Bottrop. „Der Untergang des Hauses Usher“ als grandiose Synthese von Puppenspiel und Musiktheater. Klarer Höhepunkt der 16. Bottroper Figurentheatertage.

Roderick, todkranker letzter Spross des Hauses Usher, erkennt seinen geistigen Verfall und lädt deshalb einen alten Studienfreund in sein schwer heruntergekommenen Schloss, wo sich bald wunderliche Dinge ereignen. So beginnt die berühmte Kurzgeschichte „Der Untergang des Hauses Usher“ von Edgar Allan Poe, die in grandioser Theatralik nun von der „Bühne Cipolla“ bei den Bottroper Figurentheatertagen nacherzählt wurde. Was sich als imposantes, Genre-Grenzen sprengendes Gesamtkunstwerk von erheblicher Wirkmacht erwies.

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Mit hochvariabler Stimme glänzte der eindrucksvolle Sebastian Kautz nicht allein als Real-Figur in der Rolle des namenlosen Ich-Erzählers, der durch die nervenzehrende Handlung führt, sondern belebte spielgewaltig auch Roderick oder dessen ebenfalls dahinsiechende Zwillingsschwester Lady Magdalena Usher in Gestalt grotesker Puppen.

Drahtzäune beherrschen das Bühnenbild

Drahtzäune beherrschen das Bühnenbild. Gero John am Cello spielte eine Doppelrolle.
Drahtzäune beherrschen das Bühnenbild. Gero John am Cello spielte eine Doppelrolle. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Von denen ein Geier als kleiner Running Gag schwarzhumorige Freude ins düstere Geschehen einbrachte. Ausdrucksstark gestaltet von der Puppenmutter Melanie Kuhl, die auch das von mehreren Drahtzäunen beherrschte und mit Minimalaufwand veränderliche Bühnenbild konzipiert hatte.

Die hinreißenden visuellen Impressionen verstärkte Gero John in der Doppelrolle als dezent assistierender Maskenspieler und virtuoser Musiker famos. Untermalte er doch den dramatischen Fluss irrsinniger Gespräche mit eindringlichen Tönen. Durch gezupfte Melodien auf seinem Cello, die als gesampelter Loop die Basis für elegische Flächigkeiten legten. Kontrastiert von hypnotischen Lines eines E-Cellos, zu denen sich gelegentlich synthetische Drum-Beats gesellten, um das atmosphärische Grauen zu akzentuieren.

Ein tiefer Riss durch die Fassade als sprechendes Symbol

Man war fasziniert, wie souverän es den beiden Akteuren gelang, in der nur vordergründig simplen Horrorstory auch die komplexen Meta-Ebenen herauszustellen. Baute Edgar Allan Poe 1839 in seine Erzählung doch zahlreiche Dualitäten ein – etwa Rodericks innerer versus äußerer Zustand oder die Parallelität des derangierten Hauses und seiner Bewohner –, deren kunstvolle Spiegelungen und Metaphern bis heute Psychologen und Literaturwissenschaftler beschäftigen.

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Der tiefe Riss, der sich durch die Fassade des Schlosses zieht, ist nur ein sprechendes Symbol unter vielen. Nach dem Tod von Roderick zerreißt es den verrotteten Adelssitz, der daraufhin in den vorgelagerten See (Metaphorik pur) stürzt. Womit „Der Untergang des Hauses Usher“ besiegelt ist und der Ich-Erzähler entsetzt das Weite sucht.

Das war der Höhepunkt der Bottroper Figurentheatertage

Atemloses Staunen über ein synästhetisches Theatererlebnis von enormer Intensität, deren Spannung sich nach gut 70 Minuten im Kammerkonzertsaal in stürmischem Applaus und lauten „Bravo“-Rufen für zwei grandiose Künstler enthusiastisch entlud. Einhelliges Fazit: Mit ihrer Poe-Adaption markierte die „Bühne Cipolla“ den Höhepunkt der diesjährigen Bottroper Figurentheatertage. Chapeau!