Bochum. Zehntausende beteiligen sich am Dienstag an den Warnstreiks im öffentlichen Dienst. Busse und Straßenbahnen fahren nicht, viele Rathäuser und Büchereien, Kitas und Sparkassen sind geschlossen. Die meisten Menschen haben das kommen sehen, es gibt aber auch immer diejenigen, die völlig überrascht werden.
Es ist der ideale Platz, Brötchen da zu verkaufen, wo alle her kommen von der Haltestelle – nur nicht heute, nicht im Warnstreik, es fährt keine Bahn. „Is’ gar nichts, keiner da“, sagt die Bäckerei-Verkäuferin Heike Nerzak-Ehlert. Wie ihr geht es dem ganzen, großen Markt mitten in Bochum, und das trotz der gleich vier Haltestellen rundum: Beim Eiermann war gerade Kundin Nummer Drei, und es ist schon nach 9; der Mann am Grillstand grillt und sagt „wir hoffen noch“; die Frau vom Fisch ist gleich mit geringeren Beständen angereist, und insgesamt gesehen haben heute alle Zeit für ein Schwätzchen, ach was, für eine Erörterung mit abschließender Welterklärung: „Weil alle nach oben wollen, kommt keiner nach oben“.
Verdis Warnstreik, und Verdi heißt am Dienstag: verweigerte Dienstleistungen. Der Warnstreik ist in NRW fast flächendeckend, vor allem bei Bussen und Straßenbahnen: In vielen U-Bahnhöfen sind Rolltreppen das einzige, was läuft an ÖPNV. Ausnahme ist einzig Hamm, wo ganz normal gefahren wird, und der Grund ist: Betriebsratswahlen beim Verkehrsbetrieb.
Überfüllte Einfallstraßen in die Innenstädte
Und so ist der umfassende Streik doch überall ein bisschen anders: Bestreikt werden die Rathäuser, aber manche Bürgerbüros arbeiten klammheimlich. Hier sind Kitas zu und da nicht, mit und ohne Notgruppen, dort schließt die Stadtbücherei, anders als in der Nachbarstadt, wo wiederum die Hallenbäder, die hier nicht . . .
Typische Szenen des Tages? Die meisten Menschen haben sich eingerichtet mit diesem Streik, man sieht das morgens früh an den überfüllten Einfallstraßen in die Innenstädte – und spürt mal am eigenen gestauten Leib, was Busse so wegschaffen.
Man findet aber auch handfeste Spuren von Ahnungslosigkeit: Manche haben ihre gelben Säcke oder den Sperrmüll termingerecht an den Straßenrand gebracht, doch da liegen das jetzt und liegt. Wieder andere prallen zurück, die die Tür zur Sparkasse entschlossen aufziehen wollen – und nichts bewegen können. Und, ja, es stehen auch einzelne Menschen an Haltestellen, aber bevor die Schadenfreude nun allzu groß wird: Irgendwann kommt für viele doch das Auto, mit dem sie da verabredet sind, und liest sie auf. Wieder andere laufen los, notgedrungen.
Und so finden sich natürlich in geringer Zahl auch Gestrandete. Man sieht sie in den Bahnhöfen. Constantin Zamfiriscu aus Rumänien etwa, eingeflogen zu einem Kongress der Kognitionswissenschaften, der etwas ratlos da steht mit nichts als einem Rollkoffer und der Reservierungsbestätigung eines leider etwas entfernteren Hotels („Zehn Kilometer?“) – er wird gleich ein Taxi nehmen. Wohingehend der Student Rhie Bum-jun sich gerade Hilfe herbeitelefoniert: „Soll ich zum Hintereingang kommen?“ Ein fahrender Freund wird ihn gleich nach Hause bringen, da mit wäre Problem eins gelöst. Bleibt noch Problem zwei: „Wie komme ich heute abend zum Kellnern wieder in die Innenstadt?“
Noch aber steckt auch der Freund fest, hinter einem Demonstrationszug. Wie in Dortmund, Bottrop, Mülheim, sonstwo: Es wehen die weiß-roten Verdi-Fahnen, es liegt dieses Trillerpfeifen in der Luft. Zurück in Bochum, bei der zentralen Kundgebung, wo sich gerade die „Betriebsgruppe Knappschaft-Bahn-See“ vor der Bühne aufbaut, einer einfachen Regie folgend: „Alle nach vorne.“ Hier folgen gleich die Reden, die immer gehalten werden am ersten Warnstreik-Tag: „Dieser März wird heiß werden . . . Geld ist genug da, es ist nur falsch verteilt . . . Eure Anwesenheit ist ein starkes Signal . . . Gute Arbeit darf nicht mit einem Taschengeld abgespeist werden . . .“ Wie im März 2012, wie im Februar 2010. Man mobilisiert sich, mehr noch nicht. Man kann es auch beschreiben mit der Uhrzeit, zu der diese Kundgebung begann: Es ist fünf vor elf.
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