Bottrop. Bottrops Apotheker-Sprecherin nennt Gründe für den Medikamentenmangel und fürchtet: Es wird noch schlimmer. Kinder sind besonders betroffen.

Es sind längst nicht mehr „nur“ der vielzitierte Fiebersaft für Kinder, viele Rheumamittel oder Penicillin, Blutdrucksenker oder Herzmedikamente, die fehlen. Inzwischen werden über 400 Arzneimittel als nicht lieferbar angegeben – so die zentrale Datenbank PharmNet.Bund, die die Engpässe dokumentiert. „Und es wird immer schlimmer“, sagt Birgit Lauer, Sprecherin der Bottroper Apotheker.

Der Mangel ziehe sich inzwischen durch die komplette Bandbreite der Arzneimittel, so die Apothekerin und Inhaberin der Glückauf-Apotheke in Kirchhellen. Sie erzählt von der ständigen Jagd nach Medikamenten, Ersatzpräparaten. Die Ärzte schrieben schon Alternativen auf die Rezepte oder stellten gleich mehrere aus. Lauer spricht derzeit von 250 Artikeln, die sie bislang standardmäßig auf Lager hatte und die nicht lieferbar seien.

Kinder bekommen oft auch in Bottrop inzwischen Erwachsenenmedikamente

Kinder müssten inzwischen mit Erwachsenenmedikamenten versorgt werden, die sie aber viel schwerer einnehmen könnten. Das Schlimmste sei, wenn die Kundschaft in der Apotheke stehe und dann vertröstet werden müsste. „Sagen sie das mal Eltern mit einem kranken Kind zuhause!“ Schwere Zusammenstöße mit Kunden, wie man es aus anderen Städten hört, hat Birgit Lauer allerdings noch nicht erlebt. „Wenn jemand mal laut wird oder meine Mitarbeiterinnen anpöbelt, gehe ich ganz schnell dazwischen.“ Aber das sei – zumindest in Kirchhellen – die absolute Ausnahme.

Birgit Lauer, Sprecherin der Bottroper Apotheker, erlebt täglich die brisante Lage des Medikamentenmangels in ihrer Apotheke in Kirchhellen. Die Ursachen seien vielfältig, zumeist aber hausgemacht – und zwar nicht von den Apothekern.
Birgit Lauer, Sprecherin der Bottroper Apotheker, erlebt täglich die brisante Lage des Medikamentenmangels in ihrer Apotheke in Kirchhellen. Die Ursachen seien vielfältig, zumeist aber hausgemacht – und zwar nicht von den Apothekern. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Der Medikamentenmangel sei nicht über Nacht gekommen. Sicher, die Corona-Pandemie hat weltweit noch einmal Lieferketten empfindlich gestört. Anderseits müsse nur mal ein Schiff im Suezkanal stecken bleiben, das merkt ganz Europa, weil wichtige Güter nicht kommen. Das Problem: „Es gibt keine Lager mehr, nichts, weder Grundstoffe noch fertige Arzneimittel, wird mehr vorgehalten, das klassische Depot sei mittlerweile ein Wanderlager auf dem Lkw oder Schiff“, so Lauer.

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Ein Großteil ihrer (und der Kollegen) Arbeit bestehe in der Jagd nach den Medikamenten. Das könnte sich nach dem Wegfall der sogenannten SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung in diesem Monat noch verschärfen. Dazu gehörte insbesondere die Möglichkeit, nicht verfügbare, verschreibungspflichtige Arzneimittel, durch alternative Präparate zu ersetzen.

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Das große Problem sei aber, dass fast alles outgesourct worden sei und Europa bei Grundstoffen und Medikamenten von wenigen billigen Anbietern abhängig sei, zumeist aus Indien oder China. Wenn es dort zu Störungen komme oder die Mittel selbst benötigt würden, habe Deutschland Probleme.

Aber: Auch früher habe es schon mal Engpässe gegeben, wenn zum Beispiel gerade eine Grippe- oder Erkältungswelle herrschte. Das komme jetzt noch obendrauf, weil es so lange und immer noch recht kalt sei. Medikamente selbst herstellen? „Das haben wir mit Ibuprofen-Saft oder -zäpfchen gemacht, aber das sind Mini-Segmente und die Ausnahmen.“ In der Glückauf-Apotheke haben sie sich oft noch abends nach Feierabend hingestellt und die Mittel produziert.

Apotheken leiden unter stark steigenden Kosten und ausufernder Bürokratie

Für die Kunden wird das noch teurer. Aber auch die Apotheken müssten (sich) das überhaupt leisten können. Höhere Energiepreise, gestiegene Rohstoffkosten, zu wenig Fachpersonal: „Finden sie mal eine neue Pharmazeutisch-technische Assistentin.“ Und dann kommt noch eine gesetzlich verordnete Vergütungskürzung seit Februar: „Wie soll das alles gehen?“, fragt Lauer. Dabei hat sie noch gar nicht von der ausufernden Bürokratie gesprochen, die laut Bundesvereinigung der Deutschen Apothekerverbände (ABDA) oft kaum noch leistbar sei. Die Folge: Die Zahl der Apotheken sei im vergangenen Jahr so stark gesunken, wie nie zuvor. Laut Abda beträgt die durchschnittliche Apothekendichte pro 100.000 Einwohner in Deutschland 22 – in Europa 32.

Am Ende ist für Birgit Lauer vieles eine Frage des politischen Willens: „Für die Herstellung von Arzneimitteln braucht man die chemische Industrie, viel Energie, die in Deutschland im Vergleich besonders teuer ist.“ Das sei wie bei Windrädern: „Alle rufen danach, aber keiner will sie vor der Haustür haben.“ Dann wird die Apothekerin noch grundsätzlicher: „Mir scheint, der Dienst am Menschen angefangen von der Bildung über Pflege, Medizin und am Ende auch Arzneimittelversorgung müsse hier möglichst billig und profitorientiert sein.“ Für Birgit Lauer ein unmöglicher Spagat.

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Dabei ist sie eigentlich Apothekerin mit Herzblut. Ebenso, wie sie damals aus Überzeugung Pharmazie studiert habe. „Ich würde das heute wieder studieren, aber ob ich jemandem raten würde, eine Apotheke zu übernehmen oder zu eröffnen, da bin ich mir nicht mehr sicher.“ Einen wichtigen Tipp hat sie aber noch: Wenn der Arzt ein Folgerezept ausstellt, bitte nicht erst warten, bis die alte Packung schon aufgebraucht ist, sondern möglichst schnell damit zur Apotheke gehen. „Dann hat man dort noch etwas Zeit, das Mittel zu organisieren.“