patienten kommen an jedem Donnerstag – Tendenz steigend, sagt Schwester Ursula Preußer, die im Sprechstunden-Team mitarbeitet.

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Das weiß auch Dr. Dieter Weber, Leiter des Gesundheitsamtes, und schlägt Alarm. Rund 10.000 Menschen ohne Krankenversicherung leben aktuell in Duisburg, so seine Schätzung. Die meisten von ihnen seien Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien, die sich nach Deutschland aufgemacht haben und hier auf bessere Lebensumstände hoffen. Aber auch Deutsche seien darunter. „Zum Beispiel Selbstständige, die aus finanziellen Gründen auf einen Versicherungsschutz verzichtet haben“, sagt Weber.

Schon ein Minijob bringt Menschen in die Pflichtversicherung

Diese enorm hohe Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung sei ein „Riesenmissstand", der bekämpft werden müsse. Aber wie? Darüber führt der Amtsarzt derzeit intensive Gespräche mit dem NRW-Gesundheitsministerium. Mittelfristig soll es gelingen, eine möglichst große Zahl der betroffenen Menschen in ein Arbeitsverhältnis zu bringen. „Wenn sie einen Minijob antreten würden, wären sie pflichtversichert“, erklärt Weber.

Dafür werde im kommenden halben Jahr eine so genannte Clearingstelle in Duisburg eingerichtet. Dort sollen Sozialarbeiter dabei helfen, die Versicherungsverhältnisse der betroffenen Personen zu klären. Fördergelder sollen dies möglich machen. Wie genau die Sozialarbeiter mit den betroffenen Menschen in Verbindung kommen sollen und aus welchen Töpfen das Geld dafür nach Duisburg fließen soll, ist derzeit aber noch völlig unklar.

Kostenlose Impfungen in Duisburg

Das NRW-Gesundheitsministerium bestätigte auf Nachfrage lediglich, dass es erste Gespräche über eine solche Maßnahme gegeben habe. Details zur Umsetzung könne das Ministerium aber noch nicht nennen.

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Dabei ist das Problem keineswegs neu. Bereits 2012 initiierte die Stadt Duisburg das Gesundheitsnetz "Medinet", das die Gesundheitsversorgung bei Kindern aus Zuwandererfamilien verbessern sollte. Teil des Netzes ist die Sprechstunde am Petershof sowie ein inzwischen wieder eingestelltes Sprechstundenangebot in Hochfeld. Zum "Medinet" gehört auch das Impfprojekt des Gesundheitsamtes, bei dem einmal im Monat kostenlose Impfungen für Menschen ohne Versicherungsschutz angeboten werden.

Lage in Duisburg hat sich nicht gebessert

Trotz aller Lösungsansätze: Die Lage hat sich bislang nicht entscheidend gebessert. "Ohne Krankenversicherung können Vorsorgeuntersuchungen und zahnmedizinische Prophylaxe nicht wahrgenommen werden, und es gibt große Impflücken. Bei vielen Patienten ist der Zahnstatus als katastrophal zu bezeichnen", heißt es im dritten Sachstandsbericht zum Thema Zuwanderung aus Südosteuropa, den die Stadt im März veröffentlichte.

Das Impfprojekt des Gesundheitsamtes werde laut Dr. Weber nur schwach angenommen. In der Sprechstunde bei Pater Oliver könne derzeit aus organisatorischen Gründen noch nicht geimpft werden. Daran arbeitet das Gesundheitsamt aktuell. Zudem habe man bislang keinen Zahnarzt gefunden, der Menschen ohne Versicherungsschutz behandelt, heißt es im Sachstandsbericht. Die Stadt habe aber Kinderärzte, Orthopäden, Augen- und Hautärzte sowie Gynäkologen davon überzeugt, in Einzelfällen die Weiterbehandlung zu übernehmen.

Zusammenarbeit mit rumänischen Behörden verbessern

Bei allen Anstrengungen, die das Gesundheitsamt in der Vergangenheit unternommen hat, hält die Stadt in ihrem Bericht fest, dass der fehlende oder ungeklärte Krankenversicherungsschutz alle Beteiligten vor "unlösbare Probleme" stelle.

Ob nun die geplante Clearingstelle alle Probleme lösen kann - da bleibt auch Dr. Weber skeptisch. Er hofft aber, dass die Clearingstelle die Zusammenarbeit mit den rumänischen Behörden vorantreibt. Denn Kinder seien in Rumänien häufig schon pflichtversichert. Allerdings fehlten in zu vielen Fällen die Nachweise über den Versicherungsstatus. Zudem glaubt Weber, dass die Clearingstelle die bisherigen Hilfsprojekte professionell unterstützen kann.

Das Projekt "Unser Haus Europa" brachte 73 Zuwanderer in ein Arbeitsverhältnis 

Das Land NRW stellte der Stadt bereits 2014 Fördermittel in Höhe von bis zu 3,2 Millionen Euro zur Umsetzung des Projektes "Unser Haus Europa" zur Verfügung. Das Projekt läuft noch bis Ende 2015 und soll helfen, Zuwanderer aus Südosteuropa auf das Berufsleben in Deutschland vorzubereiten. Job-Coaches und Sprachmittler sollen in Marxloh und Hochfeld eng mit den Zuwanderern zusammenarbeiten.

Laut des dritten Sachstandsberichtes habe das Projekt nach einem Jahr Laufzeit 1100 Interessierte aus der Zielgruppe erreicht. Allerdings hätten nur 73 nun tatsächlich eine Arbeitsstelle.

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Ebenfalls an der Problemlösung mitarbeiten sollen die so genannten "Integrationslotsen", die seit September vergangenen Jahres im Einsatz sind. Bis zu acht rumänisch- beziehungsweise bulgarischsprachige Menschen begleiten Zuwanderer beim Integrationsprozess. Sie helfen etwa bei Behördengängen, geben Informationen zur gesundheitlichen Vorsorge weiter und vermitteln Sprachförderangebote. Zwei zusätzliche Lotsen sollen in Zukunft bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt helfen.

Es gibt viel bezahlbaren Wohnraum in der Stadt

Dass es besonders in Duisburg ein Problem mit Zuwanderern aus Südosteuropa mit ungeklärten Versicherungsverhältnissen gibt, liege am Strukturwandel und dem Wegzug eines großen Teils der Bevölkerung, meint Amtsarzt Weber. „In einigen Stadtteilen wie Hamborn, Meiderich und Hochfeld gibt es viele leerstehende Häuser und damit auch viel bezahlbaren Wohnraum. Die Eigentümer der Häuser wollen mit den Immobilien Profit erzielen." Und das habe sich inzwischen herumgesprochen. Zudem sei das städtische Umfeld bei den Zuwanderern attraktiver als ländliche Gegenden. „Da ist einfacher, eng bei einander zu wohnen.“

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Kostenlose Sprechstunde finanziert sich über Spenden

Weber kritisiert EU und Bund dafür, „dass die Konsequenzen aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Vorfeld nicht richtig bedacht wurden“. Deshalb fordert er die EU, den Bund und auch das Land NRW auf, sich finanziell stärker an den Problemlösungen zu beteiligen. „Es müsste einen Hilfsfond geben, damit Krankenhäuser, die Notfälle derzeit gratis behandeln, nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben“, sagt Weber.

Auch Pater Oliver mit seinem Sprechstundenangebot am Petershof, das nur durch Spenden und ehrenamtliche Helfer aufrechterhalten wird, sucht dringend nach finanzieller Unterstützung. „Wir sind in unseren Maßnahmen sehr beschränkt. Für die Schwangerschaftsvorsorge nutzen wir ein Ultraschallgerät aus den 70er-Jahren“, sagt Schwester Ursula Preußer.