Bottrop. Die Partyreihe „Gear‘n‘Dance“ lockt Gäste aus der ganzen Welt nach Bottrop. Jeder kann seinen Fetisch ausleben – Geschlechtsverkehr ist tabu.
Für das Foto schlüpft Vigos in seine Rolle. Er setzt seine Hood, so der Name für die Hundemaske in der Fetisch-Szene, auf. Anschließend zieht er die Handschuhe an. Die Handschuhe sind aus Leder, die Maske aus Neopren, in kleinen Stückzahlen angefertigt und mehrere Hundert Euro teuer. „Der Fetischaufschlag“, sagt Vigos lächelnd.
Vigos lautet sein Name in der Community. Seinen bürgerlichen Namen nennt er nicht. Seit 2019 ist er in der Szene aktiv, Gründungsmitglied des Vereins „Puppy & friends NRW“ und seit 2020 ist er selbst Puppy. Also jemand, der in die Fetisch-Rolle eines Hundewelpen schlüpft und dessen Verhaltensmuster nachahmt.
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Martin Funke hält ihn während des Fotoshootings an der Leine. Er ist Bar- und Partymanager in der Erlebnisfabrik Eloria. Beide Männer kennen sich seit fast zehn Jahren. Sie sind die Köpfe hinter der Fetisch-Partyreihe „Gear‘n‘Dance“. Im Oktober 2021 steigt im Eloria die Premierenparty mit knapp 120 Gästen. Am 6. Januar findet die erste Party in 2024 statt. „Innerhalb von 30 Sekunden waren alle Tickets reserviert“, sagt Vigos. Vonseiten des Vereins kümmern sich sechs Leute um die Party.
Erwartet werden bis zu 800 Gäste aus aller Welt. Der weiteste Gast wird voraussichtlich wieder eigens aus Australien anreisen. „Er plant seinen Urlaub rund um die Party. Das ist für uns echt ein Lob“, meint Vigos. Die Party lädt im Turnus von drei Monaten ein. Im Sommer wird zusätzlich der Biergarten der Erlebnisfabrik genutzt. Dann sind es schätzungsweise rund 1000 Gäste, die das Gebäude von Eloria als eine riesige Partyfläche nutzen. „Unter unseren Gästen wird inzwischen mehr Englisch als Deutsch gesprochen“, sagt Martin Funke.
Er und Vigos kennen sich jedoch von einer anderen Veranstaltung, nämlich „Chill & Bark“. Ebenfalls eine Veranstaltung, die der Verein „Puppy & friends NRW“ organisiert. Ort des Events ist ein Saunaclub, wo Funke damals arbeitete. Vigos engagiert sich damals wie heute für den Verein und entwickelte gemeinsam mit einem Kollegen das Eventkonzept „Chill & Bark“.
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Später wechselt Martin Funke beruflich zu Eloria. Beide haben zusammen die Idee für eine neue Partyreihe, Funke schlägt Eloria als Location vor. „Mein Chef hat an uns und an das Konzept geglaubt“, sagt er.
Es gibt eine Sache, die sie von anderen Fetischpartys deutschlandweit, europaweit und wahrscheinlich auch weltweit, unterscheidet. „Gear‘n‘Dance ist die größte Fetischparty ohne sexuellen Hintergrund“, sagt Vigos. „Es gibt keinen Darkroom. Und es wird darauf geachtet, dass nichts Sexuelles auf den Toiletten passiert.“ Er sei schon auf vielen Partys gewesen. „So etwas ist total untypisch.“
Genau mit diesem Konzept treffen sie ins Schwarze. „Wir haben uns dazu entschlossen, dass wir eine reine Tanzveranstaltung sind. Wir haben eine Nische getroffen. Die Community wächst und wächst. Den Menschen wird ein Platz geboten, wo sie so sein können, wie sie wollen“, sagt Martin Funke. Jeder und jede kann kommen, wie er oder sie will. Es gibt keinen Dresscode. Das männliche und weibliche Geschlechtsteil muss allerdings verdeckt sein. Ein nackter Popo ist in Ordnung. Eine Frau darf, wenn sie will, auch ihre Brüste zeigen.
„Gear‘n‘Dance“-Party in Bottrop: Tanzen erlaubt, Geschlechtsverkehr tabu
Der gelebte Fetisch ist ganz individuell, so wie die eigene Persönlichkeit. Gäste tragen Uniformen der Feuerwehr oder der Polizei. Es gibt Leute, die kommen komplett angezogen in einem Taucheranzug, welche tragen eine Gasmaske oder Motocross-Helme. Andere kommen eben als Puppy oder als flauschige Maskottchen. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, meint Vigos.
Nur Geschlechtsverkehr ist tabu. Eine Fetischparty ohne sexuelle Handlungen? Das habe, so Vigos, anfangs in der Community für viel Diskussionen gesorgt. Doch der Zuspruch der beiden vergangenen Jahre gibt ihnen recht. „Die Party wird jedes Mal bunter“, hat Martin Funke festgestellt.
Erlebnisfabrik Eloria wird zu einer einzigen Partyzone
Das Eloria wird jedes Mal zu einer Partyzone mit zwei Tanzflächen, dazu gibt es verschiedene Lounges. In einem Raum wird ein Super-Nintendo an einem alten Röhrenmonitor angeschlossen. Daran kann den ganzen Abend gezockt werden. Auch ein Bällebad ist immer da. Im Sommer wird zudem auf dem Außengelände eine Hüpfburg aufgestellt. Jede Party ist anders, weil die Locations umgebaut werden und jedes Mal neue Party-Elemente dazukommen.
Es habe schon Anfragen gegeben, ob sie die Party nicht woanders stattfinden lassen wollen, zum Beispiel in Berlin oder in anderen Ländern. Jedes Mal haben sie abgesagt. „Wir wollen gar nicht woanders hin“, sagt Vigos. Man fühlt sich wohl im Eloria. Nicht nur wegen der einmaligen Location, sondern auch weil man ihnen dort die Gelegenheit gegeben habe, das Event „Gear‘n‘Dance“ umzusetzen.
Farbige Armbänder zeigen an, wie viel Körperkontakt die Gäste möchten
Circa 15 Mitarbeiter von Eloria bewirten die Gäste, zwischen 40 und 50 Leute aus dem Verein „Puppy & friends NRW“ kümmern sich ehrenamtlich um den reibungslosen Ablauf. Funke und Vigos versichern, dass es noch nie Streit oder Stress zwischen den Gästen gegeben habe. Alles sei friedlich, die Gäste wollen einfach nur feiern und Spaß haben.
Es gibt, wer möchte, drei unterschiedlich farbige Armbänder. Damit signalisiert man, wie viel oder wie wenig Körperkontakt Mann oder Frau möchte. Grün bedeutet, du kannst mich anfassen und mit mir kuscheln. Bei Gelb muss gefragt werden, ob man sie oder ihn berühren darf und sich quasi die Erlaubnis einholen. Rot heißt so viel wie „lass mich bitte in Ruhe“. Zusätzlich ist ein Awareness-Team auf der Party anwesend. Wer Opfer von Übergriffen oder diskriminiert wird, kann sich an das Team wenden. „Das nennt sich bei uns Safe Space“, sagt Vigos.
Vigos: „Wir haben es geschafft, dass die Leute mehr zu ihrem Fetisch stehen“
Die beiden Männer wissen, dass ihre Fetisch-Partys nicht immer auf Gegenliebe stoßen. Die Gäste mit ihren Outfits polarisieren und wirken teils verstörend. Martin Funke erklärt dies „mit einem Mangel an Aufklärung“. „Es ist für die Leute neu, es ist anders, also ist es unnormal“, sagt er. Vigos ergänzt: „Viele Leute wissen gar nicht, dass sie einen Fetisch haben.“
Gerade weil die Leute ihren Fetisch entdecken, wächst die Community. „Wir haben es durch unsere Partys geschafft, dass die Leute mehr zu ihrem Fetisch stehen. Und wir versuchen den Leuten, den Weg in die Community zu öffnen, ohne sexuellen Hintergrund“, sagt Vigos.
Dass man auch vorurteilsfrei durchs Leben gehen und Party machen kann, zeigt ein Erlebnis von Martin Funke. Drei ältere Damen, so um die 70, saßen einst im Biergarten von Eloria. Der reguläre Betrieb endete um 22 Uhr. Die „Gear‘n‘Dance“ war im Gebäude schon seit einer Stunde in vollem Gange, die Puppys wollten in den Biergarten. „Sie standen oben auf der Terrasse und warteten, dass ich den Biergarten freigebe“, erinnert sich Martin Funke.
Er ging runter und fragte die Damen, ob sie damit einverstanden wären, dass jetzt die Partygäste auch in den Biergarten könnten. Die Damen fragten: „Warum haben die Leute denn Masken auf?“ Martin Funke erklärte es ihnen.
Später sah er die drei auf der Tanzfläche ausgiebig zwischen den Fetischisten tanzen. Vigos kam mit ihnen sogar ins Gespräch. „Die Damen haben den Spaß ihres Lebens gehabt.“