Bochum. Versteinert sind ihre Mienen, zu viel haben sie durchlitten in ihrem Leben. Heute stehen die Männer und Frauen vor der Pauluskirche, zum Gedenktag der Psychiatrie-Toten. Dafür reisten die Teilnehmer aus weiten Teilen des Landes an.
Am eigenen Leib musste die heute 31 Jahre alte Eleanor erfahren, was es bedeutet, in die falschen Hände zu geraten und „nur noch mit Medikamenten vollgepumpt zu werden“, wie sie selbst berichtet. „Mit 17 Jahren ging ich wegen schwerer Schlafstörungen zum Hausarzt“, sagt die Frau mit leiser Stimme. Der verwies sie direkt in eine Klinik. „Ein halbes Jahr lang wurde ich nur vollgedröhnt.“ Betäubt sei sie gewesen, ihre Persönlichkeit habe sich massiv verändert.
Dabei sei vor der Behandlung lediglich einsam gewesen: „Ich hätte damals einfach mehr unter Menschen gemusst.“ Eine ambulante Behandlung, so meint Eleanor im Rückblick, hätte voll und ganz ausgereicht, um wieder auf die Beine zu kommen. Sich von den Medikamenten zu lösen, das sei später das größte Problem gewesen, erzählt die Dortmunderin. Mittlerweile besucht Eleanor die Selbsthilfegruppe an der Wittener Straße, die ihr offensichtlich gut tut. „Dort werde ich nicht von oben herab behandelt, fühle mich nicht klein. Ich bestimme, was gut für mich ist.“
Einen Stempel aufgedrückt
„Psychiatrie ist Zwang“, sagt gar eine Demonstrantin vor der Kirche. „Wenn Sie einmal den Stempel aufgedrückt bekommen, dass Sie nicht ganz dicht sind, dann werden Sie den auch nie wieder los“, schildert die 58 Jahre alte Frau. Bipolare Störungen hatte auch sie per Diagnose, bevor sie mit harten Medikamenten „behandelt“ wurde.
Claus Wefing ist extra aus Bad Salzuflen nach Bochum angereist, um mit einem Banner auf Missstände in den Psychiatrien aufmerksam zu machen. „Es wird mit der Angst der Patienten gespielt“, meint er. Um Macht ginge es oftmals, und um Hierarchie. Erfahren habe der 39-Jährige das am eigenen Leib. „Es muss sich etwas ändern an diesen unmenschlichen Behandlungen. So etwas darf einfach nicht passieren, so geht man mit Menschen nicht um.“ Starke Beruhigungsmittel habe er bekommen, von denen auch er nur mit großer Mühe wieder losgekommen sei.
"Entzugserscheinungen setzen zeitverzögert ein"
Matthias Seibt, Mitglied des Landesvorstandes des Bundesverbandes Psychiatrie, befand sich mit 17 Jahren in einer Krisensituation, als er professionelle Hilfe suchte. Auch er bekam starke Medikamente, über sieben Jahre lang nahm er Neuroleptika. „Die Entzugserscheinungen setzen – anders als bei Alkohol und Zigaretten – sehr zeitverzögert ein“, berichtet de Diplom-Psychologe.
Von den Drogen kam er dennoch wieder los.