Bochum. . Einer der Attentäter vom 11. September 2001, Ziad Jarrah, lebte bis kurz vor den Anschlägen in Bochum. Seine Frau ahnte nichts von seinen Plänen, die Bochumer Beamten klärten den Hintergrund des Mannes, suchten Komplizen und kooperierten mit dem FBI.

Polizeihauptkommissar Volker Schütte schlägt einen prall gefüllten Ordner auf: „Alles Presseberichte über den 11. September.“ Aus Bochum. Denn als damals , vor zehn Jahren durchsickerte, dass einer der Attentäter, der Libanese Ziad Jarrah (26), bis kurz vor seinem Tod bei seiner Frau in Bochum-Querenburg im Studentenwohnheim gelebt hatte, riefen Medien aus der ganzen Welt an. „Die Washington Post, die Sunday Times, aber auch Reuters. Über 500 Anrufe waren das. Sie waren auch dabei.“

Der 11. September war ein Dienstag. Zwei Tage danach, am Donnerstagnachmittag, bekam Kriminaloberrat Bernd Hendigk (50) einen alarmierenden Anruf. Ein älterer Jurist aus Münster war in der Leitung. Seine Tochter sei mit einer Bochumer Medizinstudentin befreundet. Und die sei sehr in Sorge um ihren Mann, weil sie befürchte, er könne etwas mit den Attentaten des 11. September zu tun haben. Noch am Tag der Anschläge hätten sie zusammen telefoniert, dann habe er sich nicht mehr gemeldet.

Hendigk war da noch Polizeirat und leitete die Staatsschutz-Dienststelle. Die war wegen Umzugsprobleme vorübergehend in der Bebelstraße in Herne einquartiert. Seine Abteilung nahm Kontakt mit der Studentin auf, die Ziad Jarrah in einer Hamburger Moschee geheiratet hatte. Hendigk erinnert sich gut: „Die Frau war wegen einer Mandeloperation am selben Donnerstag aus dem Krankenhaus entlassen worden.“

FBI meldete sich in Bochum

Auf ihrem Anrufbeantworter war die Bitte einer Flugschule aus Florida gespeichert, sie möge dort bitte zurückrufen. Der Polizeioberrat: „Als der Rückruf erfolgte, meldete sich die Flugschule, dann war sofort das FBI dran.“

Jarrah, der am 11. September als Pilot des „Flug 93“ der United Airlines mit seiner Maschine nahe Pittsburgh abgestürzt war, wobei er, seine Komplizen und alle 44 Passagiere den Tod fanden, hatte nämlich zuvor zwei Flugschulen in Florida besucht, um den Flugschein zu machen.

Bernd Hendigk: „Ab Dienstag hatten wir alle Fernsehen geguckt, rund um die Uhr. Dann kam Hamburg langsam ins Spiel. Wir hatten nix.“ Am Donnerstag, nach dem Anruf aus Münster, ließ er Jarrahs Ehefrau in seine Dienststelle bringen. Dort habe sie von ihrem Mann erzählt und ihrem furchtbaren Verdacht, er könne mit den Terroranschlägen zu tun haben.

Jarrahs Frau brach zusammen

Am selben Tag lief die Behördenmaschine an, „wie sonst auch bei Mord und Totschlag. “Hendigk informierte seinen Chef, den leitenden Polizeidirektor Horst Tieman. Das Innenministerium wurde informiert, die Generalbundesanwaltschaft, die Bezirksregierung, das Bundeskriminalamt, Bochums Polizeipräsident Thomas Wenner.

„Nach 23 Uhr waren alle Telefone besetzt, alle Entscheidungsträger telefonisch erreichbar“, erzählt der Polizeioberrat: „Ich habe durchgearbeitet, die ganze Nacht. Wir haben den Pizzablitz kommen lassen, auch für die Frau. Am Freitag rief das FBI wieder aus Florida an und sagte ihr: ,Wir gehen davon aus, dass Ihr Mann beim Anschlag bei Pittsburgh ums Leben kam, dass er einer der Piloten war.’“ Da sei Jarrahs Ehefrau zusammengebrochen: „Wir mussten den Notarzt holen.“

Nach einem Jahr wurde die Akte geschlossen

Die Arbeit ging weiter. Man traf sich jetzt im „Besprechungsraum 210“ im Polizeipräsidium. „Im Laufe des Freitags kamen zwei Kollegen des BKA hinzu.“ Auch ein FBI-Agent aus Frankfurt legte in Bochum einen Zwischenstopp ein, bevor er nach Hamburg fuhr, wo die Terrorzelle um Attentäter Mohammed Atta sich auf die Wahnsinnsflüge in den den USA vorbereitet hatten.

„Am Freitag kamen allmählich die Fakten zusammen, aber am Samstag ging es hier in Bochum richtig los“, weiß Hendygk. „Die Behörde machte sich führungsfähig. Leute wurden zusammengezogen, weit über hundert. Über tausend telefonische Hinweise mussten entgegen genommen werden.“ Später stellte sich heraus: Es gab keine weiteren Terroristen in Bochum. Ein Jahr später schloss sein Nachfolger die Akte.Schon recht früh sei der Polizei klar geworden, dass Jarrah seine Frau wirklich nicht in die Terrorpläne eingeweiht hatte.

Hier das Studentenwohnheim an der Stiepeler Straße, wo einer der Attentäter gewohnt haben soll, wie es in der WAZ im September 2001 gezeigt wurde.  Repro: Karl Gatzmanga / WAZ FotoPool
Hier das Studentenwohnheim an der Stiepeler Straße, wo einer der Attentäter gewohnt haben soll, wie es in der WAZ im September 2001 gezeigt wurde. Repro: Karl Gatzmanga / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Eine „einzigartige Motivationslage“ für die Ermittler

„Alle Ergebnisse aus Bochum wurden über das Innenministerium an die Bundesanwaltschaft übermittelt“, beschreibt Kriminaloberrat Bernd Hendigk den Behördengang. Er selbst sei natürlich davon überrascht gewesen, wie der 11. September plötzlich Bochum erreicht hatte. „Erst hatten wir die ganze Zeit die Schreckensbilder aus Amerika im Fernsehen gesehen, der Terror 9000 Kilometer entfernt, und auf einmal war das Thema auf meinem Tisch.“

Aber es sei auch eine „einzigartige Motivationslage“ gewesen. „Man musste keinen überzeugen, dass er arbeiten musste. Viele Kollegen haben sich freiwillig angeboten. Da fühlt man sich nicht allein. Wir sind mit Arbeitsteilung vorgegangen.“ In all den hektischen Tagen, als die Terroristenfahndung in Bochum lief und das gesamte Umfeld von Ziad Jarrah sondiert und die vielen Anrufe geprüft wurden, die bei den „Hinweistelefonen“ der Polizei aus der Bevölkerung eingegangen waren, habe er das Zeitgefühl verloren, lachte Hendigk. „Mein Chef sagte schon: ,Der ist seit vier Wochen nicht mehr aus den Socken gekommen.’“