Bottrop. Die Lage auf dem Bottroper Arbeitsmarkt erholt sich nach Corona. Welche Branchen weiter wachsen und wo neue Arbeitsplätze entstehen.

Corona hat für einen Anstieg der Arbeitslosigkeit um rund 20 Prozent in Bottrop gesorgt. Langsam erholt sich die Lage, die Lockerungen wirken sich positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Wir haben mit Frank Thiemann, Leiter der Arbeitsagentur Gelsenkirchen, über die Langzeitfolgen der Pandemie, den anhaltenden Strukturwandel in Bottrop und die stärksten Zukunftsbranchen gesprochen.

Seit mehr als 15 Monaten befinden wir uns im Ausnahmezustand. Die Zahl der Unternehmen, die Kurzarbeit angemeldet haben, hat sich von 2019 auf 2020 vertausendfacht. Wie nachhaltig sind die Auswirkungen von Corona auf den Bottroper Arbeitsmarkt?

Die Pandemie hat sich natürlich ordentlich bemerkbar gemacht, auch auf dem Bottroper Arbeitsmarkt. Wir hatten am Anfang, als es mit dem ersten Lockdown losging, einen Anstieg von über 20 Prozent der Arbeitslosen. Das ist natürlich enorm. Bei der Arbeitslosenquote liegen wir im Juni 2021 bei acht Prozent, die Lage hat sich deutlich verbessert. Vor der Pandemie lagen wir allerdings bei 6,8 bis 7,1 Prozent.

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Das Kurzarbeitergeld hat aber Schlimmeres verhindert. Die Arbeitslosen sind nicht dazugekommen, weil sie in großem Maße wegen Corona entlassen worden sind, sondern weil es kaum Integrations- und Vermittlungsmöglichkeiten gegeben hat. 2019 waren 80 Personen potenziell von Kurzarbeit betroffen, 2020 waren es 10.394. Wir haben für Gelsenkirchen und Bottrop zusammen 100 Millionen Euro für Kurzarbeitergeld ausgegeben.

Corona in Bottrop: „Zu Beginn war alles wie in Schockstarre“

Gastronomie, Hotellerie, Einzelhandel liegen auf der Hand. Welche anderen Branchen wurden besonders hart getroffen?

Von Kurzarbeit betroffen war vor allem auch der Bereich des verarbeitenden Gewerbes. Gerade zu Beginn, da war ja alles wie in Schockstarre. Alle waren vorsichtig, alle haben ihre Produktion runtergefahren. Auch die Zulieferprodukte fehlten, zum Beispiel aus China. Natürlich war auch die Reisebranche stark betroffen.

Wie wirkt sich das auf den Ausbildungsmarkt aus?

Wir haben in Bottrop relativ viele Bewerber, mehr als im Landesschnitt. Allerdings haben wir weiterhin zu wenige Stellen für alle Bewerber, nicht erst seit Corona. Wir bekommen schlecht Zugriff auf Schülerinnen und Schüler. Wir müssen um sie werben, sie zu uns locken, aber wenn man fast ein Jahr nicht in die Schulen gehen kann, ist das deutlich schwieriger.

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Hat sich die Lage in diesem Jahr stabilisiert?

2021 sind die Anzeigen von Unternehmen auf Kurzarbeitergeld deutlich abgeebbt. Wir erleben, dass der Markt sich verbessert. Das sieht man an den Kurzarbeiterzahlen, an den Arbeitslosenzahlen und auch an den Stellenzugängen. Sobald Lockerungen eintreten, erleben wir schnell eine Erholung. Das war auch im vergangenen Jahr so.

Gibt es Branchen, die von der Corona-Lage profitiert haben?

Mit dem Begriff „profitieren“ muss man etwas vorsichtig sein. Aber es gibt Branchen, in denen man trotz der Pandemie noch einen Aufwuchs an Beschäftigungsverhältnissen erkennen kann. Zum Beispiel alles, was mit Erziehung zu tun hat, was mit dem Gesundheitswesen zu tun hat. In beiden Branchen gibt es einen Zuwachs von rund vier Prozent. Der ein oder andere hat sich aus einer Branche, die hart getroffen ist, umorientiert. Es gibt aber keine riesigen Abwanderungsbewegungen.

Welche Langzeitfolgen werden wir in den nächsten Jahren spüren, auch wenn sich der aktuelle Aufwärtstrend hält?

Wir rechnen damit, dass sich der Aufwärtstrend jetzt hält, so lange die Delta-Variante nicht hart reinkracht. Wir glauben, dass sich diese Erholung schnell ablesen lässt an den Entwicklungen. Dennoch wird der Markt noch sicherlich drei Jahre brauchen, bis wir wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie sind.

Besondere Sorgen bereiten uns die Langzeitarbeitslosen. Bei denen brauchen wir sowieso schon länger, um sie wieder zu integrieren. Und jetzt haben sie noch mehr Schwierigkeiten unterzukommen, die Zahlen sind bereits hochgegangen.

Die meisten Bergleute von Prosper Haniel sind gut vermittelt worden

Seit zweieinhalb Jahren hat mit Prosper Haniel die letzte Zeche im Ruhrgebiet geschlossen. Sie war Bottrops größter Arbeitgeber. Wie gut ist es gelungen, die Beschäftigten wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

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Wir hatten 2018 noch gut 2200 Arbeitnehmer im Bergbau beschäftigt, im Herbst 2020 waren es noch 660. Und die werden nun sukzessive auch abgebaut. Ein Teil der Personen, die arbeitslos geworden sind, konnte in den Vorruhestand gehen, ein Teil musste sich anderweitig umtun. Viele sind vermittelt worden in die Bereiche Recycling, Verpackungsindustrie, Logistik. Die meisten sind gut qualifiziert, haben eine gute Ausbildung abgeschlossen, da waren oft nur kurze Qualifizierungsmaßnahmen nötig, um sie für den Job fit zu machen.

Aber trotzdem sind das viele Arbeitsplätze, die weggefallen sind. Auf der Zeche wurde ja auch viel ausgebildet.

Wir haben uns die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten angeschaut und wenn man da 2007 mit 2020 vergleicht, haben wir trotzdem einen Anstieg, wenn auch einen nicht so starken wie im NRW-Schnitt. Der Rückgang ist überkompensiert worden. Wenn jetzt also die 660 Plätze noch abgebaut werden, glaube ich nicht, dass wir das in unseren Zahlen eklatant merken werden.

Bergleute haben gut verdient. War es möglich, sie gleichwertig weiter zu beschäftigen?

Was Adäquates in der gleichen Gehaltsklasse zu finden, ist schwierig. Das ist ein großes Problem in der Vergangenheit gewesen, die Bergleute unterzubekommen.

Bottrops Arbeitsmarkt: Perspektive im Sozialwesen, Handwerk und in der Logistik

Seitdem die Zeche als größter Arbeitgeber geschlossen ist, verteilt sich der Bottroper Arbeitsmarkt auf mehr kleinere Betriebe. Welche Branche ist am stärksten?

Im Bereich der Seniorenheime sind die Beschäftigtenzahlen deutlich gestiegen, auch im Baugewerbe, jeweils um über 1000 Jobs. Eine Steigerung gab es auch im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen, Fitnessstudios, Kosmetiker, Friseure. Das ist auch charakteristisch für Bottrop: Im Vergleich zu vielen anderen Ruhrgebietsstädten ist der Dienstleistungssektor stark ausgeprägt. Das ist auch ein Grund dafür, warum hier die Arbeitslosenzahlen niedriger sind, weil der Sektor nicht so abhängig ist von Konjunkturwellen.

Welche Branche hat die größte Zukunftsperspektive, wo geht es für den Bottroper Arbeitsmarkt hin?

Grundsätzlich ist die Beschäftigungsquote mit 55 Prozent relativ hoch, in Gelsenkirchen sind es nur 50 Prozent zum Beispiel. Der Dienstleistungsbereich wird der sein, der weiter wächst: Gesundheitswesen, Sozialwesen, Altenpflege. Die Logistik wird stark bleiben. Außerdem haben wir einen Bau-Boom, das Gewerbe ist stark angewachsen. Wenn das keine Blase ist, wird der noch weiter wachsen. Auch im Handwerk haben wir Beschäftigungspotenzial – da fehlen aber auch die Fachkräfte.