Bottrop. Bernhard Windmöller geht als Leiter der Bottroper Ausländerbehörde in Rente. Im Interview spricht er Klartext über misslungene Integration.

47 Jahre hat Bernhard Windmöller bei der Bottroper Stadtverwaltung gearbeitet, die vergangenen vier Jahre als Leiter der Ausländerbehörde. Nun geht der 63-Jährige in den Ruhestand und spricht über misslungene Integration, die Schwierigkeiten, Sinti und Roma in die Gesellschaft einzugliedern und warum Deutschland zu viele Flüchtlinge aufgenommen hat.

Herr Windmöller, als Sie 2017 die Leitung der Ausländerbehörde übernommen haben, war die große Flüchtlingswelle bereits abgeebbt. Wie haben Sie die Lage wahrgenommen?

2016, 2017 und 2018 ist der Großteil der Fälle aus den Jahren 2014 und 2015 entschieden worden, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gar nicht hinterherkam. Insofern war das für uns eine Hochphase, als ich bei der Ausländerbehörde angefangen habe.

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Bottroper Ausländerbehörde: „Aggressivität ist gewachsen“

Bevor Sie zur Ausländerbehörde kamen, kämpften Sie für das Ordnungsamt gegen Schwarzarbeit. Im Abschiedsschreiben der Stadt steht, dass Sie es dadurch gewohnt sind, mit „schwierigen Menschen“ klarzukommen. Wie schwierig ist tatsächlich der Umgang mit Ihren Kunden?

Es kann sein, dass mal einer lauter wird. Die Erfahrung habe ich am Anfang aber auch im Schwarzarbeitsbereich gemacht: Wenn man die Leute dann zwei Minuten laut sein lässt und ihnen dann sagt, dass wir uns jetzt entweder im ruhigen Ton unterhalten oder sie sich mal zehn Minuten draußen beruhigen, haut das in der überwiegenden Zahl der Fälle hin. Die Leute wollen ihren Frust einfach mal loswerden. Aber die Aggressivität der Kunden ist in den vergangenen Jahren ist gewachsen.

2018 ist die Situation eskaliert. Ein Mann hat mehrere Mitarbeiter mit einem Messer bedroht. Was hat das mit dem Team gemacht?

Wir haben ein Sicherheitskonzept mit der Polizei entwickelt. Wir haben in allen Publikumsräumen hohe Theken, über die man nicht mal eben rüberspringen kann, mit Schwingtüren, die man von innen verschließen kann. Auf dem Rechner ist ein stilles Alarmsystem und wir haben ein Außenalarmsystem mit Lampen über den Zimmern, die man über einen Knopf anmacht. Und der Sicherheitsdienst wurde angeschafft.

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Die Ausländerquote in Bottrop ist im Vergleich zu den umliegenden Städten relativ niedrig. Woran liegt das?

Als die Grenzen geöffnet wurden, sind die Kollegen bei uns im Gewerbebereich rechtzeitig wach geworden und haben aufgepasst. Die Essener und Gelsenkirchener haben jedes Gewerbe zugelassen, das die anmelden wollten. Da gab es dann selbstständige Baggerfahrer und Kellner. Und ruckzuck waren die ersten Roma-Familien da und die anderen sind nachgekommen.

Bernhard Windmöller (links), ist am Freitag durch Paul Ketzer, erster Beigeordneter der Stadt Bottrop, in den Ruhestand verabschiedet worden.
Bernhard Windmöller (links), ist am Freitag durch Paul Ketzer, erster Beigeordneter der Stadt Bottrop, in den Ruhestand verabschiedet worden. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Essener Ausländeramt hat absolut chaotische Organisationsstruktur“

Gerade die Essener Ausländerbehörde steht massiv in der Kritik: lange Wartezeiten, unfreundliche Mitarbeiter.

Ich habe es aufgegeben, irgendwo in Essen jemanden ans Telefon zu kriegen. Das ist unmöglich. Es gibt Rechtsanwälte, die ihren Leuten sagen: Sucht euch eine Wohnung in Bottrop, in Essen habt ihr zwölf Monate keine Chance, euch anzumelden. Das ist seit Jahren so, das ist eine absolut chaotische Organisationsstruktur, die uns teilweise erhebliche Arbeit macht. Wir warten manchmal Monate auf Akten aus Essen.

Sie müssen jährlich dutzende Menschen abschieben. Was macht es mit Ihnen? Gibt es Fälle, die weh tun?

Das Problem ist, wenn das Familien mit kleinen Kindern sind. Das steckt man nicht einfach so weg, weil man genau weiß, dass die Bildungschancen in ihrem Heimatland ein Bruchteil von dem sind, was sie hier haben. Ich habe selber vier Enkel und da muss man irgendwann sagen: Du kannst es nicht ändern, die Gesetzeslage ist so.

Zur Person Bernhard Windmöller

1974 hat Bernhard Windmöller seinen Dienst bei der Stadt begonnen. 1988 wechselte er nach beruflicher Höherqualifizierung in die Kämmerei, wo er mehrere Projekte im Bereich der Zuschussgewährung betreute. Dort war er zehn Jahre tätig, bis er 1998 zum Ordnungsamt kam und dort den Bereich Bekämpfung von Schwarzarbeit aufbaute.

Unter seiner Regie entstand eine Kooperation mit der Handwerkskammer, die das von ihm entwickelte „Bottroper Modell“ oft auch an andere Kommunen empfahl. Durch sein Modell seien viele ortsansässige Betriebe ohne Existenzgefährdung auf den „legalen Weg“ gebracht worden, sagt die Stadt. Seit 2017 leitete Windmöller die Ausländerbehörde.

Bernhard Windmöller hat zwei Söhne und vier Enkel. Er engagiert sich für Indien mit der Initiative „Zukunft für Otterhotty“.

Ihnen sind dann die Hände gebunden?

Was wir versuchen, ist, wenn eine berufliche Qualifikation bei den Eltern vorliegt und die einen Arbeitgeber haben, der sie gerne halten möchte, dass wir mit dem Arbeitgeber abklären, dass die freiwillig ausreisen und über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz legal mit einem Visum wieder reinkommen.

Es ist aber nicht so, dass die Leute nicht wissen, dass sie abgeschoben werden. Ganz oben auf der Abschiebungsliste stehen Intensivstraftäter: Drogen, Körperdelikte, die, die sich an Frauen oder Kindern vergreifen. Die versuchen wir, mit einer hohen Priorität nach Hause fliegen zu lassen. Das Problem ist, wenn die aus Syrien, Libanon oder Afghanistan kommen, dürfen wir das teils nicht, weil die Situation in dem Heimatland so ist, dass ein Richter eine Gefährdung für die sieht.

„Wenn euch das nicht passt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, geht ihr nach Hause“

Wie gehen Sie mit solchen Menschen um?

Ich bin da direkt zu den Leuten und den Anwälten. Ich sage zum Anwalt: Ihr Mandant ist als Gast hier im Land und wir erwarten, dass er sich entsprechend benimmt. Wenn er das nicht kann oder will, dann muss er wieder nach Hause fahren. Nur weil eine Frau mit einem kurzen Rock rumläuft, ist das kein Freiwild. Ich hatte hier am Anfang Fälle, da haben die sich geweigert, mit der Sachbearbeiterin zu sprechen. Denen habe ich gesagt: Wenn euch das nicht passt, dass hier Frauen und Männer gleichberechtigt sind, dann seid ihr nicht willens, euch zu integrieren und das bedeutet: Ihr geht nach Hause.

Welche Bevölkerungsgruppe ist am schwierigsten zu integrieren?

Die Roma und Sinti aus Bulgarien und Rumänien. Die Mädchen werden stark benachteiligt, weil sie früh verheiratet werden und die Eltern sie nicht zur Schule schicken. Die Jungs gehen in den Berufszweig rein, der da populär ist: Die einen handeln mit Teppichen, die anderen sammeln Schrott. Auf eine gute Schulbildung legen die Eltern keinen Wert.

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Und Sie haben das Problem: Wenn einer irgendwo hinzieht, dann ist bald die ganze Straße voll. Das passiert auch bei den Syrern und Afghanen. Da entsteht eine Subkultur, sie leben in ihrer eigenen Welt. Die sprechen ihre Heimatsprache, der ein oder andere geht in die Selbstständigkeit und das heißt: Die bleiben unter sich und lernen kein Deutsch.

Wie lässt sich diese Parallelwelt vermeiden?

Wenn ich das wüsste. Es wäre wichtig, in den Integrationsbüros und bei den Ehrenamtlichen die Schwerpunkte anders zu setzen, die Leute auch zur Selbstständigkeit zu erziehen und denen nicht jeden Handgriff abnehmen. Bei den Ehrenamtlichen bin ich gespalten: Die machen eine äußerst wichtige Arbeit, aber viele schießen über das Ziel hinaus und fangen an zu bemuttern, räumen jeden Stein aus dem Weg.

Arabische Männer, die Frauen keine Integrationskurse erlauben

Wo liegen die größten Barrieren?

Problematisch sind zum Teil die Bildungschancen: Wer nicht mal seine Muttersprache schreiben kann, dem muss ich zwar per Gesetz einen Deutschkurs aufzwängen, aber wie soll der deutsch schreiben, wenn er seine Muttersprache nicht in Schrift beherrscht? Das ist rausgeschmissenes Geld. Die müssen keine Bundeskanzler aufzählen können, sondern wissen: Wie nehme ich Kontakt mit einer Frau auf? Wie bewerbe ich mich?

Und wir haben viele arabische Frauen, die keine Integrationskurse besuchen, weil es die Männer nicht erlauben. Da haben wir Angebote mit Kinderbetreuung und die Männer sitzen wie die Paschas zu Hause und sagen: Du brauchst keinen Integrationskurs, du passt auf die Kinder auf. Auf diese Strukturen muss mehr Druck ausgeübt werden.

Wir müssen viel deutlicher kommunizieren, was wir von den Leuten erwarten. Die müssen nicht ihre Identität oder ihren Glauben aufgeben, die müssen aber ihre sozialen Einstellungen aus dem Heimatland über Bord werfen. Die müssen sich an unsere Gepflogenheiten anpassen.

2015 wurde der Bottroper Saalbau zum Bettenlager: Die Stadt richtete dort eine Flüchtlingsunterkunft ein.
2015 wurde der Bottroper Saalbau zum Bettenlager: Die Stadt richtete dort eine Flüchtlingsunterkunft ein. © Labus / FUNKE Foto Services | Winfried Labus / FUNKE Foto Services

Größtes Problem: Alle reingelassen, ohne Identität zu prüfen

Waren die deutsche Willkommenskultur und die Öffnung der Grenzen ein Fehler?

Der größte Fehler war, dass wir alle reingelassen haben, ohne die Identität zu überprüfen. Wir sind uns innerhalb der Ausländerbehörden einig, dass wir noch einige tausend Leute aus der Zeit haben, die behördlich nicht bekannt sind.

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Durch diese Ad-hoc-Freigabe durch Bundeskanzlerin Angela Merkel standen sämtliche behördlichen Strukturen mit dem Rücken an der Wand. Wir konnten nur noch reagieren, um diesen riesen Zulauf einigermaßen in den Griff zu kriegen. Viele haben das nicht verstanden, die sagen, ihr habt uns alle reingelassen und jetzt fangt ihr an, Theater zu machen.

Hat die Bundeskanzlerin den Menschen falsche Hoffnungen gemacht?

Ja. Und die haben zu Frust geführt. Die kommen zu 99 Prozent hier rüber, um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Das kann ich 100 Prozent nachvollziehen. Aber die Rechtslage im Bereich Asylgewährung erkennt keine wirtschaftlichen Gründe an.

Wir können eine bestimmte Zahl an Menschen integrieren. Aber wenn da jedes Jahr hunderttausende kommen, übersteigt das die Kapazitäten der Gesellschaft. Neben Corona wird die Integration dieser Flüchtlinge die große Herausforderung der nächsten Jahre sein.