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Andrea Stahl (35) kam aus Osnabrück angereist. Die Tour macht sie seit zwei Jahren an jedem 2. Oktober, um in Bochum an der Demonstration am Gedenktag der Psychiatrie-Toten teilzunehmen.
„Ich wurde auch gezwungen, Psychopharmaka einzunehmen. Die Folge: Herz- und Augenprobleme und massives Übergewicht.“ Die Osnabrückerin hat dann im Frühjahr 2010 die Medikamente auf Eigeninitiative abgesetzt, um zu überleben. „Seither geht’s mir wieder gut“, sagt sie.
In Bochum sitzt der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener. Mit der Demo quer durch die Innenstadt (vorab gab es einen Gottesdienst in der Pauluskirche) wollen die Mitglieder ihre zentralen Forderungen an die Öffentlichkeit tragen: „Niemand darf gezwungen werden, die Medikamente zu konsumieren, und die Patienten müssen aufgeklärt werden über die Nebenwirkungen und Folgen der Einnahme“, erklärt Matthias Seibt für den Landesverband.
Auch er hat als junger Mensch sieben Jahre lang Neuroleptika verabreicht bekommen. „Ich kriegte nichts mehr auf die Reihe“, sagt der heute 52-Jährige. Bei ihm diagnostizierten die Ärzte Schizophrenie, auch er setzte auf Eigeninitiative alle Mittel ab. „Heute geht es mir wesentlich besser.“
Bei Dauerkonsumenten von Neuroleptika, so betont auch der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener, liege die Lebenserwartung um 25 bis 30 Jahre unter der von Durchschnittsmenschen. Viele wählen auch den Selbstmord als Ausweg aus ihrer Lage. „Es hängt natürlich von Dauer und Menge der Medikamente ab. Aber wir verlangen, dass darüber aufgeklärt wird über die Folgen des Konsums von Alkohol und Zigaretten“, so Seibt. Und fügt an, der Verband sei kein Abstinenzclub: „Wenn es gut läuft, wenn der Betroffene die Folgen der Einnahme kennt, lehnen wir es nicht generell ab. Wichtig ist uns nur, dass jeder selbst darüber bestimmen sollte.“ Er verweist auf die speziellen Gesetze für Psychiatriekranke, die die Betroffenen als Entmündigung empfinden, und nennt das Psychisch-Krankengesetz und das Betreuungsrecht.
„Es ist entwürdigend“, sagt auch Andrea Stahl, die sich erst seit dem Abbruch der psychiatrischen Behandlungen wieder gesund fühlt. Und fügt an, dass die Abstempelung zum Psychisch Kranken sehr schnell gehe. Mit dem jährlichen Marsch durch die Innenstadt wollen die Psychiatrie-Erfahrenen ihr Recht auf Selbstbestimmung unterstreichen, das nur durch Änderung der Gesetze erreicht werden könne. „Das heißt auch, ein Recht darauf zu haben, Fehler zu begehen“, so Matthias Seibt.