Essen. . Sechs Jahre nach Ausbruch einer seltenen Lebererkrankung bekommt Beate Kern ein neues Organ. Nun ist sie auf dem Weg der Genesung. Sie ist ehrlich genug zu sagen, dass sie sich vor der Erkrankung mit dem Thema Organspende kaum auseinander gesetzt hat. Heute würde sie es anders machen - wenn sie könnte.
Über Jahre hat sie das Haus nur selten verlassen, die Kinder nicht mehr umarmt, kaum geschlafen. Je schlechter es ihr geht, umso mehr zieht sie sich zurück. „Manchmal war ich so verzweifelt, dass meine Familie Angst um mich hatte.“ Dann die Nachricht: Eine Spenderleber ist gefunden. „Das hat mein Leben verändert“, sagt die 51-Jährige. Da ist keine Bitterkeit, kein Hadern mit dem Schicksal. „Ich bin dankbar“, sagt die zweifache Mutter. Mitleidsbekundungen prallen an den lächelnden Augen ab. „Wozu Mitleid? Mir ist ein zweites Leben geschenkt worden. Ich kann endlich wieder ein normales Leben führen.“
Die Krankheit überrascht sie. „Vom einen Tag auf den anderen fing meine Haut an zu jucken.“ Erst leicht, dann stärker. Tag und Nacht Juckreiz, Schmerzen an wund gekratzten Stellen, sechs Jahre lang. „In den letzten vier Jahren war es besonders schlimm. Da hat meine Familie sehr mit mir gelitten.“
„Alles hat weh getan"
Der Auslöser der Krankheit ist schnell gefunden. „Ich habe PBC, das ist eine seltene Schädigung des Immunsystems.“ Die Ursache ist unbekannt. Der Verlauf hingegen klar: „Jahrelang habe ich Medikamente bekommen und musste zur Dialyse, denn das Immunsystem attackiert die Leber. Dann kommt es zur Zirrhose“, sagt Beate Kern. Mit den Jahren verschlechtert sich der Zustand, selbst Wasser brennt auf der Haut, sie kann ihre Kinder, ihre Enkelkinder nicht mehr umarmen. „Alles hat weh getan.“ Schlimm, so sagt sie, sind auch die psychischen Schmerzen. Das unerfüllte Verlangen nach Nähe zu ihren Kindern, den Enkeln. Tiefpunkte gibt es in diesen Jahren, aber immer auch Hoffnung.
Dabei verkraftet sie herbe Rückschläge. Ihren Job in einem Eiscafé kann sie nicht mehr ausüben, wird wegen Berufsunfähigkeit berentet. So reißen soziale Kontakte ab. Lange Tage allein mit der Krankheit, die fortschreitet. Irgendwann beginnt sie, die Vorhänge zu schließen, weil die Sonne auf der Haut brennt. Doch Beate Kern wird nicht nur einsamer, auch ihre körperliche Situation verschlechtert sich. Neu bewertet wird ihr Zustand nach den Organspende-Kriterien, so wandert ihr Name im September 2011 auf der Dringlichkeitsliste nach oben. Am 7. März 2012 bekommt sie die neue Leber.
Einschränkungen werden sie weiter begleiten
„Ich bin wach geworden und habe sofort gespürt, dass das Jucken weg ist“, sagt sie mit großen, leuchtenden Augen, „als hätte man mir ein neues Leben geschenkt.“ Sie sagt diesen Satz oft. Und man fühlt: Sie meint das so. Da schwingt kein Pathos mit, dafür das Gefühl, dass dieser Frau eine große Last genommen ist.
Einschränkungen werden sie weiter begleiten. „Ich darf nicht lange in der Sonne sein, Blauschimmelkäse, Grapefruits und andere Lebensmittel sind tabu.“ Vergleicht man diese Tabus mit ihrem früheren Leben – es sind keine wirklichen Hürden. Es bleibt kein Zweifel, Beate Kern ist dem Spender dankbar. Doch ist sie ehrlich genug zu sagen, dass sie sich vor der Erkrankung mit dem Thema Organspende kaum auseinander gesetzt hat. „Heute bin ich krank und komme als Spender leider nicht mehr in Frage.“ Dafür haben Familie und Freunde Beate Kerns entschieden. „Viele haben jetzt einen Organspendeausweis.“ Die gelungene Operation, sagt sie, sei das beste Argument.
Debatte über Organspenden
Interview: "Jeder Mensch sollte eine Haltung zur Organspende haben"
Über den Gesetzesentwurf aller Fraktionen im Bundestag, nach dem Krankenversicherte künftig aufgefordert werden sollen, sich zu erklären, ob sie im Falle des Hirntodes Organe spenden zu wollen, sprachen wir mit Professor Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Essen.
Ist der jetzt gefasste Entschluss aus Ihrer Sicht weitreichend genug?
Nagel: Es ist ein gutes Signal für die Transplantationsmedizin. Allerdings gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie man das erreicht. Das muss geklärt werden. Ich denke aber, dass jeder Bürger in einer solidarischen Gesellschaft die Pflicht hat, eine Entscheidung zu treffen und sich zu erklären.
Warum tun Menschen sich so schwer, einer Organspende zuzustimmen?
Da gibt es zwei Faktoren: Zum einen hängt es davon ab, wie weit Menschen sich im Gesundheitswesen auskennen. Wer miterlebt hat, dass jemand auf ein Spenderorgan angewiesen ist, setzt sich mit dem Thema auseinander und hat eine höhere Bereitschaft als jemand, der nicht betroffen ist. Generell stehen jüngere Menschen dem Thema Organspende sehr offen gegenüber. Sie sind ganz selbstverständlich mit dem Gedanken aufgewachsen, dass es so etwas gibt. Außerdem ist für sie das Thema Sterben noch weit weg.
Und der zweite Faktor?
Der Mensch kann sich schlecht vorstellen, was nach dem Tod passiert, was ihn erwartet. Dazu kommt die Angst, als Organspender medizinisch nicht gut versorgt zu werden, weil alles darauf ausgerichtet sein könnte, Organe zu entnehmen. Diese Angst ist aber völlig unbegründet. Wird ein Patient auf die Intensivstation gebracht, ist der Versicherungsstatus egal und auch, ob man einen Organspendeausweis hat. Man tut alles, um das Leben des Patienten zu retten.
Macht sich der aktuelle Rückgang der Spendebereitschaft in der Uniklinik Essen bemerkbar?
Wir zählen europaweit zur Gruppe der großen Transplantationszentren. Deutschlandweit sind wir bei Lebertransplantationen führend, obwohl die Zahl in diesem Jahr leicht rückläufig ist. So gibt es mehr Patienten auf den Wartelisten und viele Patienten, die auf diesen Wartelisten versterben. Diese Dramatik wird sehr real spürbar, wenn man auf die Zahlen schaut; im vergangenen Jahr sind über 80 Patienten gestorben, weil es kein passendes Organ gab oder weil sich ihr Zustand während der Wartezeit so verschlechtert hatte, dass sie nicht mehr transplantiert werden konnten.