Bottrop-Kirchhellen. Sie setzen im Wortsinne Glanzpunkte im Advent: 50 beleuchtete Fahrzeuge rollten am Abend durch Kirchhellen - und machen dabei auch Politik.
Mehr als 50 weihnachtlich geschmückte Traktoren sind am Sonntag zum zweiten Mal durch das Dorf gerollt. Viele Familien mit Kindern haben vor allem im Dorfkern rund um den alten Markt die „Lichterfahrt der Landwirte“ verfolgt. Bereits am Samstag hatten Kirchhellener Landwirte die erste „Lichterfahrt“ durch Gladbeck verstärkt. Zwischen einem putzigen Rentier und einem fröhlich winkenden Weihnachtsmann belegen Slogans wie „No farmers - no food“ und ein auf fünf vor zwölf zeigendes Zifferblatt: Die teilnehmenden Landwirte wollen nicht nur Freude bringen, sie wollen auch auf ihre Sorgen aufmerksam machen.
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Und Sorgen haben die Landwirte zur Zeit reichlich. Die Kirchhellener Spargelbauern blicken zurück auf eine enttäuschende Saison. Mindestlohn und Energiepreise würden die Kosten im nächsten Jahr erst richtig in die Höhe treiben. Deshalb haben einige Erzeuger angekündigt, einige Spargelfelder stillzulegen, auch weil die Kunden nicht bereit seien, für Spargel mehr Geld auszugeben.
Besser ist die Bilanz nach der Obsternte ausgefallen. Doch auch bei Erdbeeren haben die Erzeuger Kaufzurückhaltung der Kunden bei den regionalen Produkten bemerkt. Die Erntebilanz sei wesentlich gerettet worden durch die vielen Selbstpflücker. Für das nächste Jahr denkt Landwirt Jörg Umberg deshalb auch über eine Reduzierung der Anbauflächen für Erdbeeren nach.
Zu den steigenden Kosten für Mindestlohn und Energie kommen die Sorgen der Landwirte über die Folgen der Agrarpolitik von Bund und Land. Gerade hat das Land NRW die neue Düngeverordnung in Kraft gesetzt, die deutlich mehr „rote Gebiete“ mit hoher Nitratbelastung ausweist, in denen Landwirte weniger düngen dürfen.
Kirchhellener war Mitgründer von „Land schafft Verbindung“
Bis heute bietet die andauernde Diskussion um Tierwohl-Labels Konfliktstoff zwischen Bauernverbänden und Bundespolitik. Das begann schon 2019: Die Debatte um das „Agrarpaket“ war eines der Motive für die Gründung der Vereinigung „Land schafft Verbindung“, deren Mitgründer und erster NRW-Sprecher der Kirchhellener Ansgar Tubes war. Vom Lohbraucksweg aus, wo auch die „Lichterfahrt“ startete, rollten im November 2019 rund 200 Landwirte mit ihren Treckern nach Essen und Bochum, wo die Traktoren mehrfach den Verkehr lahmlegten. Nach einem Streit um die Namensgebung hat die Vereinigung jetzt unter dem Namen „Land sichert Versorgung“ zu den „Lichterfahrten“ im Rheinland und Westfalen aufgerufen. Und auch das lief nicht überall konfliktfrei. Im Kreis Coesfeld ist eine Lichterfahrt abgesagt worden, nachdem die Genehmigungsbehörde darauf hingewiesen hatte, mit bestimmten Führerscheinen sei das Fahren von Traktoren „nur zu landwirtschaftlichen Zwecken“ erlaubt.
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Aktuell gilt die Sorge der Schweinehalter Wettbewerbsnachteilen durch Billigimporte aus dem Ausland. Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband, ebenso wie der Deutsche Bauernverband fordern deshalb von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, neben der Haltungskennzeichnung endlich auch eine Herkunftskennzeichnung zu etablieren. Mit einer verpflichtenden Einführung würde dann in Deutschland die Möglichkeit geschaffen, Schweinefleisch und daraus gewonnene Produkte mit „5D“ (geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet in Deutschland) auszuzeichnen und somit die regionale Wertschöpfung zu stärken.
Das ist auch die Stoßrichtung des LsV bei der Lichterfahrt, sagt Ansgar Tubes: „Wir brauchen das Vertrauen der Bevölkerung in deutsche Produkte, die unter den weltweit besten Standards hergestellt werden“, wirbt er für das Prinzip „Regional vor international“.
Bei aller politischen Dimension: Die Landwirte wollten mit der „Lichterfahrt“ vor allem Freude bringen. Deshalb ist auch Bäckermeister Markus Kläsener zur Startaufstellung am Lohbraucksweg gekommen. Und deshalb lässt er sich in einem ruckeligen Anhänger durchschütteln und wirft den Kindern am Wegesrand Stutenkerle zu.