Berlin. . Bürger in Deutschland müssen sich künftig mehr Gedanken über eigene Organspenden machen. Der Bundestag hat dazu an diesem Freitag mit Mehrheit einem Gesetzentwurf zugestimmt. Die Deutsche Hospiz-Stiftung reagiert enttäuscht.
Nach jahrelangen Debatten hat der Bundestag eine Neuregelung zur Organspende auf den Weg gebracht. Mit breiter Mehrheit verabschiedete das Parlament am Freitag einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Einführung der sogenannten Entscheidungslösung. Jeder Bürger über 16 Jahre wird künftig von seiner Krankenkasse per Brief regelmäßig Informationen zum Thema Organspende erhalten. Zudem wird jeder aufgefordert, zu erklären, ob er nach seinem Tod Organe spenden will. Die Entscheidung bleibt aber nach wie vor freiwillig.
Verabschiedet wurde zudem mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Transplantationsgesetzes. Damit werden die etwa 1350 Kliniken mit Intensivstationen verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten zu berufen. Dieser soll die Organspenden besser koordinieren und Angehörige potenzieller Spender beraten.
Grüne und Linke warnen vor Datenzugriff durch die Krankenkassen
Zuvor hatten die Abgeordneten im Bundestag nochmals rund anderthalb Stunden in sehr sachlicher Atmosphäre über den Gesetzentwurf debattiert. Redner aller Fraktionen machten dabei deutlich, wie wichtig es ist, die Menschen regelmäßig mit dem Thema Organspende zu konfrontieren. Dadurch solle erreicht werden, dass sich die Bürger stärker als bisher mit dem Thema Organspende auseinandersetzen und die Zahl der dringend nötigen Organspenden steigt. Zugleich wurde deutlich gemacht, dass keinerlei Zwang ausgeübt werde.
Grüne und Linke machten allerdings auch ihre Vorbehalte gegen Details des geänderten Transplantationsgesetzes deutlich. Sie forderten unter anderem mehr Transparenz und Kontrolle bei der Organisation der Organspenden, die in Deutschland von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) koordiniert wird.
Kritik von Hospiz-Stiftung
Zudem lehnten sie es aus Datenschutzgründen ab, die Organspendebereitschaft künftig auch auf der elektronischen Gesundheitskarte zu dokumentieren. Dies soll in einigen Jahren möglich sein, allerdings nur mit Zustimmung der Versicherten. Vertreter von Grünen und Linken erklärten, die Kassen dürften keinen Zugriff auf die Daten haben.
Die Deutsche Hospiz-Stiftung reagierte enttäuscht auf den Beschluss: "Mehr Werbung wird es das zentrale Problem der Bevölkerung nicht lösen können", erklärte Vorstand Eugen Brysch. Die Zahl der Organspendeausweise hab sich laut Brysch seit 1996 nicht wesentlich erhöht, obwohl das Organspende seitdem deutlich stärker in der Öffentlichkeit thematisiert würden. Lösung könnte laut Brysch nur eine zentrale Koordination sein, bei der "die Funktionen der privaten Organisationen wie der Bundesärztekammer, der Deutschen Stiftung Organtransplantation und der niederländischen Stiftung Eurotransplant unter parlamentarische Kontrolle und Führung" gestellt würden.
Das regelt das neue Organspendegesetz
Noch in diesem Jahr sollen die Bürger von ihrer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse erstmals ein Schreiben erhalten, mit dem sie über die Organspende informiert und zur Abgabe einer Erklärung aufgefordert werden. Ein weiteres Schreiben soll dann in zwei Jahren folgen, ab 2017 sollen sich die Kassen dann alle fünf Jahre per Brief melden. Darüber hinaus sollen die Behörden bei der Ausgabe von amtlichen Ausweisen - wie etwa Reisepass oder Führerschein - Informationen zur Organspende ausgeben.
Gibt es einen Entscheidungszwang?
Nein. Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende bleibt wie bisher freiwillig.
Warum ist eine Neuregelung nötig?
Seit Jahren wird darüber gestritten, wie die Organspendebereitschaft erhöht werden kann. Hintergrund ist die große Diskrepanz zwischen der grundsätzlichen Organspendebereitschaft und der Zahl derjenigen mit Organspendeausweis: Drei Viertel der Deutschen sind laut Umfragen bereit, ein Organ zu spenden. Bislang besitzt aber nur ein Viertel einen Organspendeausweis.
Wie sieht die bisherige Regelung aus?
Derzeit gilt in Deutschland eine Zustimmungslösung, wonach ein Mensch schon zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt haben muss oder Angehörige eines Hirntoten Ja sagen müssen. In neun von zehn der in Frage kommenden Todesfälle entscheiden die Angehörigen über eine Organspende.
Organspende - Tausende warten auf eine Transplantation
Es wird nicht mehr nur allgemein für die Organspende geworben, die Menschen werden künftig direkter informiert und konkret mit einer Entscheidung konfrontiert. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den ebenfalls am Freitag abgestimmt wird, sieht zudem vor, dass die rund 1400 Kliniken mit Intensivstationen je einen Transplantationsbeauftragten bekommen, der unter anderem Angehörigen potenzieller Spender berät.
Kann ich bestimmte Organe ausschließen?
Ja. Es gilt auch weiterhin, dass die Spendenbereitschaft nur für bestimmte Organe erklärt werden kann oder Organe ausdrücklich ausgeschlossen werden können.
Wo wird die Spendenbereitschaft dokumentiert?
Das erfolgt wie bisher auf einem Organspendeausweis. Perspektivisch soll die Organspendebereitschaft - auf ausdrücklichen Wunsch des Versicherten - auch auf der elektronischen Gesundheitskarte vermerkt werden können. Dagegen gibt es allerdings datenschutzrechtliche Bedenken.
Wie viele Organspender gibt es derzeit in Deutschland?
Im Jahr 2011 spendeten rund 1200 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe, das waren rund sieben Prozent weniger als im Jahr davor. In der Folge sank 2011 auch die Zahl der gespendeten Organe von rund 4200 auf mehr als 3900.
Wie viele Menschen warten auf Spenderorgane?
Bundesweit stehen rund 12.000 schwer kranke Menschen auf der Warteliste für eine Transplantation. Alle acht Stunden stirbt nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) eine Mensch auf der Warteliste, weil nicht rechtzeitig ein passendes Organ zur Verfügung steht.
Welche Organe können gespendet werden?
Das sind Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm. Außerdem lassen sich Gewebe wie zum Beispiel Hornhaut oder Knochen verpflanzen.
Welche gesetzlichen Voraussetzungen gelten für eine Organentnahme?
Der Verstorbene oder seine Angehörigen müssen zum einen in die Organentnahme eingewilligt haben. Zudem muss der Hirntod von Ärzten eindeutig festgestellt worden sein. Infrage kommen nur jene Menschen, bei denen der Hirntod vor dem Herzstillstand eintritt. Jährlich sterben in deutschen Krankenhäusern rund 400.000 Menschen, davon laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) etwa ein Prozent an Hirntod. (dapd)