Essen/Charkiw. Weihnachtsspenden-Aktion: Im WAZ-Videotalk erzählt Lana Solapanova vom Alltag der Kinder in Charkiw, Ukraine. Geschichten von Krieg und Kälte.

Wie schön Charkiw zu Weihnachten war! „Eine Stadt voller Licht“, sagt Lana Solapanova wehmütig, aber mit dem Krieg habe ihre Heimat ihr Licht verloren und mit dem Winter die Sonne. Früher sei es „ruhig, warm, bunt“ gewesen im Osten der Ukraine, erinnert sich die Programm-Managerin der Hilfsorganisation „Myrne Nebo Charkiw“, aber heute: „Kalt und dunkel.“ In einer Sonderausgabe des WAZ-Videotalks spricht Lana Solapanova mit Chefredakteur Andreas Tyrock über Angst, Kälte – und den Versuch, gerade den Kindern zum Fest etwas Hoffnung zu bringen.

„Heute können wir endlich etwas Wärme fühlen“, behauptet Lana Solapanova, aber da sitzt sie, zweieinhalbtausend Kilometer entfernt und eine Karte von Charkiw im Rücken, mit Rollkragenpullover und Steppjacke vor ihrer Computer-Kamera. Ein Grad Celsius in Charkiw, und es gibt tatsächlich Strom für diese Direktschalte mit der WAZ. Der funktioniert sonst drei, manchmal vier Stunden am Tag, „aber nicht ständig“, Telefon und Internet gehen spätestens nach zwei Stunden aus, die Heizung lief zuletzt ganze Tage nicht. Weshalb die Kinder in der Stadt jeden Morgen warten: Nur wenn Strom da ist, ist Schule. Es ist nur noch selten Schule in Charkiw, keine 50 Kilometer von der russischen Grenze. "Die Kinder können nicht mehr lernen."

Kinder im Keller: Manche Familien aus Charkiw haben Monate in unterirdischen Bunkern gelebt. Ihre Häuser sind oft zerstört, sie können nicht zurück. Das Bild zeigt Olga, die ihren Sohn während des Kriegs gebar.
Kinder im Keller: Manche Familien aus Charkiw haben Monate in unterirdischen Bunkern gelebt. Ihre Häuser sind oft zerstört, sie können nicht zurück. Das Bild zeigt Olga, die ihren Sohn während des Kriegs gebar. © Getty Images | Global Images Ukraine

Spenden für die Kriegskinder aus der Ukraine

Mit ihrer gemeinsamen Weihnachtsspenden-Aktion wollen WAZ und Kindernothilfe in diesem Jahr den ukrainischen Kriegskindern helfen; wir haben schon erzählt von den Flüchtlingen, die sich über die nächste Grenze nach Moldau gerettet haben oder nach Rumänien. In Charkiw aber kümmern sich Projektpartner um jene Kinder, die nicht geflohen sind. Oder schon wieder zurückgekehrt, weil den Eltern das Geld ausging oder die Kraft. Zehntausende leben einen Alltag, den Lana Solapanova so beschreibt: „Dunkel, kalt, Sirenen. Immer, überall, ständig.“

Spendenaktion: Trost für die Kriegskinder aus der Ukraine

In der Schule von Edinet im Norden der Republik Moldau, nur wenige Kilometer von der Grenze, hat die 3. Klasse fünf ukrainische Kinder aufgenommen. Und auch drei russische. 
In der Schule von Edinet im Norden der Republik Moldau, nur wenige Kilometer von der Grenze, hat die 3. Klasse fünf ukrainische Kinder aufgenommen. Und auch drei russische.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Sie kamen mit zwei Rucksäcken aus der Stadt Mykolajiw: Die Juristin Aljona und ihre Kinder Larissa (4) und Daniil (10) fanden Zuflucht in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. 
Sie kamen mit zwei Rucksäcken aus der Stadt Mykolajiw: Die Juristin Aljona und ihre Kinder Larissa (4) und Daniil (10) fanden Zuflucht in der rumänischen Hauptstadt Bukarest.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Ein Ort zum Spielen, ohne Angst: Die Hilfsorganisation Demos im moldawischen Edinet hat bereits in den ersten Kriegswochen Hunderte Ukrainer aufgenommen. 
Ein Ort zum Spielen, ohne Angst: Die Hilfsorganisation Demos im moldawischen Edinet hat bereits in den ersten Kriegswochen Hunderte Ukrainer aufgenommen.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Sie möchten so gern nach Hause: Natalia und ihre Töchter Aleksandra (10, l.) und Sophia (6) mussten die Großeltern in Cherson zurücklassen. Sie wohnen jetzt in Bukarest.
Sie möchten so gern nach Hause: Natalia und ihre Töchter Aleksandra (10, l.) und Sophia (6) mussten die Großeltern in Cherson zurücklassen. Sie wohnen jetzt in Bukarest. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Musik ist die vielleicht beste Therapie: In der
Musik ist die vielleicht beste Therapie: In der "Casa Iuda" in Bukarest haben die Helfer an einem Novembertag einen Trommler eingeladen, der mit den Kindern ordentlich Krach macht.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Alle ukrainischen Kinder dürfen die Drumsticks einmal ausprobieren - auch wenn ihnen das Rhythmusgefühl noch fehlt. 
Alle ukrainischen Kinder dürfen die Drumsticks einmal ausprobieren - auch wenn ihnen das Rhythmusgefühl noch fehlt.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Ein Hauch von Sowjetkultur durchweht auch mehr als 30 Jahre danach die Schule in Edinet, Nord-Moldau: Für den Unterricht haben die Drittklässler sich feingemacht, wer drankommt, muss aufstehen, und in der Pause wird geturnt.
Ein Hauch von Sowjetkultur durchweht auch mehr als 30 Jahre danach die Schule in Edinet, Nord-Moldau: Für den Unterricht haben die Drittklässler sich feingemacht, wer drankommt, muss aufstehen, und in der Pause wird geturnt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Alina (7) floh aus Charkiw nach Moldau, das sind fast 1000 Kilometer Flucht. Das Mädchen vermisst das Tanzen - und den Tretroller. 
Alina (7) floh aus Charkiw nach Moldau, das sind fast 1000 Kilometer Flucht. Das Mädchen vermisst das Tanzen - und den Tretroller.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Maria bewohnt mit ihren Kindern Dascha, 8, und Bohdan, 9, ein winziges Zimmer im Haus der Pfingstgemeinde von Edinet, Moldau. Hier kümmert sich der Pastor besonders um Roma-Familien. 
Maria bewohnt mit ihren Kindern Dascha, 8, und Bohdan, 9, ein winziges Zimmer im Haus der Pfingstgemeinde von Edinet, Moldau. Hier kümmert sich der Pastor besonders um Roma-Familien.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Sie kann wieder lachen (aber sie kann auch Protest): Xenia ist zwei Jahre alt und aus Odessa. Mit Zwillingsschwester Yulia, dem großen Bruder Sascha (8) und den Eltern erreichte sie im Sommer Bukarest. 
Sie kann wieder lachen (aber sie kann auch Protest): Xenia ist zwei Jahre alt und aus Odessa. Mit Zwillingsschwester Yulia, dem großen Bruder Sascha (8) und den Eltern erreichte sie im Sommer Bukarest.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Alle lieben Babuschka:
Alle lieben Babuschka: "Omi" Ludmilla kam allein nach Bukarest, sie vermisst ihren Enkel. Und alle Kinder vermissen Oma und Opa in der Ukraine. Deshalb sind sie jetzt alle wie eine große Familie.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Trösten sich gegenseitig: die Kusinen Anastasia, 12, rechts und Angelina, 11. Sie stammen aus der stark zerstörten Stadt Cherson. 
Trösten sich gegenseitig: die Kusinen Anastasia, 12, rechts und Angelina, 11. Sie stammen aus der stark zerstörten Stadt Cherson.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Die Republik Moldau ist im europäischen Vergleich selbst ein armes Land. Ein Pferdekarren auf der
Die Republik Moldau ist im europäischen Vergleich selbst ein armes Land. Ein Pferdekarren auf der "Autobahn" aus der Hauptstadt Chisinau Richtung Norden ist keine Seltenheit.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Die Innenstadt von Edinet, Nord-Moldawien. Der Strom fällt auch hier, rund 30 Kilometer von der ukrainischen Grenze, in den vergangenen Wochen regelmäßig aus. 
Die Innenstadt von Edinet, Nord-Moldawien. Der Strom fällt auch hier, rund 30 Kilometer von der ukrainischen Grenze, in den vergangenen Wochen regelmäßig aus.  © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
1/14

Das Schlimmste sei, dass sich die Kinder daran gewöhnen. In den ersten beiden Kriegsmonaten hätten sie Angst gehabt und großen Stress, erzählt die 47-Jährige, inzwischen spielten sie einfach weiter. „Sie ignorieren das Risiko.“ Schützten sich nicht mehr, liefen nicht mehr in die Bunker, „es gibt zehnmal am Tag die Sirenen, da ist es unmöglich, immer im Keller zu sitzen“. Aber draußen zu spielen oder spazieren zu gehen, sei eigentlich verboten; es gibt Minen überall, und „viele Kinder wurden schon verletzt“. Und einmal, zweimal am Tag, das wissen sie in Charkiw, ist die Situation „wirklich gefährlich“, dann fallen die Bomben auf die Stadt, aber die Kinder: „Sie sind müde.“

Die Kinder von Charkiw „haben ihre Kindheit verloren“

Sie haben „ihre Kindheit verloren“, so sieht Lana Solapanova das. Denn sie reden nicht mehr über Filme, Comics, Serien. Sie verfolgen die Nachrichten, den ganzen Tag. Sprechen „über den Krieg, darüber, welche Stadt noch Strom hat, welche Waffen die Russen noch haben“. Fragen sich, ob sie in Charkiw eine russische Atombombe überleben könnten, wie viele Bomben gestern waren und: „Was wird morgen?“ Das ist kein normales Leben für ein Kind, sagt Solapanova, sie „wusste nicht, dass schon kleine Kinder Depressionen fühlen können“. Und ahnt, dass viele auch nach diesem Krieg psychologische Hilfe brauchen werden.

Direktschalte nach Charkiw, Ukraine: Im Video-Talk spricht WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock mit Lana Solapanova. Die 47-Jährige ist Programm-Managerin der Hilfsorganisation „Myrne Nebo“, die Geld aus der Weihnachtsspenden-Aktion bekommt.
Direktschalte nach Charkiw, Ukraine: Im Video-Talk spricht WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock mit Lana Solapanova. Die 47-Jährige ist Programm-Managerin der Hilfsorganisation „Myrne Nebo“, die Geld aus der Weihnachtsspenden-Aktion bekommt. © Funke Foto services | Kerstin Kokoska

Helfer schaffen einen warmen Raum zum Spielen

Aber der Krieg ist nicht vorbei, und die Hilfsorganisation als Partner der Kindernothilfe versucht, den Jüngsten trotz der Wirren ein klein wenig Normalität zu schenken. Einen Raum zum Spielen, in dem es warm ist: herzenswarm und heizungswarm. Wo sie lachen können und laut sein. Die Eltern sagen, sie brauchen so einen Raum für ihre Kinder, an dem sie sich ganz normal verhalten können, zwei, drei Stunden nur, wie sonst im Kindergarten oder in der Schule. „Alle Kinder“, findet Lana Solapanova, „brauchen solche Orte.“

Auch interessant

Und manche brauchen noch mehr. Gerade im Umkreis der Stadt gehe es ums „Überleben“, es gebe dort keine Geschäfte mehr, in denen man etwas kaufen kann, aber auch kein Geld. Dafür „echten Hunger“. Hier kennen die Helfer viele, die von einer Flucht zurückkehrten oder nach langer Zeit in Bunkern – und kein Zuhause mehr fanden. Diese Menschen seien „müde, sie wollen nicht mehr fliehen“, sie warteten auf Essen. Für sie packt Myrne Nebo, was übersetzt „Friedlicher Himmel“ bedeutet, Lebensmittelpakete und kocht Mahlzeiten, Zehntausende seit Kriegsbeginn: „mit Früchten, Proteinen, Vitaminen“. Gesundes Essen, betont Lana Solapanova. Viele hätten „ein halbes Jahr kein normales Essen gesehen“. Als sie die Boxen brachten, „es war wie ein großer Festtag“!

Dank an die Spenderinnen und Spender, die den Kindern Hoffnung geben

Schutz in der Metrostation: Nach fast zehn Kriegsmonaten aber laufen viele Kinder nicht mehr in die Bunker, wenn die Sirenen ertönen. Sie haben sich an die Gefahr gewöhnt.
Schutz in der Metrostation: Nach fast zehn Kriegsmonaten aber laufen viele Kinder nicht mehr in die Bunker, wenn die Sirenen ertönen. Sie haben sich an die Gefahr gewöhnt. © dpa | Aziz Karimov

Aber wie werden die wirklichen Feiertage sein? Lana Solapanova ist dankbar, "dass die Menschen in Deutschland an uns denken“. Mit ihren Spenden können sie den Kindern die Betreuung geben, die sie brauchen, Heizdecken kaufen, aber auch kleine Geschenke machen, Süßigkeiten einpacken, „ihnen vielleicht das Lachen zurückgeben“. Und unbedingt: Hoffnung geben, das ist das Wichtigste, „dass das Leben wieder normal wird“. Man müsse den Kindern, die „im Dorf und in der Stadt im Dunkeln sitzen“ diese Hoffnung „und das Licht wiederbringen“. Damit sie wieder an die Zukunft denken könnten.

An ihr eigenes Weihnachten denkt die 47-Jährige mit einer Mischung aus Zweifeln und Angst. Lana Solapanova hat ihren 15-jährigen Sohn nach Österreich in Sicherheit gebracht, er geht dort zur Schule. Eine Möglichkeit, die so viele andere Eltern nicht haben, weshalb sich Solapanova noch stärker einsetzt für die Kinder von Charkiw: Sie fühlt die „Verantwortung“, etwas zu tun, „zehnmal mehr“ noch als ohnehin. Ihr Sohn aber, er würde so gern nach Hause kommen zum Fest, mit Oma und Opa in seiner Heimat feiern. Was soll sie machen, das Kind ist schon groß: „Weihnachten zum ersten Mal allein oder zusammen im Krieg?“

HIER KÖNNEN SIE SPENDEN

Viele Flüchtlinge aus der Ukraine sind in den vergangenen Monaten nach Deutschland gekommen, noch viel mehr aber erreichten die Republik Moldau und Rumänien: über die nächste rettende Grenze. Dort packten Hilfsorganisationen, die sich sonst um Jugendliche am Rande der Gesellschaft kümmern, sofort mit an. Sie sorgen für Unterkünfte, Lebensmittel, Kleidung, inzwischen aber auch für Betreuung und Unterricht für die Kinder. Wenige Tage nach Kriegsbeginn knüpfte auch die Kindernothilfe erste Kontakte, seit September unterstützt sie auch zwei Projekte in Charkiw kurz vor der ukrainischen Ostgrenze. Über ihre Partner hat sie seither 20.000 Kinder erreicht.

Hier können Sie, liebe Leser, mithelfen, den Familien fehlt es oft am Nötigsten. Die Bankverbindung der WAZ-Weihnachtsspendenaktion 2022 ist dieselbe wie in vergangenen Jahren:

Kindernothilfe e.V.

Stichwort: Ukrainehilfe

IBAN: DE4335 0601 9000 0031 0310

BIC: GENODED1DKD (Bank für Kirche und Diakonie)