Bottrop. Die Mehrwertsteuer auf Essen in Restaurants soll wieder auf 19 Prozent steigen – aber nicht für alle. Unmöglich!, so Gastwirt Stefan Bertelwick.
Wer in der aktuellen Wirtschaftssituation die Axt an die Wurzeln der klassischen Gastronomie legen will, sollte einfach die Mehrwertsteuer wieder auf 19 Prozent erhöhen. Das hat die rot-gelb-grüne Ampelkoalition vor – bislang jedenfalls. Denn die verringerte Mehrwertsteuer von von sieben Prozent, die während der Corona-Pandemie eingeführt wurde und bis Ende des laufenden Jahres verlängert wurde, soll dann wieder erhöht werden. Nicht für alle Betriebe, wohlgemerkt.
Take-away-Betriebe, Lieferservices oder oder Fast Food-Ketten bleiben davon unberührt. Wer ein klassisches Restaurant betreibt, frisch kocht und es den Gästen schön macht, wird dann in die Röhre gucken. Und die Kundschaft? Da wird sich die Gesellschaft dann noch weiter spalten, weitere Lokale dicht machen. So war es nicht nur von der CDU/CSU-Fraktion zu hören, die die Beibehaltung der Sieben-Prozent-Regelung fordert, sondern auch aus den Reihen der Linken, die traditionell die unteren Einkommensgruppen im Blick haben und bislang eher nicht als Fürsprecher der Gastwirte aufgefallen sind.
Auch die AfD-Fraktion kritisierte das uneinheitliche System der Umsatzsteuer und monierte dass Mahlzeiten, die in Porzellangeschirr serviert würden, künftig wieder mit 19 Prozent besteuert werden sollten, die in Einwegmaterial aber mit sieben Prozent. Die Liberalen eine generelle Reform des Umsatzsteuerrechts, vor allem mit Blick auf mehr Einheitlichkeit.
Das Schlimmste: die steuerliche Ungleichbehandlung zwischen Restaurants und Fast Food
Engagierte Gastronomen in Bottrop sind wütend. „Vor allem wegen dieser Ungleichbehandlung, die dann nicht nur innerhalb der deutschen Gastronomie zu spüren wäre, sondern auch mit Blick auf den europäischen Kontext, denn jenseits der Außengrenzen der Republik gewähren alle Nachbarstaaten einen ermäßigten Steuersatz“, sagt Stefan Bertelwick. Aber: Die Ungleichbehandlung innerhalb der Grenzen wiege deutlich schwerer. Der Inhaber des Gasthofs Berger in Feldhausen fragt sich, wie man allen Ernstes Take-away-Orte und Fast Food-Ketten mit ermäßigtem Steuersatz „belohnen“ könne und vor allem: wofür?
„Man treibt doch gerade Familien aus den klassischen Restaurants in die Arme der Fast Food-Ketten, wo Verpackungsmüll ohne Ende produziert wird, während herkömmliche Gaststätten ihre Teller spülen. Von den dort ins Blaue vorproduzierten Speisen werden bis zu 30 Prozent entsorgt und das angesichts der Kritik an der Lebensmittelverschwendung! Und jetzt beklagt aktuell Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) den zu hohen Fett- und Zuckergehalt bei Fertiglebensmitteln: dann sollte die Regierung die Menschen nicht noch zu den Fertiggericht-Riesen treiben durch eine fehlgeleitete Steuerpolitik!“
Gäste in klassischen Lokalen werden einen Preisschock erleben
Die Gäste werden einen Preisschock erleben, die klassischen Betriebe weiter unter Druck geraten. Davor warnt auch der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Die allgemeine Inflationsrate habe noch im April bei Lebensmitteln 17,2 Prozent und bei Energie 21,1 Prozent betragen. Nach einer Umfrage des Branchenverbandes vom April 2023 seien auch die Personalkosten deutlich höher als im Vorjahr - um durchschnittlich 21,5 Prozent.
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„Stimmt“, sagt Bertelwick. „Wenn wir überhaupt Personal bekommen und dann noch die guten Stammmitarbeiter halten wollen, können wir nicht mit Mindestlohn kommen.“ Der Dehoga befürchtet einen Rückgang der Betriebe von bis zu 30 Prozent. „Keine Fantasiezahl“, meint auch Stefan Bertelwick.
Die Wirte könnten nicht alles abfedern. Klar werde vieles auf die Kundschaft umgelegt, das spüre auch er, wenn er mit seiner Familie mal essen gehe. „Vier Hauptgerichte plus Getränke – für die gelten ja ohnehin 19 Prozent Mehrwertsteuer: da kommt man mit 100 Euro im Geldbeutel kaum aus.“ Dabei haben die Preissteigerungen in der Gastronomie laut Dehoga bei vergleichsweise moderaten 9,4 Prozent gelegen.
Die Preisentwicklung beim seit Jahren beliebten „Menü-Karussell“ im Gasthof Berger macht die Steigerungen deutlich. „Vor Corona konnten wir die Vier-Gänge-Folge für rund 60 Euro anbieten, zuletzt waren es 72, für die vegetarische Variante 62 Euro, aber im nächsten Jahr werden wir bei 75 Euro liegen. Wenn die Mehrwertsteuer wie geplant erhöht wird, werden es um die 84 Euro sein, ohne dass wir einen Cent mehr daran verdienen“, rechnet Stefan Bertelwick vor.
Er weiß: Nicht alle Probleme des Preisauftriebs sind der Politik geschuldet. „Aber die steuerliche Ungleichbehandlung innerhalb der Branche und die geplante Anhebung der Mehrwertsteuer für Speisen im Restaurant schon. Wer nachhaltig wirtschaftet, auf frische, regionale Produkte setzt und wirklich im Restaurant noch selbst kocht, wird dafür bestraft.“
Mehrwertsteuer für Gastronomie im Vergleich
Frankreich, das wichtigste kulinarische Nachbarland, erhebt einen verringerten Mehrwertsteuersatz (Mwst.) von zehn Prozent für Speisen im Restaurant. Das soll sich auch nicht ändern.
Großbritannien erhebt für alle Dienstleistungen, also auch Gastronomie (egal welcher Art), 20 Prozent Mwst. daneben gibt es einen ermäßigten Satz von fünf Prozent zum Beispiel für Energie oder sozialen Wohnungsbau und einen Nullsatz z.B. für Lebensmittel oder Kinderkleidung.
Polen hat einen hohen Mehrwertsteuersatz von 23 Prozent, allerdings viele Ausnahmen: Für Restaurants gelten acht Prozent, für Lebensmittel sogar 0 Prozent.
Die Niederlande erheben eine allgemeine Mwst. von 21 Prozent. Für Hotels und Restaurants gelten neun Prozent.