Bochum. . Weit über 46.000 Mal wird pro Jahr der Bochumer Rettungsdienst alarmiert.
Um kurz nach 10 Uhr kommt das Signal zum eiligen Aufbruch. Die kleine Runde aus Rettungsassistenten und einem Notarzt hatte gerade noch ruhig bei einem Kaffee in der Rettungswache 7 im St.-Josef-Hospital gesessen. Wenige Sekunden später sausen sie in einem Notarztwagen mit Blaulicht und Martinshorn über die linke Spur der A 40.
Am Steuer sitzt Rettungsassistent Thomas Cremer (50), neben ihm der Notarzt Hendrik Bulok (34). 9330 Mal düsten sie und ihre Kollegen im Vorjahr in Bochum los. Diesmal schwebt eine 59-jährige Frau im Bochumer Osten in großer Not. Ihr Mann hatte 112 gewählt. Sie hat vielleicht einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, so genau wissen die Retter das auch noch nicht.
Während Bulok und Cremer die Frau zu Hause im Wohnzimmersessel erstversorgen, wartet draußen schon der Rettungswagen. Wenige Minuten später fährt der Rettungswagen sie mit Blaulicht ins Knappschaftskrankenhaus. „Verdacht auf Apoplex“, auf Schlaganfall, heißt es im Team. Was danach kommt, ist nicht mehr Sache der Retter, sondern der Krankenhausärzte. Das Knappschaftskrankenhaus ist eines von dreien in Bochum, das auf Schlaganfälle spezialisiert ist.
Zusatzqualifikation für den Rettungsdienst
„Ich fahre Rettungsdienst, um den Überblick in der Medizin zu behalten und nicht zum Fachidioten zu werden“, sagt Bulok. Er ist Orthopäde und Unfallchirurg. Seit drei Jahren arbeitet er aber regelmäßig auch als Notarzt. Dafür hat er eine Zusatzqualifikation. Viel Leid hat er im Dienst schon gesehen.
„Man kriegt einen gewissen Schildkrötenpanzer über die Zeit“, sagt er. Es gibt aber Ausnahmen: „Kindernotfälle haben einen hohen Stressfaktor.“ Sein Kollege, Rettungsassistent Sascha Krüger, nennt ein Beispiel: Da habe ein Kind einen Herzstillstand gehabt infolge eines Stromschlages. Es sei reanimiert worden - und habe später keine Folgeschäden erlitten. Das Kind habe sich beim Rettungsdienst nachher extra bedankt. „Das war bei mir der entscheidende Punkt, der einen motiviert“, sagt Krüger.
Innerhalb von acht Minuten an jedem Ort
Bezahlt wird er übrigens von der Feuerwehr. Das wird beim Bild eines Feuerwehrmannes ja oft vergessen: Am meisten sind sie - außer bei den hier geschilderten Notarzteinsätzen - bei Rettungs- und Krankentransporten im Einsatz. Insgesamt 46.693 Mal wurde im vorigen Jahr in Bochum der Rettungsdienst alarmiert - gleichzeitig gab es 1465 Brandmeldungen. In spätestens acht Minuten, sagt der Leiter der Abteilung Rettungsdienst, Simon Heußen, erreichen die Retter von ihren zehn Standorten jede Adresse.
„Das A und O ist die Menschenbetreuung“
Rettungsassistent Cremer ist seit 30 Jahren dabei. „Das A und O“, sagt er, „ist die Menschenbetreuung: in den Arm nehmen, betüddeln, zwischenmenschliche Wärme verbreiten.“ Notarzt Bulok bekräftigt dies: „Viele Probleme kann man mit einem vernünftigen Erstkontakt nehmen. Das ist besser, als wenn man reinkommt und Panik verbreitet. Da geht der Blutdruck bestimmt nicht runter.“
Auch Cremer hat eine professionelle Distanz zu seinen Fällen entwickelt. Und doch gibt es Schicksale, die ihn berühren. Regelmäßig fänden die Retter Menschen, die seit Tagen oder Wochen tot in ihrer Wohnung lägen. „Das belastet mich sehr.“ Alle paar Wochen wurde der Rettungsdienst so etwas erleben.
Folgen der Einsamkeit oft zu spüren
Hinter den Wohnungstüren finden die Retter auch andere Folgen der Einsamkeit: Manche Patienten, sagen die Retter, träfen sie verkotet an trotz Pflegedienst und Betreuer. Ein Patient habe sogar zentimeterlange Fußnägel gehabt. Wohnungen seien teils stark verdreckt wie bei Messis. Ans Tageslicht kommt das Chaos nur durch diese Notfall-Einsätze. „Die Leute“, sagt Notarzt Bulok, „sind ja gezwungen, jemanden reinzulassen. Da können sie ihre Scheinwelt nicht aufrechterhalten.“