Essen. Der Medikamentenmangel zerrt an den Nerven. Im Notdienst wurde eine Essener Apothekerin nun als „Hure“ und „Schlampe“ beleidigt. Kein Einzelfall.
- Seit Monaten sind Medikamente bundesweit knapp. Fiebersäfte, Antibiotika und andere Medikamente fehlen.
- Ausbaden müssen das Apothekerinnen und Apotheker vor Ort – wie Janet Olgemöller aus Essen.
- Die Leiterin der Schwanenbusch Apotheke wurde von einem Kunden aufs Übelste beschimpft
Entgeistert und sichtlich mitgenommen steht Janet Olgemöller frühmorgens in der Schwanenbusch Apotheke in Essen-Huttrop, die sie leitet. Es ist wahrlich kein schöner Notdienst gewesen, den sie da gerade hinter sich gebracht hat. Wenige Stunden zuvor ist sie aufs Übelste von einem Kunden beschimpft worden – als „Schlampe“, als „Hure“.
Was sie in der Nacht erleben musste, hat sie in einem kleinen Video erzählt (externer Link auf Tiktok). Den 47-sekündigen Clip hat sie auf Tiktok hochgeladen. Er dokumentiert eindrücklich, was der seit Monaten andauernde Mangel an Medikamenten in Apotheken landauf landab anrichtet.
Essener Apothekerin berichtet von Beleidigungen
„Einen musste ich abweisen“, sagt Janet Olgemöller über den aggressiven Kunden in ihre Handykamera. „Der war ziemlich ungehalten, beschimpfte mich aufs Schlimmste – als ,Du alte Hure’ und ich weiß nicht was. Bei meinen Erklärungsversuchen titulierte er mich als ,alte Schlampe’ und sagte, ich solle ,endlich die Fresse halten’.“ Vorfälle wie diese sind kein Einzelfall. Im Gespräch mit unserer Redaktion berichtet sie, dass Personal in Apotheken sich gar vor körperlicher Gewalt fürchten muss. In solchen Situationen sei es besser, nichts mehr zu sagen, „bei manchen weiß man nicht, was dann passiert“. Es würden auch mal Fäuste geballt, zugeschlagen aber noch nicht.
Zumal seien Notdienste in den Apotheken schon ohne solche Vorfälle kein Pappenstiel. Wenn Olgemöller einen vorgeschriebenen Notdienst macht, hat sie bereits einen Arbeitstag hinter sich – und nach der Notdienst-Nacht startet der Tag um 8 Uhr bereits wieder von Neuem. Da würden des Nachts auch schon mal zehn freie Minuten genutzt, um zumindest ein kleines Nickerchen zu halten.
In ihrem Video sagt die Apothekerin über das Verhalten des Mannes: „Leute, das muss nicht sein! Wir versuchen im Moment alles menschlich Mögliche, um euch zu versorgen. Grüße gehen hierbei an die Politik.“ Ihre Worte haben sich Tiktok-Nutzerinnen und -Nutzer mittlerweile mehr als 22.000 Mal gehört.
Apotheken leiden bundesweit unter Medikamentenmangel
In Apotheken fehlt es seit längerem an Arzneien. Antibiotika und Fiebersäfte für Kinder sind Mangelware. „Ich kann die Leute sogar ein stückweit verstehen“, sagt Olgemöller über den sich breitmachenden Frust. Freunde und Familie wollen für ihre Liebsten schließlich Medikamente besorgen, damit es diesen wieder bessergeht. Das sei aber kein Grund, „unverschämt“ oder „bösartig“ zu werden, wenn Medikamente vor Ort nicht zu haben sind. „Wir verursachen das Problem nicht. Es gibt keinen Tag, an dem wir keine Klimmzüge machen. Wenn die Leute nur wüssten.“ Telefonate mit Herstellern würden geführt und auch eigene Medikamente im Labor hergestellt.
Das Problem bei Letzterem: Oftmals bekommen Apotheken die jeweiligen Wirkstoffe selbst nicht geliefert. Janet Olgemöller berichtet etwa von dem knappen Antibiotikum „Amoxicillin 1000“: „Ab der Kalenderwoche 48 soll das wieder lieferbar sein.“ Dann ist fast Weihnachten. „Wir kommen an den Wirkstoff nicht ran.“ Und wenn doch, dann können Apotheker die Medikamente nicht zu den Preisen anbieten, wie es Großhersteller machen können. Beispiel Fiebersaft: Wenn dieser vorrätig ist, koste eine Flasche circa vier Euro. In Eigenherstellung ist solch ein Preis völlig unrealistisch: Um die 20 Euro kostet ein Fiebersaft, wenn er im eigenen Labor hergestellt wird. „Das können sich viele einfach nicht leisten“, sagt die Essener Apothekerin.
Eine eindringliche Bitte hat sie an Ärztinnen und Ärzte: „Bitte macht Einzelverordnungen.“ Der Grund: Nur mittels solch einer Einzelverordnung können beispielsweise in der Apotheke selbst hergestellte – und somit teurere – von der jeweiligen Krankenkasse der Patienten übernommen werden. Das würde in der aktuellen Lage bereits vermehrt berücksichtigt, allerdings nicht flächendeckend.
Essener Apothekerin: „Die Produktion muss wieder in Deutschland stattfinden“
Wie könnte sich an der generellen Mangelsituation etwas zum Besseren ändern? Apothekerin Janet Olgemöller kritisiert die Rabattverträge in Deutschland, darüber müsse man „nachdenken“. Medikamente müssten hierzulande zu „absoluten Dumping-Preisen“ angeboten werden. Das Ausland biete den Herstellern höhere Preise. Zudem würden Wirkstoffe vor allem in China hergestellt, Tabletten daraus etwa in Werken in Indien verpresst. Wenn es dort zu Problemen käme, stocke die Lieferkette bereits. Olgemöller: „Die Produktion muss wieder in Deutschland stattfinden.“
>>> INFO: Wasserturm Apotheke Essen
- Seit 2014 leitet Janet Olgemöller die Schwanenbusch Apotheke – eine Filiale der Wasserturm Apotheke.
- In den sozialen Netzwerken ist das Unternehmen sehr aktiv – allein auf Tiktok folgen dem Team um Olgemöller fast 40.000 Menschen: tiktok.com/@schwanenbusch_apotheke
- Die Präsenz auf Social Media nutzen sie, um auf aktuelle Themen aus dem Apothekenbereich aufmerksam zu machen.
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