Bottrop. Für viele Kinder ist Lesen Arbeit. Das wissen sie an der Bottroper Albert-Schweitzer-Schule zu gut und sorgen dafür, dass Lesen nun Spaß macht.

Kaum hat Yusuf sich in der Mediothek der Albert-Schweitzer-Schule gesetzt, nimmt der Schüler den ersten Band der „Spirit Animals“-Reihe zur Hand. Er blättert ein, zwei Seiten in dem Buch hin und her, schon hat er die Stelle gefunden, an der er in seiner letzten Lesestunde aufgehört hatte zu lesen. Dann beginnt der Neunjährige laut aus der Fantasy-Geschichte von Brandon Mull vorzulesen.

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An Yusufs Seite sitzt Ingo Röhnke. Er schaut auch in das Kinderbuch und liest mit. Ingo Röhnke ist der Leselernhelfer des Grundschülers. Er wirkt ziemlich zufrieden. Denn das Vorlesen klappt wieder wie am Schnürchen. „Yusuf kann sich gut konzentrieren“, lobt der 63-Jährige. Beide verbringen die Schulstunde gemeinsam fast durchweg lesend in dem Medienraum. Bei anderen Kindern sei das nicht so einfach, weiß der Bottroper. „Da müssten wir öfter unterbrechen und zwischendurch spielen“, erklärt der Leselernhelfer.

Grundschüler mag am liebsten Abenteuergeschichten

Röhnke hatte das Fantasy-Buch für seinen Schüler mit Bedacht in der Stadtbücherei ausgeliehen. Yusuf mag solche Abenteuergeschichten. „Das macht mir Spaß. Sie sind so schön spannend“, findet der Neunjährige. Sein Mentor fand das schnell heraus. „Die beiden haben einen guten Draht zueinander gefunden“, freut sich Brigitte Wolf, die im Bottroper Mentor-Verein die Lesestunden an der Albert-Schweitzer-Grundschule koordiniert.

Drei Leselernhelferinnen und drei Leselernhelfer bringen sich in der Grundschule an der Prosperstraße ein. Im zweiten, dritten und vierten Schuljahr nehmen sie sich nach dem Unterricht für jeweils ein Kind einmal pro Woche eine Schulstunde lang Zeit, um gemeinsam zu lesen. Das hilft den Schulkindern so sehr, dass Grundschulleiterin Stephanie Scharne sagt: „Wir hätten gerne zwei mehr“. Zwei zweite Klassen seien bisher leer ausgegangen. „Die beiden Klassenlehrerinnen wünschen sich es sehr, dass Leselernhelfer auch bei ihnen mitmachen“, erklärt die Schulleiterin.

Lesen mit dem Finger - das macht Yusuf aus der 4. Klasse fast gar nicht mehr. Einmal die Woche liest der Grundschüler mit seinem Mentor nach dem Unterricht noch aus einem Buch.
Lesen mit dem Finger - das macht Yusuf aus der 4. Klasse fast gar nicht mehr. Einmal die Woche liest der Grundschüler mit seinem Mentor nach dem Unterricht noch aus einem Buch. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Seine Schulleiterin sagt: Yusuf ist ein intelligentes Kind

Yusuf zeige, dass die Mentoren die Kinder voranbringen können. „Yusuf ist ein intelligentes Kind. Wir erleben mit ihm eine schöne Erfolgsgeschichte“, sagt die Schulleiterin. Sie kennt den neunjährigen Jungen gut, weil er früher auch einmal ihr Schüler war. Zu Beginn habe er sich mit dem Lesen schwer getan. Seine Mutter spreche kaum Deutsch und könne ihm nicht unterstützen. Seine Geschwister helfen, wo sie können, doch so intensiv wie durch einen Mentoren könne ihre Betreuung gar nicht sein.

Weitere Helfer gefragt

Im Bottroper Mentor-Verein kümmern sich zurzeit mehr als 70 Leserlernhelferinnen und Leselernhelfer um fast hundert Schulkinder. Der Verein sucht weitere Helferinnen und Helfer, da sich außer Grundschulen zum Beispiel auch das Caritas-Kinderdorf Am Köllnischen Wald um Unterstützung gebeten hat.

Interessierte können sich hier melden: Mentor – Die Leselernhelfer Bottrop e.V., Eichendorffstr. 29, 46242 Bottrop, 02041/782 7051 oder 0174/285 5440, oder per E-Mail: . Informationen über den Mentor-Verein gibt es unter www.mentor-bottrop.de.

Seit gut einem Jahr kümmere sich Ingo Röhnke jetzt um ihn, und: „Yusuf hat in seiner Klasse sogar einen Lesewettbewerb gewonnen“, sagt Stephanie Scharne. Die Fortschritte beim Lesen helfen auch bei der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, betont die Lehrerin. „Wir freuen uns, dass Yusuf inzwischen so ein cooler Typ ist“, meint sie. Auch über den Unterricht hinaus sei sein Selbstbewusstsein gewachsen und er traue sich mehr zu, erläutert die Schulleiterin und macht dies an einem Beispiel fest: „Bei dem Spendenlauf an unserer Schule ist er auf Kiosk-Besitzer zugegangen und hat gefragt, ob sie nicht auch etwas pro Kilometer geben würden. 40 Euro hat einer gespendet“.

„Das ist hier ja kein Nachhilfeunterricht“

Leselernhelfer Ingo Röhnke achtet darauf, dass in den Lesestunden erst gar kein Leistungsdruck aufkommt. „Wir machen das beide ganz entspannt und haben Spaß dabei“, sagt der frühere Bank-Analyst. Mit Kindern könne er gut umgehen. Zwei Töchter habe er großgezogen und sei jetzt auch Großvater, erzählt der Bottroper. Er wähle für die Lesezeit mit Yusuf ganz bewusst Kinderbücher aus, die nichts mit dem Lehrstoff der Grundschule zu tun haben. „Das ist hier ja kein Nachhilfeunterricht“, betont Röhnke.

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Die Erfolgsgeschichte seines Lesekindes drückt Schulleiterin Stephanie Scharne schließlich aber doch in Schulnoten aus, um einfacher verständlich zu machen, welche Fortschritte Yusuf erzielt habe: „Er hat sich bei seiner Leseleistung von vier auf zwei gesteigert“, sagt sie. Wichtig sei, dass er nun auch literarisch lesen könne, den Text also innerlich mitgehe und mit Interesse lese. „Für viele Kinder ist Lesen oft ja noch harte Arbeit“, weiß die Schulleiterin.

Wie unterhaltend das Lesen aber sein kann, spürt auch Yusuf inzwischen. So sagt Ingo Röhnke: „Vor kurzen hat mir Yusuf mit leuchtenden Augen stolz erzählt, dass er in einem Buch 46 Seiten am Stück gelesen hat“.