Duisburg. Weil nach Corona weniger Senioren die Tagespflege in Neuenkamp besuchen, ist bald Schluss. Das bedeutet das Ende für Mitarbeiter und Betroffene.

Der Träger „Pari Sozial“ schließt Ende Juni seine Tagespflege in Duisburg-Neuenkamp. „Nach langer Überlegung, und Hoffen, dieses vermeiden zu können ist es uns nicht gelungen, die Schließung zu verhindern“, heißt es in einem Schreiben. Für die Senioren, die die Einrichtung besuchen und deren Angehörige, ist die Nachricht „eine Katastrophe“. Sie müssen sich nun schnellstmöglich eine neue Betreuung suchen. Neun Mitarbeiterinnen verlieren zudem ihren Job.

Es ist keine Entscheidung gegen den Stadtteil. Das Begegnungszentrum ist nicht betroffen und bleibt erhalten.“
Dirk Tänzler, Geschäftsführer des „Paritätischen“ in Duisburg.

Die Gründe, erläutert Dirk Tänzler, Geschäftsführer des „Paritätischen“ in Duisburg, seien vielschichtig. „Es ist keine Entscheidung gegen den Stadtteil. Aber nach Corona war die Einrichtung nur noch zu 70 Prozent ausgelastet. Um bei plus minus Null zu landen, brauchen wir aber eine Auslastung von 90 Prozent.“ Nach Corona nehmen weniger Senioren das Angebot in Anspruch als zuvor.

Einrichtung in Duisburg-Neuenkamp gibt es seit Ende der 1990er Jahre

Der Tag an der Mevissenstraße startet gegen neun Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück. Anschließend wird Zeitung gelesen. Das Wetter, der Witz des Tages, aber auch Politik werden von den Gästen gerne und viel diskutiert. Später gibt’s Sitzgymnastik, es wird gebastelt oder gespielt. „Bingo ist der Hit“, erklärt Einrichtungsleiterin Angelika Berg. Sie ist seit 20 Jahren vor Ort. „Wir sind wie eine große Familie.“

Im Schnitt kommen die Gäste zweimal pro Woche. „Unsere Mutter ist 90 Jahre. Die war einmal zum Schnuppern hier und hat sich direkt wohlgefühlt“, berichten Bernd und Carmen Fritzenwanker. Auch der Mann von Ilse Linkenbach besucht die Tagespflege gern. Sie pflegt ihren dementen Gatten zu Hause. Die beiden Tage, die er die Mevissenstraße besucht, entlasten sie. „Dann kann ich mal einkaufen oder selbst zum Arzt gehen.“ Sie wohnen in Neuenkamp, das Angebot liegt „um die Ecke“.

Die Tagespflege in Neuenkamp gibt es schon seit Ende der 1990er Jahre. 15 Senioren können hier betreut werden. Viele kommen aus dem Umfeld, einige werden aber auch aus der Stadtmitte oder sogar Rheinhausen mit dem Fahrdienst gebracht. Wer eine Pflegestufe hat, bekommt von der Pflegeversicherung einen Zuschuss zur Tagespflege. Hinzu kommt ein zusätzlicher Entlastungsbetrag von monatlich 125 Euro. Der kann zum Beispiel für den Eigenanteil verwendet werden, der pro Tag fällig wird. Bei Parisozial in Neuenkamp sind das 20,07 Euro.

Allerdings: Während Corona durften viele Tagespflegen nicht öffnen. In Neuenkamp gab es immerhin eine Notgruppe. Viele Senioren und Angehörigen investierten die 125 Euro beispielsweise in eine Haushaltshilfe. Damit steht das Geld dann nicht mehr für den Eigenanteil zur Verfügung.

Bernd und Carmen Fitzenwanker, Ilse Linkenbach, Britta Tüffers-Schrey und Einrichtungsleiterin Angelika Berg (v.li.) sind traurig über die aktuelle Entwicklung.
Bernd und Carmen Fitzenwanker, Ilse Linkenbach, Britta Tüffers-Schrey und Einrichtungsleiterin Angelika Berg (v.li.) sind traurig über die aktuelle Entwicklung. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

„Als wir wieder öffnen durften, haben wir Werbung gemacht.“ Angelika Berg stand zum Beispiel vor dem Supermarkt an der Javastraße und sprach ältere Neuenkamper an, ob sie nicht einmal schnuppern kommen wollten. „Ich doch noch nicht, so alt bin ich noch nicht“, hätten viele gesagt. Dabei seien diese selbst schon über 80 Jahre alt gewesen.

Weil sich viele an dem Begriff „Pflege“ störten, entwarf sie einen Flyer für die „Tagesbetreuung“. „Zwischendurch haben sich die Zahlen dann mal stabilisiert, aber dann wurde es wieder weniger“, erklärt sie. Der Paritätische habe sich mehr als ein Jahr die Auslastung angeschaut. Zuletzt wurde Ende 2023 noch einmal verhandelt und nun das erste Quartal abgewartet. Dann wurde die Entscheidung getroffen.

Teilweise hat Angelika Berg sogar Verständnis. „Senioren, die nur eine kleine Rente haben, können sich die Zuzahlung nicht leisten, wenn diese schon für andere Leistungen verplant ist.“ Sparpotenzial gebe es von Seiten der Einrichtung allerdings kaum. „Wir müssen Personal vorhalten, die Räume müssen bezahlt werden, da können wir nichts ändern.“ Bis vor einigen Jahren gehörte das Gebäude noch Parisozial. Mittlerweile ist die Gebag die Eigentümerin und Vermieterin – ebenfalls vom benachbarten Begegnungszentrum. „Das ist nicht betroffen und bleibt erhalten“, betont Tänzler.

Das Gebäude gehört mittlerweile der Gebag. Die will nun prüfen, erklärt eine Sprecherin, wie die Räume künftig genutzt werden können.
Das Gebäude gehört mittlerweile der Gebag. Die will nun prüfen, erklärt eine Sprecherin, wie die Räume künftig genutzt werden können. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Bei einem Infoabend sollen den Angehörigen und Gästen nun andere Einrichtungen empfohlen werden. „Momentan haben viele Probleme, es ist ein strukturelles Problem“, weiß Tänzler. Angelika Berg hat bereits Gespräche geführt, um zu erfragen, welcher Träger freie Plätze hat. „Das ist das Mindeste, was wir den Gästen an die Hand geben können.“

Sie selbst und ihre Kolleginnen haben sich arbeitssuchend gemeldet. Bisher hat noch keine einen neuen Job. „Ich bin 61 Jahre alt, das wird wahrscheinlich nicht so leicht“, ahnt sie. In der Pflege sei es zwar verhältnismäßig einfach, eine Stelle zu bekommen. „Aber bei uns hatten wir viel Zeit für die Senioren. Das ist selten.“

Auch das Ehepaar Fritzenwanker und Ilse Linkenbach sind traurig. Ihre Liebsten müssen sich bald an eine neue Einrichtung gewöhnen. Sie finden: „Es ist so schade, dass wir nichts mehr gegen die Schließung tun können.“

>> TAGESPFLEGE-EINRICHTUNGEN: SO IST DIE SITUATION IN DUISBURG

  • Aktuell gibt es in Duisburg 33 Tagespflegen mit insgesamt 591 Plätzen. Weitere sind in Bau, drei stehen kurz vor der Eröffnung. Die Awocura ist mit demnächst fünf Einrichtungen der größte Anbieter.
  • „Die Tagespflegen sind unterschiedlich gut ausgelastet, insgesamt ist die Auslastung nach der Corona-Pandemie schlechter als davor“, erklärt Stadtsprecherin Gabi Priem auf Nachfrage.
  • Zunächst habe es eine gewisse Zurückhaltung bei Gruppenaktivitäten gegeben. „Das größere Problem ist allerdings die Kostensituation. Die hohe Inflation trifft hochbetagte Menschen besonders.“ Das Pflegegeld fließe in den Lebensunterhalt und stehe nicht mehr für pflegerische Leistungen zur Verfügung.
  • „Alle Tagespflegen berichten, dass Ihre Kundinnen und Kunden weniger Tage pro Woche in die Tagespflege kommen.“ Einzelne seien dadurch bereits in finanzielle Schieflage geraten. „Ein Trend zur Schließung von Tagespflegen gibt es aber nicht.“ Nach wie vor sei das Interesse neue Tagespflegen zu gründen hoch. Ein Mangel an Plätze gebe es deshalb nicht.