Bochum. Am Dienstag kommen Karriereberater der Bundeswehr an eine Gesamtschule in Bochum. Ein Unding, findet das Friedensplenum. Das sagt die Schule.

Für die eine Seite ist es „Werben fürs Sterben“, für die andere schlicht Berufsorientierung: Am Dienstag, 11. Juni, bietet die Matthias-Claudius-Gesamtschule in Bochum dem nächsten Abitur-Jahrgang eine interne Messe über Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten. Erstmals ist dort auch die Bundeswehr mit einem Karriereberater vertreten. Das ruft das Bochumer Friedensplenum auf den Plan.

„Keine Werbung zum Töten und zum Sterben“, fordert Ralf Feldmann für das Bündnis und zitiert aus dem „Kriegslied“, das der Namenspatron der Gesamtschule in Weitmar, Matthias Claudius, 1778 geschrieben hat: „‘s ist leider Krieg – und ich begehre / Nicht schuld daran zu sein“, heißt es darin. Feldmann findet: „Das Tor zur Schuld ist für Schülerinnen und Schüler sperrangelweit geöffnet, wenn eine Schule Werbung für Krieg, zum Töten und Sterben also, als Berufsorientierung zulässt.“

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Schulleiter reagiert auf Kritik: „sehr, sehr einseitige Sichtweise“

Das sei „eine mögliche Sichtweise“, sagt Schulleiter Holger Jeppel, aber eine, wie er finde, „sehr, sehr einseitige“. Er selbst habe seinerzeit den Wehrdienst an der Waffe verweigert, erzählt der 57-Jährige Schulleiter, er sei „Zivi aus Überzeugung“ gewesen, aber: „Die Sicherheitslage in Europa hat sich drastisch verändert seit 2014.“

Holger Jeppel leitet die Matthias-Claudius-Schule in Bochum.     
Holger Jeppel leitet die Matthias-Claudius-Schule in Bochum.      © Matthias-Claudius-Schule

Mit der Einladung der Bundeswehr sei man außerdem dem Wunsch der angehenden Abiturienten gefolgt, so der Schulleiter. Die interne Berufsinformationsmesse für die Jahrgangsstufe Zwölf gebe es seit Jahren, erklärt Jeppel. Traditionell stellten sich dort verschiedene Anbieter vor, die Evangelische Fachhochschule zum Beispiel, aber auch Polizei und Stadtwerke.

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Bochumer Schule hat Jugendliche vorab befragt

Die Bundeswehr gehörte bislang nicht zu den Ausstellern. „Wir haben eine Vorabfrage gemacht“, erläutert der Schulleiter. „Dabei hat weit über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler zurückgemeldet, dass sie gerne Informationen von der Bundeswehr hätte.“ Auch das habe er zur Kenntnis genommen: „Dass viele Jugendliche heute die Bundeswehr als einen Top-Arbeitgeber einschätzen“.

„Wir haben eine Vorabfrage gemacht. Dabei hat weit über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler zurückgemeldet, dass sie gerne Informationen von der Bundeswehr hätte.“
Holger Jeppel, Schulleiter der Matthias-Claudius-Schule in Bochum

Die Truppe braucht Nachwuchs: Die Wehrpflicht ist seit 2011 Geschichte, trotz einer Personaloffensive ist die Bundeswehr auf zuletzt 181.500 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft. Am Mittwoch (12. Juni) will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius seine Pläne für eine neue Form des Wehrdienstes vorstellen. „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein“, betonte der Minister vor wenigen Tagen im Bundestag. „Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt.“ Zentral dafür seien Finanzen, Material und Personal. „Im Ernstfall brauchen wir wehrhafte junge Frauen und Männer, die dieses Land verteidigen können.“

Bochumer Friedensplenum: „Schulen müssen die Bundeswehr nicht einladen“

Bundes- und Landesregierungen verstärkten genau aus diesem Grund den Druck auf die Schulen, Werbung für die Bundeswehr zuzulassen, meint Ralf Feldmann vom Bochumer Friedensplenum. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag listet die Bundesregierung fürs zweite Quartal 2024 mehr als 180 Termine von Karriereberatern der Bundeswehr in Schulen bundesweit auf; der Termin am Dienstag an der Matthias-Claudius-Schule ist in der Liste der einzige in Bochum.

„Kein Werben fürs Sterben“: Schon 2012 (Archivbild) protestierten Mitglieder des Bochumer Friedensplenums gegen die Teilnahme der Bundeswehr an einer Berufsbildungsmesse im Ruhrcongress.
„Kein Werben fürs Sterben“: Schon 2012 (Archivbild) protestierten Mitglieder des Bochumer Friedensplenums gegen die Teilnahme der Bundeswehr an einer Berufsbildungsmesse im Ruhrcongress. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Schulen müssen die Bundeswehr nicht einladen“, sagt Ralf Feldmann. „Krieg und Frieden sind Themen des normalen Unterrichts, dort ist Friedensfähigkeit ein oberstes Lernziel.“ Kinder bräuchten keine „keine Werbung für Kriegstüchtigkeit, sondern vor allem Aufklärung über die totale physische und psychische Vernichtungsgewalt der Kriege unserer Zeit.“

Natürlich habe es Diskussionen darüber gegeben, dass das Militär an der Schule werbe, räumt Schulleiter Holger Jeppel ein. Er würde „keinem Kriegstreiber erlauben, sich hier vorzustellen“, sagt er. Aber die Bundeswehr sei eine Parlamentsarmee, bewusst als solche aufgebaut nach dem 2. Weltkrieg; ihr Auftrag sei es, Krieg zu verhindern, Frieden zu schaffen. „Vor zehn Jahren haben wir Dinge anders gesehen, wir haben gedacht, wir bräuchten das nicht mehr.“ Aber die Weltlage habe sich geändert, das müsse man zur Kenntnis nehmen.

Umfrage zu Wunsch-Arbeitgebern

Als potenzieller Arbeitgeber ist die Bundeswehr unter Schülerinnen und Schülerinnen Umfragen zufolge durchaus attraktiv – büßt allerdings angesichts des Ukraine-Kriegs und der Sicherheitslage in Europa an Beliebtheit ein. Das ist Ergebnis des jährlichen Arbeitgeber-Rankings des Marktforschungsinstituts Trendence.

„Bei welchen dieser Arbeitgeber würdest du dich am ehesten bewerben?“, fragt das Institut. Landete die Bundeswehr 2023 mit 10,1 Prozent Zustimmung noch auf Rang 2, ist sie ein Jahr später abgerutscht (8,6 Prozent der Befragten können sich vorstellen, sich dort zu bewerben), aber mit Rang 5 immer noch in der „Top Five“. Unangefochten auf Platz 1 ist seit Jahren die Polizei. Auf den vorderen Plätzen rangieren außerdem Großkonzerne wie adidas, BMW oder Porsche.

Trendence veröffentlicht seit 2006 jährlich seine Rangliste der attraktivsten Arbeitgeber. Befragt wurden fürs jüngste Ranking nach Instituts-Angaben mehr als 15.000 Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge acht bis 13. Das Durchschnittsalter der Befragten habe bei 17,3 Jahren gelegen.

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