Bochum. . Ein neuer „Othello“ am Bochumer Schauspielhaus. David Bösch hat Shakespeares Klassiker neu gedeutet. Eine wegweisende Interpretation wird man das Ergebnis kaum nennen dürfen. Poetische Bühnenmomente und ein starkes Ensemble schenken dem Abend Qualität.

Aus Bochum ist der ungewöhnliche Umstand zu berichten, dass zwei Theater zeitgleich Shakespeares „Othello“ im Spielplan haben. Nachdem das kleine Prinz Regent Theater (Regie Sibylle Broll-Pape) im Herbst vorgelegt hatte, zieht nun das große Schauspielhaus mit der Neudeutung von Star-Regisseur David Bösch nach.

Düsteres Ambiente

Der Sternenhimmel schimmert, sentimentale Gitarrenklänge wallen auf (zurück in Bochum: Theatermusiker Karsten Riedel), ein schönes Paar – Othello und Desdemona – liebkost sich und tanzt: das ist der Start im Großen Haus, und die Szene „spielt“ als Zeichnung auf dem Vorhang, der sich schließlich hebt und den Blick freigibt auf das Ambiente einer mit Säulen zugestellten Bühne, alles finster, stockfleckig und verschimmelt. Es erscheinen Othello (Matthias Redlhammer) und Jago (Felix Rech), und erzählen den Beginn der bekannten Geschichte um Ehre, Ruhm, Intrige und Eifersucht. Am Ende sind fünf Menschen tot, und eine große Liebe ist nicht mehr.

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Diese mutmaßlich ewige Liebe ist die finstere Sonne, um die sich alles dreht: Sie wird romantisch verklärt, es blitzen die Sterne, ein rotes Plastikherz senkt sich hernieder, das Brautpaar verweilt im Konfetti-Regen – so schön! Doch dann geht alles kaputt: Schuld ist der fiese Jago, der Othello und seine Mannen mit List & Tücke dazu bringt, (nicht nur) die arme Desdemona zu meucheln. Und damit wirklich jeder versteht, wie verwerflich der ist, flackert rotes Höllenfeuer um Jago auf, und es erscheinen die höllischen Ziffern 6-6-6 wie Feuerzeichen an der Wand. Oh, denkt man: teuflisch, teuflisch, was hier gespielt wird. Wer hätte das gedacht?

Othello als Außenseiter – das ignoriert Bösch weitgehend

Das Ganze ist nett anzuschauen, und man kann schöne, poetische Bühnenmomente bestaunen, wie nur Bösch sie hinbekommt, das Schneegestöber etwa, bevor Desdemona sterben muss. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Zugriff insgesamt harmlos und wenig inspirierend ist. Weder werden das politische Moment noch die psychologischen Gründe für Verrat und Eifersucht schlüssig auserzählt, auch mangelt es den Figuren an Feinzeichnung (stattdessen wird viel geschrien auf der Bühne).

Und: Othello ist gar nicht schwarz! Den „Mohren von Venedig“ als gesellschaftlichen Außenseiter hat Bösch schlicht ignoriert. So erscheint die Titelfigur als ein wie toll sich gebärdender Durchschnitts-Mitmensch, wie ihn auch Ingmar Bergmann in „Szenen einer Ehe“ hätte zeigen können. Nur, dass damit dem Stück eine bedeutsame Dimension weggeschnitten wird, die Shakespeare wohl nicht ohne Gründe eingeflochten hatte. Das komplexe Eifersuchtsdrama mündet, so gesehen, in eine gewisse Beliebigkeit.

Zwischen Komik und Klamauk

So vergehen zweieinhalb Stunden ohne echten Aha-Effekt, aber es macht trotzdem Freude, den Schauspielern zuzusehen. Redl-hammer als getriebener „Mohr“, Rech als verschlagener Jago (physisch und intellektuell seinem General immer überlegen), Friederike Becht als verzweifelte, wenn auch etwas zahme Desdemona haben starke Momente. Auch die Nebenrollen sind top besetzt: Florian Lange als tumb-geiler Cassio, Xenia Snagowski als verstörte Emilia und Daniel Stock als schreckhafter Rodrigo tanzen, changierend zwischen Komik und Klamauk, den Totentanz des Dramas munter mit.

Im Vergleich zur Inszenierung im Prinz Regent Theater, die Shakespeare ebenfalls „vom Blatt“ präsentiert, ohne aktualisierend einzugreifen, ist Böschs Deutung verspielter, langatmiger und ausladender orchestriert. Neue Einsichten über den Klassiker vermitteln beide Aufführungen nicht.