Bochum. Eine schwerkranke Bochumer Rentnerin ist verzweifelt. Sie rief 15 Pflegedienste an – und erhielt 15 Absagen. Kein Einzelfall, sagt ein Insider.
- Bochumerin berichtet über ihre verzweifelte Suche nach einem ambulanten Pflegedienst
- Carola Kraft (65) ist an Krebs erkrankt, hat einen künstlichen Darmausgang
- 15 Pflegedienste rief sie an – und kassierte 15 Absagen
„Ich gehe niemals ins Heim. Dann sterbe ich lieber“, sagt Carola Kraft und weint. Die Rentnerin ist an Krebs erkrankt, hat einen künstlichen Darmausgang. Ihre Suche nach einem ambulanten Pflegedienst lasse sie verzweifeln, klagt die 65-Jährige: „Überall nur Absagen.“ Kein Einzelfall. Aufnahmestopps seien in der Branche inzwischen die Regel, berichtet ein Insider.
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Ambulante Pflege: Bochumer Rentnerin erhielt 15 Absagen
„Meine Puppenstube“, schwärmt Carola Kraft von ihrer liebevoll eingerichteten Seniorenwohnung an der Glücksburger Straße. Hinter der ehemaligen Altenpflegerin liegen furchtbare Schicksalsschläge. Zwei ihrer drei Kinder sind verstorben, erzählt die Wiemelhausenerin. Vor einem Monat wurde bei ihr Darmkrebs diagnostiziert. Sie ist Stoma-Trägerin. Die Chemotherapie raube ihr alle Kraft. Zum Glück unterstütze sie eine Nachbarin bei den täglichen Verrichtungen.
Carola Kraft weiß: Sie braucht schnell Hilfe, damit sie in ihrer „Puppenstube“ bleiben kann. Vor zwei Wochen griff sie zum Telefon. 15 Pflegedienste habe sie angerufen und angeschrieben, schildert sie. Der Zettel mit den Namen, Rufnummern und Notizen liegt beim WAZ-Gespräch noch auf dem Wohnzimmertisch. „Nicht ein Unternehmen war bereit, mich als Patientin aufzunehmen. Man habe ,leider keine Kapazitäten’, heißt es überall, erst recht nicht mit Stoma und nur mit Pflegegrad 2.“
Pflegedienst in Bochum: Einen solchen Notstand gab’s noch nie
„Absagen sind inzwischen Alltag“, betont der langjährige Chef eines Bochumer Pflegedienstes, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Nie zuvor habe es einen derartigen Notstand gegeben. „Während immer mehr Menschen pflegebedürftig werden, fehlt es überall an Personal. Die Betriebe werben sich die Leute gegenseitig ab und treiben die Löhne in die Höhe. Das ist Kannibalismus“, so der Unternehmer.
Vor allem die examinierten Pflegekräfte könnten sich längst aussuchen, wo und wie sie arbeiten. „Immer öfter heißt es bei Bewerbungsgesprächen: ,Aber nicht samstags und sonntags.’ Und das in der Pflege!“ Es hagele Krankenscheine. Der Krankenstand sei in seiner Firma mit mehr als zehn Prozent so hoch, dass er die Lücken seit Kurzem mit Personaldienstleistern füllen müsse. „Die sind dreimal so teuer, kosten 8000 Euro pro Mitarbeiter. Das ist ruinös. Wir haben einen Aufnahmestopp verhängt.“
Medizinische Versorgung ist gesichert, verspricht der Landesverband
„Die personelle Situation in der Pflege ist seit Jahren und nachhaltig angespannt. Die hohe Nachfrage können wir manchmal trotz großer Bemühungen leider nicht bedienen“, sagt auch Andreas Kamp, Geschäftsführer der Ambulanten Dienste der Augusta-Klinik. Gleichwohl habe man in diesem Jahr zusätzliche Mitarbeiter gewinnen und Patienten aufnehmen können. Die Bewerberlage stimme ihn auch für 2024 zuversichtlich, so Kamp.
Die medizinische Versorgung der landesweit 220.000 Patienten in der ambulanten Pflege sei grundsätzlich gesichert, bekräftigt Christoph Treiß, Geschäftsführer des Landesverbandes freie ambulante Krankenpflege (LfK) NRW. Carola Kraft sei ein „krasser Einzelfall“. Aufnahmestopps seien die Ausnahme.
Bochumerin erzielt Teilerfolg bei der Stoma-Versorgung
Probleme erkennt aber auch der LfK-Chef: der hohe Krankenstand in der Pflege mit durchschnittlich 32 Fehltagen im Jahr (Quelle: AOK); die Belastungsgrenzen für die Pflegekräfte, die vielfach überschritten würden; die 2020 eingeführte generalistische Pflegeausbildung, die dazu geführt habe, „dass wir in der häuslichen Pflege kaum noch Azubis sehen“.
Carola Kraft hat derweil einen Teilerfolg erzielt. Zumindest für die Stoma-Versorgung hat sie einen Pflegedienst gefunden. Bei der Behandlungspflege hofft sie auf eine baldige Höherstufung in Pflegegrad 3. „Dann gibt’s mehr Geld. Wie so viele ältere Menschen will ich doch nur zu Hause bleiben.“