Bottrop-Kirchhellen. Das Polizeipräsidium Recklinghausen feiert groß sein hundertjähriges Bestehen. Doch wie alt ist eigentlich die Polizei in Kirchhellen?
Die Chronik des Heimatvereins Kirchhellen vermerkt für das Jahr 1815: „Erster Polizeidiener in Kirchhellen.“ Damit wäre die Polizei in Kirchhellen 100 Jahre älter als das 1922 gegründete heutige Polizeipräsidium Recklinghausen. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Berichte der beiden ersten Bürgermeister Kirchhellens belegen: Die Gründung der Polizei im Dorf war eine Geschichte von 1809 bis 1830.
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Alles begann mit einer Verordnung des Innenministers des Großherzogtums Berg, zu dem Kirchhellen unter napoleonischer Herrschaft gehörte. Der verfügte im April 1809, der Bürgermeister von Kirchhellen, Freiherr von Wenge auf Schloss Beck, möge ab sofort einen monatlichen „Polizey-Bericht“ über die Ereignisse im Dorf abfassen. Heimatforscher Hans Büning hat in seinem Buch „Kirchhellen. Geschichte und Geschichten“ einige dieser Berichte dokumentiert. Sie sind viel zu hübsch, um nicht daraus zu zitieren.
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Der Graf von Nesselrode wollte unter anderem unterrichtet werden über die Volksstimmung und die Sicherheitslage. Wenge notiert für den März 1811: „Außer der altherkömmlichen, nicht plötzlich ganz zu erstickenden Gewohnheit, sich oft zu prügeln, gibt es keine Bosheit dahier.“ Zu diesem Thema hatte auch sein Nachfolger Wilhelm Tourneau einiges zu schreiben, aber davon später. Über die Lage der Bauern schreibt Wenge: „Dieses ist hier das, was ein durchaus schlechter Boden durch den restlosesten Fleiß und die sorgenvollste Sparsamkeit seyn kann. Die Wiesen sind hier schlecht, und Weide ist gar nicht da, so daß der Landmann faßt durchgängig das ganze Jahr sein Vieh mit Futter unterstützen muss, so daß bey bösen Jahren würkliche Noth für den Viehbestand entsteht.“
1826 entstand das erste „Kittchen“
Zwei Jahre später war die Franzosenherrschaft beendet, und die Preußen führten nach dem Polizeibericht auch die Polizei ein, zunächst im November 1813 in Form von geregelten Nachtwachen. 1816 wurde Freiherr von Wenge abgelöst durch Wilhelm Tourneau, bis 1858 Bürgermeister von Kirchhellen ebenso war wie von Bottrop, zu dem damals auch noch Osterfeld gehörte. 1826 entstand das erste „Kittchen“ im Dorf, über dem Spritzenhaus am heutigen Johann-Breuker-Platz. Diese Kombination hat sich offenbar bewährt. An der Holthausener Straße entstand später der so genannte „Pitterkasten“ mit vier Arrestzellen, der von der Feuerwehr auch als Gerätehaus genutzt wurde. In den 1960er Jahren wurde das Gebäude abgerissen, berichtet Jan Marien in seinem Buch „Zeitreise durch Kirchhellen“.
Ebenfalls Hans Büning referiert aus den heute nur noch für Experten lesbaren „Journalen“ des Doppel-Bürgermeisters in seinem Beitrag „Chronik des Kirchspiels Kirchhellen“ in der Schriftenreihe des Heimatvereins. Die Originale der Journale werden im Bottroper Stadtarchiv verwahrt.
„Sie ,lieben Musik und Tanz ungemein“
1830 liefert Tourneau ein Art Organigramm der Polizeikräfte in Kirchhellen und unter der gleichen Jahreszahl ein Sittengemälde des Dorfes. Im Kern: Der Kirchhellener ist fleißig, ein guter Verkäufer seiner Waren und gesetzestreu. Es sei denn, er ist betrunken. Tourneau formuliert das so: „Grobe Verbrechen sind höchst selten, da man die bei den häufigen Tanzlustbarkeiten zuweilen entstehende Schlägereien dazu nicht rechnen kann.“ Und die Kirchhellener konnten schon damals feiern, auch ohne das erst später entstandene Brezelfest: „Sie lieben Musik und Tanz ungemein und nirgends mögen die drei Fastnachtstage auf dem Lande so munter gefeiert und verhältnismäßig so viele Tänze veranstaltet werden als hier.“ In Zahlen: 1830 gab es an 114 Tagen im Dorf „Tanzlustbarkeiten“, 1837 sogar an 130 Tagen.
Das Strafregister der Kirchhellen unter Tourneau war überschaubar. Für die Jahre 1830 bis 1842 registriert er einen Kindermord (1842), 40 Diebstähle. Einbruch, Straßenraub, Brandstiftung: Fehlanzeige.
Zur „Lokalpolizeiordnung“ notiert Tourneau 1830: „Zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung ist die männliche Bevölkerung zum Wachtdienst, Patrouillen und dergleichen verpflichtet.“ Auch bei den damals noch durchgeführten „Vagabundenjagden“. Dafür sorgen „Bauerboten“ in jeder Bauerschaft, die zu den Diensten einteilen und für die Entlohnung sorgen. Als Polizeidiener fungiert 1830 „der freiwillige Wehrreiter Theodor Pelz“. „Nachthüter und Feldhüter sind bis jetzt nicht angeordnet.“