Bottrop. Therapeutin: Es ist erschreckend, wie viele Kinder in Bottrop schlecht auf die Schule vorbereitet sind. Lernprobleme sind die Folge.

Viele Schulkinder in Bottrop können schlecht deutsch, sind übergewichtig und haben auch beim Zusammenspiel des Sehens und des Bewegungsapparates ihre Schwierigkeiten. Diese Erkenntnisse, die der aktuelle Integrationsbericht der Stadt zusammenfasst, haben erste Parteivertreter alarmiert. „Es ist erschreckend, wie viele Kinder schlecht auf die Schule vorbereitet sind“, meint zum Beispiel ÖDP-Vertreterin Dr. Elly Vaupel.

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Nicht nur sprachliche Schwächen, sondern vor allem auch visuo-motorische Probleme sind bei vielen Kindern vorhanden. „Die späteren Lernschwierigkeiten sind die Folge davon“, mahnt die Parteivertreterin, die beruflich als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin tätig ist. Erst kürzlich erbat sich die ÖDP-Vertreterin deshalb von den Fachressorts der Stadt weitere Erläuterungen zu der Problematik.

Jungen schneiden deutlich schlechter ab als Mädchen

Denn laut Integrationsbericht gab es bei der Visuomotorik schlechtere Ergebnisse bei ausländischen Kindern. 30,7 Prozent von ihnen wurden als auffällig eingestuft. Bei den deutschen Kindern waren es 17 Prozent. Die Therapeutin wies darauf hin, dass vor allem Jungen deutlich schlechter abschneiden als Mädchen. Bei ausländischen Jungen waren die Auffälligkeiten bei einem Anteil von 35,8 Prozent mehr als dreimal so hoch wie bei den ausländischen Mädchen (11,3 Prozent), deren Anteil wiederum genauso hoch war wie bei den deutschen Mädchen.

Auch deutsche Jungen zeigten danach mit 21,8 Prozent gegenüber deutschen Mädchen (11,3 Prozent) eine beinahe doppelt so hohe Auffälligkeit. Das hatte sich so bei den Einschulungsuntersuchungen des Bottroper Gesundheitsamtes aus dem Jahr 2022 gezeigt, deren Daten in dem Integrationsbericht jetzt ausgewertet sind. Auch in den beiden Jahren zuvor waren diese Auffälligkeiten groß.

Für das Erlernen von Lesen und Schreiben sehr wichtig

Während unter visueller Wahrnehmung die Fähigkeit gemeint ist, Formen und Farben oder unterschiedliche Größen, Entfernungen, Bewegungen und Strukturen zu erkennen, versteht man unter Visuomotorik die Umsetzung der visuellen Wahrnehmung zum Beispiel beim Abmalen, Puzzeln oder Ausschneiden, erläutern Fachleute. Diese Fähigkeiten seien gerade für das Erlernen von Lesen und Schreiben sehr wichtig. Ohne diese Fähigkeiten verlieren Kinder oft auch schnell die Lust am Lernen, heißt es.

Hinzu kommt, dass 58,8 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund - damit sind Kinder gemeint, die entweder selbst im Ausland geboren sind oder von denen mindestens ein Elternteil aus dem Ausland stammt - bei der Sprache Förderung brauchen. Im Jahr davor waren es 53,6 Prozent. Der Anteil bei den Kindern ohne Migrationshintergrund mit Sprachförderbedarf liegt bei 18,9 Prozent, stieg aber ebenfalls im Vergleich zum Jahr zuvor (16 Prozent) leicht an.

Sprachförderbedarf vor erster Fluchtwelle erheblich geringer

Der Anteil von Kindern mit Sprachförderbedarf war zwar zuletzt gesunken: um gut 10 Prozent bei Kindern mit Migrationshintergrund und um fast fünf Prozent bei deutschen Kindern. Trotz des Anstiegs 2022 sind die Anteile daher auch immer noch niedriger als in den früheren Jahren. Seinen Höhepunkt hatte der Anteil von Kindern mit Sprachförderbedarf vor vier Jahren erreicht.

Ein siebenjähriges Schulkind steht auf einer Personenwaage, die ein Gewicht von 34,8 Kilogramm anzeigt. Dies ist ein deutliches Übergewicht.
Ein siebenjähriges Schulkind steht auf einer Personenwaage, die ein Gewicht von 34,8 Kilogramm anzeigt. Dies ist ein deutliches Übergewicht. © dpa | Jan-Peter Kasper

Insgesamt 483 deutsche Kinder brauchten Förderung und 942 Kinder mit Migrationshintergrund. Zum Vergleich: Vor der ersten Flüchtlingswelle 2015 waren es gerade einmal 73 deutsche Kinder und 195 ausländische bzw. 3,6 und 16,6 Prozent. Im Jahr 2020 lagen die Quoten dagegen schon bei 20,9 und 63,8 Prozent,

Fast ein Drittel ausländischer Jungen kann kaum Deutsch

Auffallend auch hier: Mädchen mit nichtdeutscher Erstsprache schneiden etwas besser ab als Jungen. Bei den Untersuchungen 2022 wurde festgestellt, dass 23,8 Prozent der Jungen nur radebrechend und 7,3 Prozent gar kein Deutsch sprechen. Bei 39,4 Prozent der Jungen wurden die Kenntnisse als „spricht flüssig Deutsch, aber mit erheblichen Fehlern“ eingestuft. 29,4 Prozent sprachen flüssig Deutsch mit leichten Fehlern und 4,7 Prozent sogar fehlerfrei Deutsch.

Bei den Mädchen sprachen dagegen nur 16,4 Prozent radebrechend und 5,3 Prozent gar kein Deutsch. Der größte Teil mit 42,3 spricht demnach flüssig Deutsch, aber mit erheblichen Fehlern, und weitere 28,6 sprechen flüssig Deutsch mit leichten Fehlern. 7,4 Prozent der Mädchen mit nichtdeutscher Erstsprache sprachen sogar fehlerfrei Deutsch.

„Das wirkt sich bis in die Sozialkompetenzen hinein aus“

Die Schwierigkeiten beim Lernen, die sich für einen großen Teil der Schulkinder daraus ergeben, sind selbstverständlich längst nicht Sache der Grundschulen allein, sondern setzen sich in den weiterführenden Schulen fort. „Das zieht sich durch alle Schulen. Die Kinder kommen natürlich auch hier mit Problemen an“, sagt Dominik Nowak, der Leiter der Gustav-Heinemann-Realschule.

Wenn es an Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen fehle, wirke sich dies selbstverständlich beim Lernen in allen Fächern aus. „Alles andere hängt davon ab. Das wirkt dann auch bis in die Sozialkompetenzen hinein“, sagt Nowak , der sich auch als Vorsitzender des Kirchhellener CDU-Bezirksverbandes engagiert. Um so wichtiger sei, dass die Stadt solche Daten wie jetzt im aktuellen Integrationsbericht regelmäßig vorlege.

„Wir brauchen alle Kinder und dürfen keines verlieren“

„Wir brauchen alle Kinder und dürfen kein Kind verlieren“, betont der Lehrer. Nötig seien unterschiedliche Lernangebote für Jungen und Mädchen sowie individuelle Förderung. „Schulen müssen auch für die Jungen gezielt Lernangebote schaffen. Das fängt schon damit an, welche Bücher ich ihnen hinlege“, sagt der Schulleiter. Es müsse viel mehr noch als jetzt auch haptisches Lernen, also durch Anfassen von Dingen, möglich sein.

„Wir müssen Kinder noch gezielter fördern, etwa in Ergänzungsstunden, in denen wir zum Beispiel ihre mathematischen Fähigkeiten fördern“, erläutert Nowak, der es als problematisch ansieht, dass auch die Bewegungszeiten der Kinder weiter abgenommen haben. So zeigen im Integrationsbericht die Daten auf Basis der Einschulungsuntersuchungen des Gesundheitsamtes, dass ausländische Kinder mit einem Anteil von 19,6 Prozent öfter übergewichtig sind als deutsche Kinder (12,6 Prozent) im gleichen Alter. Das gilt vor allem für ausländische Mädchen (23,6 Prozent) und ist schon seit mehren Jahren in unterschiedlichen Ausprägungen so.

An Gesamtschulen und Berufskolleg mehr Ausländer als Deutsche

Im Untersuchungsschuljahr 2022/23 besuchten insgesamt 12.922 Kinder und Jugendliche eine Bottroper Schule. Davon waren 7349 deutsch und 5573 Kinder, die selbst oder deren Eltern im Ausland geboren sind. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit ausländischer Herkunft liegt an alle Schulen somit bei 43,13 Prozent.

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist an den Gesamtschulen (58,3 Prozent) und am Berufskolleg (59,5 Prozent) größer als der Anteil der deutschen Kinder. An den Gymnasien liegt ihr Anteil dagegen bei 20 Prozent. Kinder mit ausländischer Herkunft machen in Bottrop mit 46,9 Prozent nicht ganz die Hälfte aller Grundschulkinder aus.