Bottrop. In Bottrop werden dringend Schöffen gesucht: Von den 160 werden aber nur 80 genommen. Warum das so ist und wie die Wahl für das Ehrenamt abläuft.

Die Stadt Bottrop sucht 80 neue Schöffen für die Amtszeit von 2024 bis 2028. Die Männer und Frauen sollen Recht sprechen am Amtsgericht und am Essener Landgericht. Zurzeit sind „nur“ 58 in Amt und Würden. Der Anstieg um 22 Personen für die kommenden fünf Jahre hat einen triftigen Grund und erschwert zusätzlich die Suche nach geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern.

Auf einen einfachen Nenner gebracht: mehr Verfahren, mehr Schöffen. „Die Anzahl der Verfahren sind gestiegen, die Gerichte überlastet“, sagt Carsten Moritz, Verwaltungsmitarbeiter im Fachbereich Recht und Ordnung. Er ist bei der Stadt der Ansprechpartner, wenn es um das Amt des Schöffen geht. Es ist seine dritte Schöffenwahl.

Weil Bottrop zum Bezirk Essen gehört, werden auch Schöffen für das Landgericht gesucht. Insgesamt seien es laut Moritz 36 Hauptschöffen für das Landgericht, 22 Haupt- sowie 22 Ersatzschöffen für das Bottroper Amtsgericht. Ersatzschöffen haben weniger Einsätze als Hauptschöffen und kommen zum Einsatz, wenn ein Hauptschöffe zum Beispiel verhindert oder befangen ist.

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Man kann sich aber nicht aussuchen, ob man Haupt- oder Ersatzschöffe wird. Der Wahlausschuss, so Moritz, entscheidet darüber. Dieser Ausschuss wiederum besteht aus sieben Vertrauensleuten, die vom Rat gewählt wurden. Dazu kommt der Oberbürgermeister oder sein Vertreter und Stefanie Lendorff, die zuständige Richterin des Amtsgerichts. Dem Wahlausschuss kommt dabei eine zentrale Aufgabe zu. „Er muss für eine bunte Mischung sorgen“, meint Moritz. Gefunden werden muss ein Querschnitt aus der Gesellschaft aus Geschlecht, Beruf und Alter.

Moritz hält sich bei der Ausübung strikt an das Gerichtsverfassungsgesetz. Demzufolge muss er ebenso viele Schöffen wie Bewerber suchen und finden. Das heißt in Summe: 160 Kandidaten für 80 Ämter. Zum Vergleich: Essen verfügt über drei Amtsgerichte, hierfür werden 806 ehrenamtliche Richter gesucht, aber es müssen laut Gesetz insgesamt 1612 Bewerber gefunden werden.

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„Es ist tatsächlich schwieriger geworden“, sagt Moritz über die Suche nach Schöffen in Bottrop. Er nennt es einen „Drahtseilakt“. Ein Grund ist die gesetzliche Vorgabe. „Es ist unheimlich schwer, den Leuten das Prozedere des Gerichtsverfassungsgesetzes zu erklären“. Denn für die Bewerbung rührt er die Werbetrommel, fragt bei Firmen, Parteien und Organisationen an, wirbt für das Ehrenamt. „Dann kommen die Leute motiviert zu uns, aber nur die Hälfte von ihnen wird gewählt“, sagt er. „Und wir wissen, wie wichtig das Ehrenamt ist.“

Aber selbst, wenn man im Vorfeld das Prozedere kommuniziert, seien viele der Nichtausgewählten nachher enttäuscht. Das Problem: Wie soll man denjenigen erklären, dass sie sich in fünf Jahren wieder als Kandidaten präsentieren sollen? Erneut mit der Aussicht, eventuell wieder nicht gewählt zu werden. Es sei deshalb schwer, „die Leute bei der Stange zu halten. Je mehr Bewerber wir haben, desto mehr Leute sind enttäuscht.“

Männer und Frauen müssen zwischen 25 und 69 Jahre alt sein

Auf der anderen Seite bietet das Gesetz auch gewisse Vorteile, aber eben nur, wenn die Suche erfolgreich ist. „Je mehr geeignete Bewerbungen es gibt, desto mehr Auswahlmöglichkeiten hat der Wahlausschuss“, so Carsten Moritz. Gesucht werden Männer und Frauen, die in Bottrop wohnen und am 1. Januar 2024 zwischen 25 und 69 Jahre alt sind. Wählbar sind nur deutsche Staatsangehörige. Wer zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt wurde oder gegen wen ein Ermittlungsverfahren wegen einer schweren Straftat schwebt, die zum Verlust der Übernahme des Ehrenamtes führen kann, ist von der Wahl ausgeschlossen.

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Wie wichtig das Ehrenamt im Kampf gegen Rechtsextremismus ist, zeigt ein neuer Flyer der Friedrich-Ebert-Stiftung. Darin heißt es: „Demokratiefeinde rufen ihre Anhängerschaft seit einiger Zeit dazu auf, sich für das Schöffenamt aufstellen zu lassen. Extrem rechte Parteien werben bei ihren Mitgliedern.“

Moritz betont, welchen enormen Einfluss Schöffen auf die Rechtsprechung besitzen: „Gegen den Willen von zwei Schöffen kann niemand verurteilt werden.“ Auch wenn der Richter eine andere Meinung hat. Schöffen müssen aber Objektivität und Unvoreingenommenheit mitbringen. Außerdem: Unparteilichkeit, Selbstständigkeit und Reife des Urteils.

Kandidatenliste wird an drei Orten in Bottrop öffentlich ausgelegt

Ob jemand ausländerfeindlich ist bzw. die Gesinnung hat, kann Moritz nicht vollständig überprüfen. „Ich muss mich auf mein Gefühl und auf meine Erfahrung verlassen“, sagt er. Bei ihm landen die Bewerbungen auf dem Schreibtisch. Wenn die Bewerbungsphase abgeschlossen ist, legt er dem Rat diese Vorschlagsliste mit den im besten Fall 160 Kandidaten zum Beschluss vor.

Anschließend wird diese Liste für eine Woche an drei Orten öffentlich ausgelegt – im Bürgerbüro, im Fachbereich Recht und Ordnung an der Böckenhoffstraße 40 und in der Bezirksverwaltungsstelle Kirchhellen. Dann sollen die Bürgerinnen und Bürger ein wachsames Auge haben. Falls ihnen jemand mit rechter Gesinnung auffällt oder bekannt ist, können sie gegen diese Kandidatur Einspruch einlegen. Anschließend übergibt Moritz die endgültige Liste ans Amtsgericht. Ende August, Anfang September fällt der Wahlausschuss die Entscheidung, wer Schöffe wird und wer nicht.

Aufgrund seiner Werbemaßnahmen haben sich für die neue Amtszeit bereits 69 „freie Bewerber“, wie er es nennt, gemeldet. Rückmeldungen von Parteien und Organisationen stehen noch aus. Von den sich in Amt und Würden befindenden 58 Schöffen weiß Moritz zu berichten, dass sie diese fünfjährige ehrenamtliche Tätigkeit als „interessant“, „spannend“, „abwechslungsreich“ und „durchweg positiv empfinden“.