Bottrop. Die Stadt Bottrop vergibt Sicherheitsaufträge in Flüchtlingsunterkünften zu knapp kalkulierten Preisen. Kann damit Tariflohn gezahlt werden?
Vor wenigen Tagen hat die Stadt Bottrop einen neuen Auftrag vergeben: Zwei Jahre lang wird die Eagle Security die Flüchtlingsunterkunft am Wildenhoff sichern. 438.800,60 Euro bekommt sie dafür. Blickt man in die Details der Konditionen, wird klar: Mit den veranschlagten Summen lassen sich die Mitarbeiter kaum nach Mindestlohn, geschweige denn nach Tariflohn bezahlen. Die Eagle Security hat zudem eine Verbindung zu der Bottroper Sicherheitsfirma, die im Fokus der Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts im Rathaus steht.
Laut Aussage der Stadt umfasst das Leistungsspektrum, das die Eagle Security in den kommenden zwei Jahren abdecken soll „die Zugangskontrolle, die Bestreifung des gesamten Geländes während der Zeit von 18 bis 6 Uhr, die Durchsetzung der Hausordnung, das Zeigen von Präsenz, die Überprüfung der Container auf Verschluss (sofern notwendig) sowie die Dokumentation und Meldung über festgestellte Auffälligkeiten an die Stadtverwaltung“. Es ist das erste Mal, das Eagle Security einen Auftrag von der Stadt Bottrop bekommt.
Für jeden eingesetzten Mitarbeiter nimmt die Sicherheitsfirma mit Sitz an der Gildestraße 18,80 Euro pro Stunde. Laut Manteltarifvertrag des Landes Nordrhein-Westfalen liegt der Mindesttariflohn für Sicherheitsmitarbeiter in Flüchtlingsunterkünften bei 14,49 Euro pro Stunde. Die Kosten für den Arbeitgeber gehen darüber aber noch hinaus.
Vergaben an Sicherheitsfirmen: Wirtschaftlich kein Tariflohn zahlbar
Die Lohnnebenkosten liegen etwa bei 22 Prozent, damit kostet ein Mitarbeiter das Unternehmen rund 17,70 Euro pro Stunde. Nicht eingerechnet sind darin aber grundsätzliche laufende Kosten, die eine Sicherheitsfirma hat und die sie auf jeden Mitarbeiter umlegen muss: Berufsgenossenschaftsbeiträge, Berufshaftpflichtversicherung und Steuerberatung für die GmbH schlagen insgesamt mit mindestens 15.000 Euro pro Jahr zu Buche.
Berücksichtigt sind bei der Kalkulation auch noch keine Urlaubs- oder Krankentage. Mindestens 26 Urlaubstage stehen jedem Mitarbeiter zu. Ist er nicht anwesend, muss er ersetzt werden – und das Unternehmen zahlt quasi doppelt.
Mit 18,80 Euro pro Stunde lässt sich wirtschaftlich also kein Tariflohn bezahlen. In ihrer Ausschreibung, die der WAZ vorliegt, hat die Stadt als Kriterium für den Zuschlag den Preis genannt. Firmen, die mit ökonomisch realistischen Löhnen in die Ausschreibungen gehen, haben keine Chance.
Eagle Security wollte Auftrag „ohne unmittelbare Gewinnerzielung annehmen“
Nach WAZ-Informationen bewerben sich nur sehr selten große, renommierte Sicherheitsfirmen wie Kötter oder Securitas auf Bottroper Ausschreibungen für Sicherheitsdienste – weil sie den Preis nicht mitgehen können. Unter 22 Euro die Stunde, heißt es aus Security-Kreisen, sei so ein Auftrag nicht wirtschaftlich erfüllbar.
Warum nimmt eine Firma dann überhaupt an einer solchen Ausschreibung teil? Und wie stellt sie sicher, dass Tariflohn gezahlt wird? „Dieser Auftrag der Stadt Bottrop ist für uns besonders bedeutsam, da wir ihn auch ohne unmittelbare Gewinnerzielung annehmen wollten“, sagt Ann-Katrin Pomrehn, Geschäftsführerin der Eagle Security auf WAZ-Anfrage. Sie hatte zuvor den Pflegedienst „Pflege im Pott“ geführt, den sie im Mai gemeinsam mit ihrer Mutter verkauft hat.
Niedrigere Kosten habe Eagle Security, weil einige der insgesamt 30 Mitarbeiter durch die Agentur für Arbeit gefördert würden. Zudem planten ihr Mann Sebastian Kilic und sie, auch selbst in Schichten mitzuarbeiten.
Seit Dezember 2022 habe sich das Unternehmen aktiv darum bemüht, Aufträge von der Stadt Bottrop zu bekommen, und habe sich zertifizieren lassen, um die Qualitätsstandards nachzuweisen. Im April sei es in die Liste der Vergabestellen aufgenommen worden. Eagle Security habe zuvor als Subunternehmer für „namhafte Sicherheitsfirmen“ gearbeitet – „nicht unter 21 Euro“, wie Ann-Katrin Pomrehn sagt. Mit so einem Preis habe sie aber bei der Stadt Bottrop keine Chance.
Sicherheitsfirma: Niedrig-Preise seien in Bottrop üblich
„Es ist bemerkenswert, dass der Verrechnungssatz in Bottrop auf einem bestimmten Niveau liegt“, sagt die Eagle-Security-Geschäftsführerin. „Obwohl es nicht zulässig ist, solche Preise in die Vergabe einzubeziehen, scheint es in der Stadt üblich zu sein, Preise zwischen 18,30 und 19,00 Euro anzusetzen. Wer darüber hinausgeht, scheidet sofort aus.“
Fördert die Stadt mit ihrer Vergabebedingung, ausschließlich nach dem niedrigsten Angebot zu gehen, also Preisdumping? Nach WAZ-Informationen gab es zuletzt sogar Angebote von unter 18 Euro pro Stunde. Der für die Sicherung des Wildenhoffs angebotene Lohn für die Normalstunden von 18,80 Euro liege über dem Tariflohn und sei nicht zu beanstanden, so Stadtsprecher Andreas Pläsken auf Nachfrage.
„Auch fehlt uns städtischerseits eine Handhabe aus dem Gesetz, Zweifel an dem Angebot zu hegen“, sagt Pläsken. „Dies wäre der Fall, wenn der erst- und zweitplatzierte Bieter mit ihren Angeboten mindestens 15 bis 20 Prozent auseinander lägen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.“ Ob der Tariflohn tatsächlich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezahlt wird, „ist von der Stadtverwaltung nicht zu beurteilen und schon gar nicht nachzuprüfen“.
Keine Auskünfte gibt die Stadt über die drei Referenzen der Eagle Security – vorherige Sicherheitsaufträge in Flüchtlingsunterkünften –, die alle Bewerber in ihren Angeboten vorweisen müssen und beruft sich auf den Datenschutz.
Bessere Bezahlung und angemessene Angebotspreise ließen sich auch durch höhere Anforderungen erzielen. Die Mitarbeiter, die in den Flüchtlingsunterkünften eingesetzt werden, brauchen nach NRW-Vorgabe lediglich eine Unterrichtung nach § 34a der Gewerbeordnung. Dabei handelt es sich um einen 40-stündigen IHK-Kurs ohne abschließende Prüfung. Lediglich leitende Mitarbeiter brauchen eine Sachkundeprüfung, die eine schriftliche und eine mündliche Prüfung am Ende impliziert.
Eagle-Security-Betriebsleiter für weitere Bottroper Firma registriert
Auch frühere Aufträge der Stadt waren schon zu niedrigen Preisen vergeben worden. Zum Beispiel für 18,90 Euro pro Stunde und Mitarbeiter die Sicherung einer Flüchtlingsunterkunft an die Firma, die Teil der Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts im Ordnungsamt der Stadt Bottrop ist. Das Unternehmen war zuletzt bei Ausschreibungen leer ausgegangen, die Stadt hatte wegen des „hohen Vertrauensverlusts“ von der Berücksichtigung der Firma abgeraten.
Allerdings steht auch Eagle Security, beziehungsweise Sebastian Kilic, der Ehemann der Geschäftsführerin, mit ebendieser Firma in Verbindung. Er ist im Bewacherregister, das alle registrierten Mitarbeiter in der Sicherheitsbranche mit einer individuellen Identifikationsnummer aufführt, zweimal gelistet: als Betriebsleiter von Eagle Security und als Wachperson für die Firma, die Teil der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ist.