Bottrop. 1973 wird Bottrops Süden verkehrstechnisch umgekrempelt. Mit Südring, Essener Straße und Umgebung entstehen große Autoschneisen und neue Brücken.

Das große Verkehrs- und Infrastrukturprojekt im Süden der Stadt war vor 50 Jahren der Ausbau von Südring, Essener- und Friedrich-Ebert-Straße. Damals entsteht das, was heute als autogerechte Stadt zumeist kritisch betrachtet wird. Im Grunde geht es bei dem Ausbau auch nicht nur um die genannten Verkehrsadern.

Die Armeler Straße in den 50er Jahren. Links die mittlerweile abgerissene Barbarakirche. In der Mitte das ebenfalls abgerissene Haus der Bäckerei Grote. Heute ist dort die Einfahrt zum Hauptbahnhof und Südring-Center.
Die Armeler Straße in den 50er Jahren. Links die mittlerweile abgerissene Barbarakirche. In der Mitte das ebenfalls abgerissene Haus der Bäckerei Grote. Heute ist dort die Einfahrt zum Hauptbahnhof und Südring-Center. © FUNKE Foto Services | Repro: Olaf Fuhrmann

Vielmehr haben die Planer damals die Umgebung großflächig im Blick: von Ebel über die Emscher, unter der neuen Autobahn 42 und der alten Bahnlinie her, Anbindung an die neu entstehenden Gewerbegebiete und nicht zuletzt die Tangente Südring/ Westring, die sich bis heute vierspurig, mit Parkstreifen sechsspurig, durch ehemaliges Bauernland und Wohnsiedlungen zieht.

Für Anwohner bedeuten die Arbeiten einen jahrelangen Albtraum

Für die Anwohner ein jahrelanger Albtraum: Verstopfte Straßen, ständiger Baulärm, Grundstücke werden verschoben, sogar komplette Straßenabschnitte verlegt, wie zum Beispiel die Einmündung Lehmkuhler Straße um 50 Meter. Den alten Südring, der heute noch offiziell so heißt, kennt kaum noch jemand. Der ist ja ab 1973 auch „dicht“, wie die WAZ damals schrieb. Die neue Strecke ist da zwar noch nicht ganz fertig, wird aber bereits genutzt.

Mit dem Neubau der Südringtrasse wird auch die Essener Straße – hier im Bild – vierspurig ausgebaut. Die Arbeiten sorgen lange für Verkehrschaos und stressen die Anwohner. Hier ist noch die alte Kopfsteinpflasterung zu erkennen.
Mit dem Neubau der Südringtrasse wird auch die Essener Straße – hier im Bild – vierspurig ausgebaut. Die Arbeiten sorgen lange für Verkehrschaos und stressen die Anwohner. Hier ist noch die alte Kopfsteinpflasterung zu erkennen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

So entsteht dort auch ein eigentümlicher Mix aus alt und neu, bis hin zum alten Hauptbahnhof, dem „Knusperhäuschen“mit seinen Fachwerkelementen, das an vieles denken lässt, nur nicht an den Hauptbahnhof einer Großstadt. Auch die Armeler Straße hat noch lange bis zur Essener Straße eine eher ländliche Anmutung. Mit dem späteren Bau des Südring-Centers, dem unter anderem auch das Vorkriegshaus der alten Bäckerei Grote weichen muss, entsteht dort eine weitere große Kreuzungsanlage.

Das „Nadelöhr“, die alte Eisenbahnbrücke über die Essener Straße kurz vor dem Abriss 1973. Zu erkennen noch die alten Straßenbahnschienen der eingestellten Linie nach Essen im Kopfsteinpflaster. Kurz dahinter die neue A 42-Brücke. Heute ist dort alles vierspurig plus Parkstreifen.
Das „Nadelöhr“, die alte Eisenbahnbrücke über die Essener Straße kurz vor dem Abriss 1973. Zu erkennen noch die alten Straßenbahnschienen der eingestellten Linie nach Essen im Kopfsteinpflaster. Kurz dahinter die neue A 42-Brücke. Heute ist dort alles vierspurig plus Parkstreifen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Einen Abschluss fand die Neuentwicklung des gesamten Gebietes mit eben diesem Einkaufszentrum, dem Bau eines neuen Hauptbahnhofs, dessen Verlegung in die eigentliche Innenstadt seither Wunschdenken bleiben sollte. Dafür weicht das frühere Nadelöhr, die alte Eisenbahnunterführung, die vor allem Richtung Essen stets Staus verursachte, der heutigen Brückenanlage. Die Essener Straße bekommt 1973 nicht nur einen neuen Belag, der das historische Kopfsteinpflaster ablöst, sondern auch je eine Fahrspur mehr.

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Am Südring tut sich aber weitaus mehr, als nur der damals vollkommen normale und fast unwidersprochene hingenommene Bau einer neuen Autotrasse. Zwischen 1973 und 1992 sichert der Gründer des heutigen Museums für Ur- und Ortsgeschichte, Arno Heinrich, in Zusammenarbeit mit dem Westfälischen Museum für Archäologie mit den legendären Ausgrabungen am Südring weit über 300 Knochen- und Urnengräber. Die stammten aus einer Epoche, als es Bottrop noch gar nicht gab: der Stein- und Bronzezeit. Heute liegen die Resultate der Grabungen im Depot des Museums für Ur- und Ortsgeschichte.

Die neue Kreuzung Südring (r.)/Essener Straße. Auf der Caravan-Fläche in der Mitte steht heute McDonald’s, dahinter das Südring-Center. Am oberen Bildrand ist die später abgerissene Bäckerei Grote gegenüber der Einmündung Armeler Straße zu erkennen. Die Bahntrasse bildet den Abschluss der Fotografie.
Die neue Kreuzung Südring (r.)/Essener Straße. Auf der Caravan-Fläche in der Mitte steht heute McDonald’s, dahinter das Südring-Center. Am oberen Bildrand ist die später abgerissene Bäckerei Grote gegenüber der Einmündung Armeler Straße zu erkennen. Die Bahntrasse bildet den Abschluss der Fotografie. © FUNKE Foto Services | Repro: Olaf Fuhrmann

Die Bauarbeiten am Südring haben die ersten Urnen-Funde des späten 19. Jahrhunderts beim Anlegen des Westfriedhofs und von 1936 in der Sandgrube Birkenfeld wieder in Erinnerung gerufen. Und Arno Heinrichs Engagement – er konnte manche durchaus „nerven“ – war es zu verdanken, dass auf dem Areal wieder gegraben und gesichert wurde. An die ländlich-katholisch geprägte Vergangenheit zwischen Westring, Südring und Essener Straße erinnern bis heute einige Wegekreuze, die auch jetzt noch immer wieder erneuert werden. Nur die Barbarakirche als Landmarke ist mittlerweile abgerissen.

Die großen Verkehrsprojekte der 60er und 70er Jahre

Der Umbau des Bottroper Südens zur autogerechten Stadt zwischen Ebel und Stadtmitte war sicher eines der großen Infrastrukturprojekte der 60er und 70er Jahre und lag damals ganz im Trend der Zeit.

Die historische Bausubstanz hatte man eher weniger im Blick. Die Reste der Knippenburg wurden 1962, die letzten Gebäude des uralten Armeler Hofes 1974 abgerissen.

Fertig wurde das gesamte Südring-Projekt erst mit dem Neubau des Hauptbahnhofs und der Eröffnung des Südring-Centers 2005.

Weitere große Straßenerweiterungen der Zeit waren weiter nördlich der Ausbau der Friedrich-Ebert-, Hans-Sachs- und der Kirchhellener Straße. Ebenfalls eine Riesenbaustelle war der Ausbau der B 224 zwischen Essen und Gladbeck – der Braukstraße auf Bottroper Stadtgebiet.