Bottrop. Seit fast zehn Monaten leben ukrainische Flüchtlinge in Bottrop. Rund um Weihnachten ist es besonders schwer, von der Familie getrennt zu sein.

Vor einem Jahr haben sie noch mit ihren Familien gefeiert, mit ihren Männern, Kindern, Enkeln und Urenkeln. Haben Quarkkekse und Kompott aus getrockneten Früchten gegessen, wie es in der Ukraine Tradition ist. Heute leben Ludmila, Elzhbeta und Olga in Zwei-Zimmer-Containern mit 20 Quadratmetern Wohnfläche am Tollstock in Kirchhellen. Es ist eine Weihnachtszeit – das eigentliche Weihnachten feiern Ukrainer am 7. Januar – ohne einen Großteil der Familie, zwischen Blechwänden auf engem Raum.

Wenn Elzhbeta an die Weihnachtszeit denkt, kommen ihr sofort die Tränen. Seit einem Jahr hat die 39-Jährige ihren Ehemann nicht gesehen. Er ging im Dezember vergangenen Jahres in die tschechische Hauptstadt Prag, um dort für drei Monate zu arbeiten. Dann brach der Krieg aus. Er konnte nicht zurück, die Familie musste weg, Elzhbeta floh aus der Westukraine nach Deutschland, kam schließlich in die Kirchhellener Unterkunft mit ihren drei Kindern im Alter von drei, sieben und elf Jahren.

Elzhbeta hat ihren Mann seit einem Jahr nicht gesehen.
Elzhbeta hat ihren Mann seit einem Jahr nicht gesehen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Flüchtlinge in Bottrop bemühen sich um weihnachtliche Atmosphäre

Weil das ukrainische Handynetz abgeschaltet ist, das Internet am Tollstock gerade hakelt, kann Elzhbeta auch nicht mit ihrem Mann videotelefonieren. Um die Trauer nicht zu sehr an ihre Kinder weiterzugeben, um ein wenig Atmosphäre in dieser Zeit zu schaffen, hat sie einen Tannenbaum für ihre Container-Wohnung gekauft, hat ein Krippenspiel mit den Kindern gebastelt und aufgestellt. Die Kirchhellener haben vor Weihnachten Geschenke für die Kinder abgegeben – Elzhbeta lächelt herzlich, als sie von der großen Hilfsbereitschaft erzählt.

Elzhbeta ist Christin, hat am Wochenende Weihnachten gefeiert wie die Deutschen, „auch wenn die Laune nicht zum Feiern ist“, wie sie sagt; am 7. Januar wird sie noch einmal mit den Ukrainerinnen im Flüchtlingsdorf zusammenkommen. In ihrer Heimat haben die Menschen in diesem Jahr erstmals Weihnachten am 25. Dezember offiziell begangen, das orthodoxe Fest – fast die Hälfte der Einwohner ist ukrainisch-orthodox – fällt aber eigentlich auf den 7. Januar.

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1000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind bislang nach Bottrop geflüchtet

48 Geflüchtete finden Platz in der Unterkunft am Tollstock. Es sind vor allem Frauen mit ihren Kindern, die hier eine Bleibe gefunden haben. Sie gehören zu den etwa 1000 Menschen aus dem angegriffenen Land, die Bottrop in diesem Jahr aufgenommen hat. Die Kirchhellener Unterkunft war eine der ersten, die die Stadt in Betrieb genommen hat.

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Die meisten leben hier von Anfang an, es gibt wenig Perspektive, anderen Wohnraum zu finden, ist doch in Bottrop kaum eine freie Wohnung auf dem Markt. Direkt nach Kriegsbeginn gekommen ist auch Ludmila, seit zehn Monaten wohnt sie in Kirchhellen. Wir haben sie im Sommer schon einmal getroffen, da lebte sie noch mit ihrer Mutter hier. Die krebskranke Seniorin ist allerdings wieder zurückgekehrt in ihre Heimatstadt Kiew, allen Warnungen zum Trotz.

„Wir hatten gehofft, es wird besser im neuen Jahr, aber es wird schlimmer“

Ludmila blieb mit ihrem elfjährigen Sohn, der die Sekundarschule in Kirchhellen besucht, dem es hier so gut gefällt, dass er Deutschland nicht verlassen will und sogar katholisch werden möchte. Ihr Bruder in der Ukraine berichtet davon, dass es kein warmes Wasser gibt, kaltes nur für wenige Stunden am Tag, auch der Strom ist rationiert. „Wir hatten gehofft, dass es im neuen Jahr besser wird“, sagt die 47-Jährige. „Aber es wird noch schlimmer.“

Ludmila (47) lebt mit ihrem elfjährigen Sohn in Bottrop.
Ludmila (47) lebt mit ihrem elfjährigen Sohn in Bottrop. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Ludmila ist studierte Biochemikerin, hat in einem Krankenhaus-Labor in der ukrainischen Hauptstadt gearbeitet. Ja, sie wolle hier arbeiten, aber noch fehlen die Sprachkenntnisse, sie besucht jetzt einen Kurs. Ansonsten ist der Alltag im Flüchtlingsdorf eher monoton, sagt sie, und Olga bestätigt das. Auch der 57-Jährigen steigen Tränen in die Augen, denkt sie an ihre Heimat.

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Sie ist mit zwei Enkelkindern gekommen, neun und zehn Jahre alt, zwei von fünf Kindern ihrer Tochter. Ihre Tochter war in Ungarn gewesen, als der Krieg ausbrach, die Oma floh mit den beiden Enkelkindern nach Deutschland. Seitdem ist die Familie zerrissen. Olga hat 13 Enkelkinder und sechs Urenkel, um die sie sich in der Ukraine gekümmert hatte. Sie stammt aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt in der Ukraine, die schwer zerbombt ist vom Krieg. Ihre zurückgebliebene Familie hat keinen Strom, kein Wasser, hört jeden Tag die Sirenen und Bombeneinschläge.

Olga kam mit zwei Enkeln nach Deutschland. Die 57-Jährige hat große Teile ihrer Familie in der Ukraine zurücklassen müssen.
Olga kam mit zwei Enkeln nach Deutschland. Die 57-Jährige hat große Teile ihrer Familie in der Ukraine zurücklassen müssen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Wenn der Krieg zu Ende ist, packen wir unsere Koffer und fahren morgen zurück“

Und doch: „Wenn der Krieg zu Ende ist, packen wir unsere Koffer und fahren morgen zurück“, sagt Olga. Sie sei Deutschland so dankbar, den Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes, die immer da seien, immer helfen. „Aber auch wenn unser Zuhause zerstört ist, die Ukraine ist unsere Heimat.“

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Die Hoffnung, dass der Angriffskrieg Russlands bald vorbei sein wird, hat den drei Frauen keiner genommen. Bis dahin halten sie zusammen im Flüchtlingsdorf, werden am 7. Januar Weihnachten feiern, mit Quarkkeksen und Kompott, die Kinder werden tanzen und singen. Am 14. Januar dann folgt das Fest des sogenannten „alten neuen Jahres“, bei dem die Sorgen des vergangenen Jahres zurückgelassen werden. Dieses Mal so viele wie noch nie.