Bottrop. Ihr Sohn litt an Kinderdemenz, mit sechs Jahren ist Johannes verstorben. Nun kämpft eine Bottroperin für die Zulassung eines Medikamentes.

Es gibt bei Google Maps einen Punkt in Bottrop, der heißt Sternenmann. Dort liegt Johannes begraben, im März gestorben an einer Grippe, sechs Jahre war er alt. Als seine Mutter am Mittwochmorgen zu Johannes Grab kommt, sind die Blumen niedergetrampelt. Steine, die sie dekoriert hatte, fehlen. Zu diesem traurigen Anlass sprechen wir mit Maria Nienhaus-Schuster. Die Geschichte, die sich hinter dem Tod des kleinen Johannes verbirgt, ist etwas sehr Besonderes.

Johannes wird im Mai 2016 geboren, völlig gesund. Er lernt sitzen, krabbeln, brabbeln. Mit etwas über einem Jahr aber fängt er an, seine Fähigkeiten wieder zu verlernen, kann sich nicht mehr aufrichten, die Stärke seiner Muskeln lässt nach, er kann sein Fläschchen nicht mehr halten. In ihrer Pekip-Gruppe sagt die Leiterin, jedes Kind lerne laufen. „Johannes hat nie laufen gelernt“, sagt Maria Nienhaus-Schuster.

Johannes litt an CLN1, einer ultra-raren Krankheit

Die Bottroperin ist selbst promovierte Psychologin, was auch auf Johannes Krankenakte vermerkt wird, als sie zum Kinderarzt geht. Er nimmt sie nicht ernst, drückt ihr eine Überweisung mit den Worten „damit Mutti beruhigt ist“ in die Hand. In der Klinik dann die Diagnose: Johannes leidet an Neuronaler Ceroid-Lipofuszinose, umgangssprachlich als Kinderdemenz bezeichnet.

Auf die Frage, was man tun könne, kommt die nüchterne Antwort: nichts. Diese ultra-rare Krankheit sei nicht zu behandeln, man könne nur noch palliativ arbeiten. Maria Nienhaus-Schuster und ihr Mann sollten nach Hause gehen, sich eine schöne letzte Zeit mit Johannes machen.

Johannes mit seinen Eltern kurz vor seinem Tod.
Johannes mit seinen Eltern kurz vor seinem Tod. © Nienhaus-Schuster

„Es war so schrecklich mit anzusehen, wie Johannes leidet“, sagt die Mutter. Er weint und schreit viel. Maria Nienhaus-Schuster reduziert ihre Arbeitszeit, geht ihrem Job jetzt nur noch einen Tag pro Woche nach. Selbst Medizinerin, will sie nicht wahrhaben, dass man nichts gegen die Krankheit machen kann. „Das Schlimmste ist, wenn Sie mit einem Zweijährigen auf dem Arm nach Hause gehen und wissen, Sie können nichts machen.“

Bottroperin kämpft für ein nicht zugelassenes Medikament

Sie reist und besucht Tagungen, lernt schließlich den Geschäftsführer des japanischen Pharmaunternehmens JCR auf einem Kongress in London kennen. Sie berichtet ihm von Johannes Erkrankung, CLN1. Er erzählt ihr, dass seine Firma vor einigen Jahren an CLN1 geforscht habe und auch eine Enzymtherapie entwickelt worden sei – allerdings nur als Forschungswirkstoff. Seit vielen Jahren sei der Prototyp des Medikamentes eingefroren.

Es beginnen Verhandlungen mit der Firma, die sich über Monate erstrecken. Schließlich ist das Medikament nicht zugelassen, darf eigentlich nicht verabreicht werden. Doch die Familie einigt sich mit der Firma: Wenn sie einen Arzt fände, der es Johannes verabreicht, dürfe sie das Medikament haben. Erneut beginnt ein zäher Kampf; 900 Adressen schreiben Johannes’ Eltern an, stellen sich in den Niederlanden, in Serbien, in England vor, werden wegen ihres Mutes gelobt und dennoch abgewiesen. Sie werden gefragt, wie sie so sehr für ein so „unwertes“ Leben kämpfen können.

Johannes als Kleinkind – zu dem Zeitpunkt ist er noch gesund.
Johannes als Kleinkind – zu dem Zeitpunkt ist er noch gesund. © Nienhaus-Schuster

„Unser Leben wurde wieder lebenswert“

Bis sie im Frühjahr ein Gespräch mit einem Kinderneurologen an der Universitätsklinik Gießen führen – und er sich nach einer Bedenkzeit bereiterklärt, Johannes zu versorgen. Die Familie beginnt die Therapie zu Hause, führt sie in Gießen fort. „Das Medikament hat angeschlagen“, erzählt Maria Nienhaus-Schuster. Die epileptischen Krämpfe wurden besser, Johannes fand sein Lachen wieder. „Auch wir konnten wieder Ruhe finden“, sagt seine Mutter. „Unser Leben wurde wieder lebenswert.“

Bis Johannes im Frühjahr dieses Jahres an einer Influenza erkrankt, eine Lungenentzündung erleidet und stirbt. Auf die Schleife seines Kranzes lassen die Eltern schreiben: „Dein Lebensmut bleibt unser Vorbild!“

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Heute kämpft Maria Nienhaus-Schuster weiter: für die Kinder weltweit, die auch an CLN1 leiden. Sie hat eine Facebook-Gruppe gegründet, sich mit mehr als Hundert Eltern weltweit vernetzt. Sie arbeitet weiter mit JCR Pharmaceuticals an der Entwicklung des Medikamentes.

Sternenmann ist ein eigener Google-Maps-Ort in Bottrop

„Er war mein Ein und Alles.“ Als sie erzählt, dass sie ihm eine Milchstraße auf dem Grab dekoriert hat, dass nun einige der fluoreszierenden Steine gestohlen wurden, kommen ihr die Tränen. „Er war unser Sternenmann, weil er die Geschichte vom Sternenmann so mochte, ein Märchen von Max von Thun.“ Deshalb hat ein Freund das Grab bei Google Maps mit diesem Namen markiert.

Es gleicht einer kleinen Ruhe-Oase auf dem Westfriedhof, mit einem Pfirsichbaum, einem hölzernen Sternenmann, Blumen, die nun bunt blühen. Ein Mitarbeiter des Friedhofs habe ihr gut zugesprochen, er würde auf Johannes’ Grab aufpassen, die Pflanzen gießen. Maria Nienhaus-Schuster sagt: „Bei allem Übel gibt es noch gute Menschen.“