Bochum. Der Mangel an Spenderorganen in Deutschland wird immer dramatischer. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt inzwischen sieben Jahre, berichteten Mediziner beim WAZ-Nachtforum in Bochum-Langendreer.
Nach der ersten Operation 1994 musste sie noch sieben Wochen in der Klinik bleiben. „Mir geht’s gut!“, saß eine Teilnehmerin beim WAZ-Nachtforum am Donnerstagabend im Knappschaftskrankenhaus auf gepackten Taschen. Vor 14 Tagen wurden ihr in Langendreer zum zweiten Mal eine Niere und Bauchspeicheldrüse verpflanzt. Gestern durfte sie schon wieder nach Hause.
„Projekt neues Leben“: Eindringlich und informativ vermittelte das Medizinforum unserer Zeitung, wie Organtransplantationen Leben verlängern, aus jahre- und jahrzehntelanger Qual befreien, zu alter Lebensqualität zurückführen können.
Eine Teilnehmerin wurde mit 14 Jahren zur Diabetikerin. Mit Ende 20 kam eine Nierenschädigung hinzu. 1994 war sie eine der ersten Patientinnen, denen im damals neu eingerichteten Transplantationszentrum des Knappschaftskrankenhauses eine fremde Niere und Bauchspeicheldrüse eingesetzt wurde. 17 Jahre hielten die Organe, bevor die 50-Jährige vor zwei Wochen erneut unters Messer musste. Alles ging gut. „Die Werte sind wieder im Normbereich.“
Nierentransplantation kostet einmalig 30 000 Euro
„Projekt neues Leben“: In Langendreer haben sie damit reichlich Erfahrung. Jährlich werden 140 Organe transplantiert. Bei der kombinierten Verpflanzung von Niere und Bauchspeicheldrüse nimmt das Team von Prof. Dr. Richard Viebahn Platz 1 in Europa ein. Bei den reinen Nieren-Übertragungen rangiert die Klinik unter den deutschen Top 5.
„Nach der Transplantation einer neuen Niere ist man nicht ,gesund’. Aber: Sie ist der beste Ersatz. Die Patienten leben länger und besser“, erklärte Dr. Anna Mitchell (Marienhospital Herne) den 150 Besuchern in der fast voll besetzten Klinik-Cafeteria. Dank neuer Medikamente werde heute nur noch weniger als jedes fünfte Organ abgestoßen. Auch der volkswirtschaftliche Nutzen sei groß. Dr. Mitchell: „Dialyse-Patienten verursachen Kosten von jährlich 45 000 Euro. Eine Nierentransplantation kostet einmalig 30 000 Euro, danach jährlich 10 000 Euro.“
Neue Organe eröffnen neue Leben
Über ebenso gute Erfahrungen wie bei Nieren-Transplantationen berichtete Dr. Peter Schenker bei der (meist gleichzeitig vorgenommenen) Übertragung von Bauchspeicheldrüsen. 31 Pankreas-Verpflanzungen – das ist jede sechste in Deutschland – gab es 2011 in Langendreer: in der Regel bei Diabetes Typ1-Patienten. „80 Prozent sind noch nach zehn Jahren insulinfrei.“
Organspende
Die Teilnehmerin ist wieder wohlauf. Ebenso wie das Ehepaar Busch-Bernard, die die WAZ-Leser mit ihrer berührenden Geschichte beim Nachtforum gleichfalls kennenlernten (wie berichtet, hat Ute Busch-Bernard ihrem Mann eine Niere gespendet). Sie dokumentieren: Neue Organe eröffnen neue Leben. Dass dennoch Tausende vergeblich auf eine Rettung warten und sterben, ist dem Mangel an Organen geschuldet, die zu Lebzeiten oder nach dem Tod bereitgestellt werden. „Bei allem medizinischen Fortschritt“, bedauert Prof. Viebahn, „haben wir darauf leider kaum einen Einfluss.“
12 000 Patienten auf der Warteliste
„Es ist erste Bürgerpflicht, sich zumindest zu entscheiden.“ Prof. Dr. Richard Viebahn kennt die dramatischen Momente auf der Intensivstation: etwa nach einem Motorradunfall, wenn verzweifelten, traumatisierten, oft hilflosen Eltern die Frage gestellt werden muss, ob ihrem hirntoten Sohn Organe entnommen werden dürfen, um andere, schwer kranke Menschen zu retten.
Jedem Bürger sei zuzumuten, die Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu Lebzeiten zu treffen, so Viebahn. „Teilen Sie diese Entscheidung ihren Angehörigen mit. Wenn Sie helfen wollen: Füllen Sie einen Organspendeausweis aus oder legen Sie Ihren Wunsch in einer Patientenverfügung fest“, appellierte der Klinikdirektor beim WAZ-Nachtforum in Langendreer.
Der Mangel an Spenderorganen ist in Deutschland eklatant. 12 000 Patienten stehen auf der Warteliste; die meisten brauchen eine Niere. Täglich sterben drei Menschen. Denn die durchschnittliche Wartezeit liegt inzwischen bei sieben Jahren. „In Spanien zum Beispiel sind es nur 15 Monate“, weiß Fachärztin Dr. Anna Mitchell. Grund: Hier wie in mehreren anderen EU-Ländern gilt die Widerspruchslösung. Heißt: Jeder kann nach einem Hirntod Organspender werden, der sich zu Lebzeiten nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat. Darauf hatten Mediziner und Betroffene auch hierzulande gehofft. Das im Mai im Bundestag beschlossene Gesetz indes sieht eine Entscheidungsregelung vor. Künftig sollen alle Bürger ab 16 Jahren regelmäßig Post von ihrer Krankenkassen bekommen und nach ihrer Bereitschaft zur Organspende befragt werden.
„Wir müssen diese Lösung akzeptieren“, sagt Prof. Viebahn – und setzt gleichwohl darauf, dass sich durch das neue Gesetz die Zahl der Organspenden in den nächsten Jahren erhöhen wird. „Es könnte so viel mehr Menschen durch eine Transplantation geholfen werden.“
Die Organ-Experten in Langendreer stünden bereit.
Vorträge im Internet
Die Vorträge können auf der Klinik-Internetseite www.kk-bochum.de nachgelesen werden. Das nächste Forum folgt am 13. September. Thema: altersbedingte Makuladegeneration.