Bottrop. Die Tochter von Sonja Matuszczyk sitzt in U-Haft. Die 60-jährige Bottroperin kümmert sich um die Enkel – und um die hohen laufenden Kosten.
Sonja Matuszczyk hat die Anrufe gezählt: 168 waren es seit August, die sie geführt habe, um die Situation in den Griff zu kriegen. Die, dass ihre Tochter in Untersuchungshaft sitzt, dass das Jobcenter die Leistungen eingestellt hat, dass die 60-Jährige sich um die beiden Kinder ihrer Tochter kümmert. „Ich verzweifle daran“, sagt die Bottroperin.
Seit dem 13. August befindet sich ihre Tochter in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt in Dinslaken. Die Vorwürfe, die gegen sie erhoben werden, nennen wir zu ihrem Schutz nicht. Ein Verfahren vor dem Landgericht ist noch nicht eröffnet.
Bottroperin in U-Haft: Mutter kümmert sich um die Kinder
Die Tochter von Sonja Matuszczyk, nennen wir sie hier Andrea Schneider, lebt mit ihren beiden Kindern, drei und zehn Jahre alt, in Bottrop. Sie bezieht Leistungen vom Jobcenter. Ihr jüngerer Sohn ist Autist, hat Pflegegrad drei. Vom Vater der beiden Kinder ist sie getrennt, teilt sich mit ihm das Sorgerecht, erzieht die Kinder aber weitestgehend alleine.
Die Familie wird vom Jugendamt begleitet. Als die 35-jährige Andrea Schneider die Untersuchungshaft antreten muss, wird das Jugendamt informiert und auch das Jobcenter. Die Zahlungen werden sofort eingestellt, sowohl für die Miete als auch für die Beiträge des älteren Sohnes im offenen Ganztag.
Sonja Matuszczyk versucht, das aufzufangen, stellt fest, dass ihre Tochter verschuldet ist, dass Mietrückstände von über 2000 Euro aufgelaufen sind. „Ich habe das alles bezahlt“, sagt die 60-Jährige, die eine kleine Rente bezieht. Eine Rate stehe noch aus. Das Geld reicht aber nicht, sie verkauft das Auto ihrer Tochter, um die Schulden zu bezahlen.
Krankenkasse hat Zahlungen eingestellt: 545 Euro monatlich fehlen
Denn auch die Krankenkasse hat die Zahlungen eingestellt. Von ihr bekommt Andrea Schneider eigentlich monatlich 545 Euro Pflegegeld für den jüngeren Sohn. Sonja Matuszczyk weiß nicht mehr, wie sie zurechtkommen soll. „Man kommt da an seine Grenzen.“ Auch sie ist eingeschränkt, hat selbst Pflegegrad vier. „Trotzdem versuche ich, es den Kindern so nett wie möglich zu machen. Das ist wichtig für sie.“
Mit Hilfe einer Sozialarbeiterin hat die Bottroperin Anträge gestellt auf Fortzahlung der Leistungen. Sie kommuniziert mit Jobcenter, Jugendamt, Sozialamt. Denn wenn absehbar ist, dass jemand kürzer als sechs Monate in Haft bleibt, laufen die Leistungen eigentlich weiter, damit Betroffene nicht ihre Wohnung verlieren. Warum hat das hier nicht geklappt?
Bottroper Sozialamtsleiter: „Rechtlich ein total komplizierter Fall“
„Rechtlich ist das ein total komplizierter Fall“, sagt Sozialamtsleiter Sascha Borowiak. Ein Faktor ist, dass der Stadt lange nicht der Haftbescheid vorlag, in dem eine Prognose gegeben wird, wie lange Andrea Schneider im Gefängnis bleiben könnte. Denn nur, wenn es wahrscheinlich ist, dass sie nach weniger als einem halben Jahr freikommt, würde weitergezahlt. Allerdings nicht vom Jobcenter, sondern vom Sozialamt.
Denn ein weiteres Problem: Der Vater der Kinder lebt in Essen, kümmert sich zwar aktuell täglich zusammen mit Sonja Matuszczyk um die beiden Jungs, aber auf dem Papier leben die Kinder in der Bottroper Wohnung ihrer Mutter gerade alleine. Damit besteht die Bedarfsgemeinschaft, die Bürgergeld bezieht, nicht mehr in der eigentlichen Form. Nur die Kinder wären aktuell berechtigt – und würden damit in den Zuständigkeitsbereich des Sozialamtes statt des Jobcenters fallen. Die Miete würde halbiert, wenn nur die Kinder berechtigt wären.
„Das hier ist eine absolute Ausnahmesituation“, sagt Sascha Borowiak, der einen solchen Fall noch nicht erlebt hat. Dass eine Mutter, die zwei Kinder praktisch alleine versorgt, in Untersuchungshaft kommt, sei sehr ungewöhnlich.
Gute Nachricht für Bottroperin: Sie bekommt das Geld ausgezahlt
Als die WAZ den Sozialamtsleiter kontaktiert, hat dieser schon viele Gespräche geführt, haben seine Mitarbeiter und die der anderen Ämter bereits zusammengesessen, nach einer Lösung gesucht – und schließlich gefunden. „Frau Matuszczyk bekommt das Geld nun ausgezahlt“, kann Sascha Borowiak verkünden. Nicht helfen kann die Stadt allerdings beim Pflegegeld, denn dafür ist die Krankenkasse zuständig.
Trotzdem ist Sonja Matuszczyk erleichtert. „Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Stein mir vom Herzen fällt“, sagt die 60-Jährige. Um die Kinder kümmert sie sich weiter, vor allem um den Dreijährigen, geht mit ihm zur Frühförderung, zu den Behandlungen seiner schlimmen Neurodermitis. „Ich bin für ihn eine starke Bezugsperson, fast wie die Mama.“ Wann die wieder zuhause sein kann, entscheidet sich in diesem Monat. Dann will das Essener Landgericht einen Prozesstermin festlegen.
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